Um des lieben Friedens willen

03.05.2011
Darf man mit Schurkenstaaten und Diktatoren Kompromisse machen? Nach Antworten auf diese und ähnliche Fragen sucht der israelische Philosoph Avishai Margalit.
Die Botschaft dieses Buches: "Alles in allem sind Kompromisse etwas Gutes. Politische Kompromisse um des Friedens willen sind sogar etwas sehr Gutes. Zwielichtige, schlechte oder schäbige Kompromisse sind schlecht, aber nicht so schlecht, dass man sie um jeden Preis vermeiden müsste. Vor allem nicht, wenn man sie um des Friedens willen eingeht. Nur faule Kompromisse sind so schlecht, dass man sie um jeden Preis vermeiden sollte."

Faul aber seien Kompromisse jeder Art mit einem "Regime der Grausamkeit und der Erniedrigung". Diese dürfe man um keinen Preis etablieren oder stützen, "und sei es auch nur passiv". Ein Seitenhieb auf die gängige Politik des Westens im Kalten Krieg, aber auch auf unsere faulen Wirtschaftskompromisse mit Regimes wie dem von Libyens Gaddafi. Solche Kompromisse setzen das "gemeinsame Menschsein", so Margalits leitmotivische Formel, außer Kraft – und damit die menschliche Moral überhaupt. Doch keine Regel ohne Ausnahme: "Kompromisse sollten bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit niemals zulässig sein, es sei denn, dadurch würden Menschen gerettet, die von dem betreffenden Regime bedroht werden."

Der israelische Philosoph Avishai Margalit erkennt also durchaus die Schwierigkeiten, "Idealtheorien" wie seine eigene auf "nichtideale Situationen" anzuwenden. Das Angebot des NS-Deportationsorganisators Adolf Eichmann an die Alliierten, das Überleben von einer Million Juden für die Lieferung von 10.000 Lastwagen zu verrechnen, fände Margalit akzeptabel.

Auch die Gründe für das Münchener Abkommen 1938, den Hitler-Stalin-Pakt 1939 oder den US-amerikanischen Verfassungskompromiss, der die Sklaverei anerkannte, wägt Margalit nachdenklich ab. Geradezu spannend wird es, wenn er psycho-historisch argumentiert: "In meinen Augen trägt eine historische Gesellschaft moralische Verantwortung nur im Hinblick auf ihre aktuellen Optionen."

Das heißt, der Bewusstseinsstand einer Gesellschaft bestimmt ihre Moral – Entwicklungspsychologen wussten das schon lange. Warum etwa sollte die Rettung eines nahestehenden Menschen natürlicher sein als die Rettung eines oder mehrerer Fremder? Diese Frage – und damit den Entscheidungsspielraum – werden weder Patrioten noch religiösen Fanatiker oder Familienfetischisten verstehen. Denn er ist in ihrer Gruppen-Ethik nicht vorgesehen: "Die Selbstlosigkeit der ethisch handelnden Individuen einer … Gemeinschaft erzeugt bei ihnen die Illusion, einer moralischen Ordnung anzugehören, da sie Moral mit individueller Selbstlosigkeit gleichsetzen", spottet Margalit mit unverkennbarer Melancholie.

In einer Art Definitionsorgie versucht Margalit dennoch, Aspekte und Formen des Kompromisses in der Politik zu differenzieren: Zum Beispiel das externe und interne Böse, Moral und Ethik, ökonomisches und religiöses Politikverständnis, Kompromisse auf Kosten Dritter, Nötigung und Anerkennung, Machtverteilung, Prioritäten, Preise, "Vollblutkompromisse" und eben faule Kompromisse. Säuberlich sortiert Margalit die zugehörigen Probleme – eine wichtige Vorarbeit für die Systematik eines Themas, das unter politischen Idealisten einen allzu schlechten Ruf hat.

Besprochen von Eike Gebhardt

Avishai Margalit: Über Kompromisse – und faule Kompromisse
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
252 Seiten, 23,60 Euro