Ulrich Matthes über neuen Film "Krieg"

"Die Skala der Emotionen war irre groß"

Der Schauspieler Ulrich Matthes im März 2017.
Der Schauspieler Ulrich Matthes im Studio von Deutschlandfunk Kultur © dpa / picture alliance
Ulrich Matthes im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 08.09.2017
Der Berliner Schauspieler Ulrich Matthes freut sich gleich doppelt auf die Weltpremiere des Films "Krieg" bei dem Internationalen Filmfestival in Venedig: Obwohl er eine der Hauptrollen spielt, hat er das fertige Werk noch nicht gesehen – und Venedig kennt er bislang auch nur als Tourist.
Der Fernsehfilm "Krieg" gehört zu den wenigen deutschen Produktionen beim 74. Internationalen Film Festival in Venedig. Rick Ostermann inszenierte den Film über eine ungewöhnliche Trauerarbeit, die in einen Kampf auf Leben und Tod mündet. In den Hauptrollen ist neben Barbara Auer und Jördis Triebel der Berliner Schauspieler Ulrich Matthes zu sehen. "Ich bin ja im Karree gehüpft, als mich der Regisseur anrief", sagte Mattes im Deutschlandfunk Kultur über die Einladung.
"In Venedig war ich bisher nur als Tourist, einer von Hunderttausenden, Millionen, die diese fantastische Stadt schon besucht haben, und jetzt bin ich da in einer Hauptrolle beim Festival!" Er sei deshalb sehr aufgeregt.
"Also, ich werde das genießen, da mit dem Wassertaxi und dann über den roten Teppich und dann sitze ich da mit 2000 und habe offen gestanden den Film selber noch gar nicht gesehen!" (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Wir wollen jetzt über einen Film sprechen, der heute beim Filmfestival in Venedig in einer Reihe Premiere hat. "Krieg" heißt er und die Hauptrolle spielt Ulrich Matthes, neben ihm Barbara Auer und Jördis Triebel. Ulrich Matthes ist ja seit vielen Jahren Schauspieler am Deutschen Theater Berlin, hat in preisgekrönten Inszenierungen agiert, in "Tod eines Handlungsreisenden" und "Gift", und für diese Inszenierung hat er gerade den Preis der Berliner Theatergemeinde bekommen.
Jetzt also ist er zu sehen in dem Film "Krieg", der in Venedig zur Uraufführung kommt, gemacht von Regisseur Rick Ostermann nach dem Drehbuch von Grimme-Preisträgerin Hannah Hollinger. Und weil er heute dort ist, haben wir gestern mit Matthes gesprochen. Ich habe ihn gefragt: Sie spielen ja in dem Film von Rick Ostermann einen Vater, dessen Sohn als Bundeswehrsoldat ums Leben kommt in Afghanistan und der sich daraufhin selber zurückzieht in die Schweizer Berge und in ein kriegerisches Duell verwickelt wird. Warum wollten Sie ausgerechnet diese Rolle spielen?
Ulrich Matthes: Ja, das ist eine irre Rolle. Die Skala der Emotionen, die ich da durchzugehen hatte, war irre, war irre groß. Und … Dieser Mann, den ich spiele, ist glücklich verheiratet, ist ein ganz normaler, erst mal auch ein Sympathieträger, das fand ich nach allen meinen Bösewichtrollen, die ich zwischendurch auch immer wieder gespielt habe, beglückend, dass man mir mal zutraut, so einen Menschenfreund zu spielen. Also, glückliche Ehe, gelungener Sohn, und der fällt in Afghanistan. Und das sprengt auch die Ehe zu seiner Frau – Barbara Auer spielt sie –, und dann, traumatisiert, wie er ist, zieht er sich in die Berge zurück. Und da passiert ihm so eine Art von erst mal gar nicht besonders großer Gewalt.
Und für ihn selber überraschend – und das ist das Besondere an der Figur – ist, dass er diese Gewalt dann mit einer Art von Gegengewalt beantwortet, und einer Aggression, die er, so eher linksliberal und pazifistisch und eher so ein Menschenfreund, für ihn selber vollkommen überraschend beantwortet. Und das ist, als wenn er quasi die Gewalt, die er mit diesen Traumata bekommen hat, wieder wie … als müsste er die wieder dadurch loswerden, indem er selber gewalttätig wird. Es ist auch ein Film quasi über die Menschenmöglichkeiten, wie sie in uns schlummern und dann eben manchmal ausbrechen.

