Ultraschall Berlin 2016

Schatten des Eises im Verschwinden

Cezary Duchnowski und Agata Zubel
Cezary Duchnowski und Agata Zubel © Jakub Pajewski/Website Agata Zubel
23.01.2016
Vier aufeinanderfolgende Abende vom Festival Ultraschall Berlin – diese Sendung steht in dieser Woche ganz im Zeichen der musikalischen Avantgarde. Heute Abend die Beiträge der Breslauer Agata Zubel und Cezary Duchnowski, des Ensemble KNM Berlin und des Schlagzeugers Matthias Engler.
Das Festival für neue Musik, das wir gemeinsam mit dem kulturradio vom rbb veranstalten, spürt auch in diesem Jahr wieder neuen künstlerischen Entwicklungen nach und bringt dabei denkbar Heterogenes in neue Kontexte.
Die Spanne reicht von der Hommage an Friedrich Cerha, den Doyen der österreichischen Nachkriegs-Moderne, bis zu jungen, multimedial arbeitenden Künstlern. Nicht weniger als vier höchst unterschiedliche Solo-Recitals loten das Spannungsfeld von Intimität und Extrovertiertheit aus. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin warten mit orchestraler Klangraffinesse auf. Und drei große Ensemblekonzerte bieten einerseits Einblicke in die Berliner Komponistenszene, andererseits Werke europäischer KomponistInnen wie Agata Zubel oder Francesco Filidei.
An der Bedeutung der Gattung Streichquartett, in der viele Komponisten seit Joseph Haydn Essentielles gesagt haben, hat sich bis in die Gegenwart und trotz zahlreicher Versuche, die Gattung totzusagen, nichts geändert. So ist das dritte Streichquartett von Peter Ruzicka mit dem Textzusatz "...über ein Verschwinden" im Titel eine Art Requiem, das das persönliche Erlebnis des Todes seiner Mutter mit Pierre Boulez' Nachruf auf Theodor W. Adorno und das Finale der neunten Sinfonie von Gustav Mahler zusammendenkt.
Agata Zubel, geboren 1978, stammt aus Breslau, 2016 eine der Kulturhauptstädte Europas. Sie ist Komponistin und Sängerin – und in dieser Doppel-Begabung eine der markantesten Stimmen der zeitgenössischen Musik in Polen. »Sie packt die Zuhörer bei der Gurgel und lässt sie nicht los, bis zu derem (und ihrem eigenen) letzten Atemzug«, so beschrieb der Musikpublizist Andrzej Chlopecki einmal bewundernd Zubels Charisma.
2001 gründete Agata Zubel mit Cezary Duchnowski das Duo ElettroVoce. Auch Duchnowski ist eine Mehrfachbegabung: Komponist, Pianist, Elektronik-Spezialist. Im Doppelporträt des Ensemble KNM, Teil der Konzertreihe ›Pol(s)ka‹, kommen Werke der letzten Jahre zur Aufführung, darunter Zubels Beckett-Vertonung Not I, die beim International Rostrum of Composers 2013 als »herausragendstes Werk« ausgezeichnet wurde.
Klänge sind nie einfach nur Klänge. Immer stehen sie in einem bestimmten Kontext, sind also auch re-kontextualisierbar. In dieser Überzeugung treffen sich der Schlagzeuger Matthias Engler und der Komponist David Brynjar Franzson. Wie schon in seinem 2011 bei Ultraschall Berlin uraufgeführten Zyklus A Guide for the Dead through the Underworld, so spielen auch in Franzsons Schlagzeugstück The Cartography of Time philosophische Fragen eine zentrale Rolle, in diesem Fall konkret Gedanken über die Zeit von Augustinus und Wittgenstein.
Ultraschall Berlin - Festival für neue Musik
Funkhaus Nalepastraße, Berlin
Aufzeichnung vom 22. Januar 2016
Peter Ruzicka
Streichquartett Nr. 3 "...über ein Verschwinden" (1992)
Minguet Quartett:
Ulrich Isfort, Violine
Annette Reisinger, Violine
Aroa Sorin, Viola
Matthias Diener, Violoncello
ca. 20.00 Uhr
Live aus dem Radialsystem V, Berlin
Agata Zubel
"Shades of Ice" für Klarinette, Violoncello und Elektronik (2011)
Cezary Duchnowski
"Parallels" für Ensemble (2014)
Cezary Duchnowski
"1 5 1, 2 4 2, 3 3 3" für Violine, Violoncello und Elektronik (2011)
Cezary Duchnowski
"Drone Music" für Instrumente und Elektronik (2014)
Agata Zubel
"Not I" für Stimme und Ensemble (2012)
Agata Zubel, Stimme
Cezary Duchnowski, Elektronik
Ensemble KNM
Leitung: Lin Liao
22.30 Uhr
Live aus dem Radialsystem V, Berlin
David Brynjar Franzson
"The Cartography of Time" (2015)
für gestrichenes Solo-Becken und Live-Elektronik (Uraufführung)
Matthias Engler, Schlagzeug