Eskalation im Alltag

von Billerbeck: Als ich diese Szene gesehen habe, dieses … sich plötzlich bewaffnen und wie selbstverständlich auch zu dieser Waffe greifen, da habe ich mich an eine Diskussion erinnert im Freundeskreis, da ging es darum, dass manche so dabei sind, ihren Traum von der Unabhängigkeit zu leben: eigenes Gemüse anbauen, Strom selbst gewinnen, einen eigenen Brunnen. Und als wir darüber sprachen, wie weit das geht, da sagte einer: Na ja, dann musst du irgendwann, wenn die anderen weniger haben, diese Umstände, deine besseren, das, was du besitzt, auch verteidigen, und du musst bereit sein, zur Waffe zu greifen und andere zu erschießen. Das war so die Szene.
Und irgendwie dachte ich daran, als ich diesen Vater in dem Wald sehe in den Bergen, der da plötzlich auch gewalttätig wird. Was macht das mit einem Menschen, der diese Erfahrung hat? Der Sohn ist gefallen und alles ist aus den Fugen und plötzlich gelten auch diese alten Regeln, dieses Friedliche, dieses Pazifistische nicht mehr?
Matthes: Ja, na ja … Erst mal wundere ich mich offen gestanden ein bisschen über die Äußerung Ihres Freundes, aber das nur nebenbei. Also, es scheint so zu sein, das ist ja fast eine Binse, dass in uns doch noch von uralten Zeiten irgend so ein Atavismus, irgend so eine Eigenschaft lauert an Aggressionsmöglichkeit, die Gott sei Dank in unserer Zivilisation … Es hat Gott sei Dank auch lange keinen Krieg mehr gegeben, wir leben in einer befriedeten Gesellschaft, vermeintlich.
Aber wir alle kriegen ja auch mit, nicht nur im Internet, sondern auch im Straßenverkehr beispielsweise, dass sehr viele Menschen sehr schnell eine Art von Aggressionsmöglichkeit auch ausagieren, die einen immer wieder, wenn man Opfer derselben ist, auch überraschen und erschrecken kann. Also, ich selber erlebe das immer wieder, dass kleinste … Und ich glaube, das ist auch mehr geworden, das war vor zehn, 15 Jahren noch nicht so. Es gibt immer wieder eine Art von latenter Bereitschaft, Kleinstkonflikte im Alltag, im Supermarkt, auf der Straße oder so in einer Weise eskalieren zu lassen, wo ich manchmal denke: Das kann doch jetzt alles nicht wahr sein, das träume ich nur! Und von diesen Möglichkeiten handelt ganz wesentlich auch der Film und diese Figur, die ich da spiele.

Mit Empathie und Fantasie

von Billerbeck: Da merkt man, dass diese Schicht der Zivilisation doch gar nicht so dick ist, wie man immer geglaubt hat.
Matthes: Ja, mein weiß es ja von den Zivilisationsbrüchen, man weiß es, dass eben auch Familienväter, die nachmittags noch vorm Grammofon gesessen haben und sich Schubert-Lieder angehört haben, trotzdem dann in ihrem KZ, dessen Kommandant sie waren, die fürchterlichsten, grausamsten, eigentlich wirklich unmenschlichsten Dinge begehen konnten. Beides scheint eben, oder nicht nur scheint, sondern ist in der menschlichen Natur angelegt. Und auf einem etwas weniger grausamen Niveau spielt sich sozusagen das Erleben meiner Figur ab.
von Billerbeck: Die Traumatisierung von Kriegsrückkehrern gibt es ja des Öfteren als Thema in Filmen, das Trauma der Hinterbliebenen, wie es ja in diesem Film auch eine Rolle spielt, viel weniger. Wie haben Sie sich denn auf diese Rolle vorbereitet?
Matthes: Offen gestanden, jetzt so konkret gar nicht. Ich habe mir jetzt keine Bücher durchgelesen, wie es ist, wenn man der Vater eines … oder ich weiß nicht was. Grundsätzlich, das klingt jetzt so etwas flapsig, ich sage es aber trotzdem, grundsätzlich reicht oft auch die Fantasie eines Menschen aus, der nicht ganz mit Scheuklappen durch die Welt geht, oder sagen wir mal auch: die Empathie.
Ich bin auch Zeitungsmaniac, hätte ich fast gesagt, ich habe auch immer wieder mal Berichte darüber gelesen, anlässlich Afghanistan-Krieg oder auch die Traumatisierung von Leuten, die aus dem Zweiten Weltkrieg oder aus dem Ersten Weltkrieg … Also, irgendwie sammelt man als Schauspieler und irgendwann spuckt man das dann im übertragenen Sinne, metaphorisch in den einzelnen Rollen wieder aus. Ich habe mich jetzt konkret offen gestanden nur dadurch vorbereitet, indem ich immer wieder, immer, immer wieder das Drehbuch gelesen habe und meiner Empathie und meiner Fantasie freien Lauf gelassen habe.

Der rote Teppich in Venedig

von Billerbeck: Heute Abend hat der Film in Venedig bei den Filmfestspielen Premiere. Bedeutet Ihnen das was, dass er ausgerechnet dort, bei diesem ältesten Filmfestival gezeigt wird?
Matthes: Was für eine Frage! Ich bin ja im Karree gehüpft, als mich der Regisseur anrief und sagte: Uli, stell dir mal vor! Ich meine, das ist doch der Wahnsinn, in Cannes, Venedig, Berlin, sind ja nur die drei großen … In Venedig war ich bisher nur als Tourist, einer von Hunderttausenden, Millionen, die diese fantastische Stadt schon besucht haben, und jetzt bin ich da in einer Hauptrolle beim Festival!
Also, ich bin wahnsinnig aufgeregt, wirklich irre, irre aufgeregt, und zwar seit Tagen schon! Also, ich werde das genießen, da mit dem Wassertaxi und dann über den roten Teppich und dann sitze ich da mit 2000 und habe offen gestanden den Film selber noch gar nicht gesehen! Ich kenne den Film gar nicht, ich habe ihn nur gedreht! Also, ich werde da wirklich schlotternd sitzen und … Puh, ja, so geht es mir!
von Billerbeck: Ulrich Matthes war das, er spielt die Hauptrolle in dem Film "Krieg" in der Regie von Rick Ostermann, der heute beim Filmfestival in Venedig gezeigt wird. Alles Gute für Sie, den Film und danke für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.