Ulf Poschardt über Twitter-Ankündigung

280 Zeichen sind 140 zuviel

Twitter-Logo
Twitter-Logo auf einem Bildschirm © picture alliance/dpa/Foto: Natalia Seliverstova
Ulf Poschardt im Gespräch mit Dieter Kassel · 28.09.2017
Seit elf Jahren können sich Twitter-Nutzer mit 140 Zeichen mitteilen. Jetzt hat der US-Nachrichtendienst angekündigt, die Anzahl auf 280 Zeichen zu verdoppeln. Eine "Katastrophe", meint Journalist Ulf Poschardt.
Von 140 auf 280 will der US-Nachrichtendienst Twitter die Zeichenanzahl verdoppeln und erhofft sich davon einen positiven Effekt – sprich weitere Nutzer. Zunächst wolle man die Änderung "mit einer kleinen Gruppe" von Leuten testen, hieß es aus der Firmenzentrale in San Francisco, "bevor wir die Entscheidung treffen, sie für alle verfügbar zu machen".

Enttäuschung über Ankündigung

Viele Nutzer reagierten skeptisch darauf, so auch Ulf Poschardt, Chefredakteur der Zeitung "Die Welt". Der Journalist ist ein begeisterter Twitter-Nutzer. Seit Oktober 2013 hat 14.300 Tweets abgesetzt. Er habe nicht auf die Erweiterung gewartet, sagte er im Deutschlandfunk Kultur.
"Ich bin total enttäuscht. Ich bin ja sonst immer für alles Neue zu haben und finde, die Zukunft ist immer besser als die Vergangenheit. Aber ich habe mich lange nicht getraut, auf Twitter zu gehen, weil ich gerne in zwei, drei Relativsätzen meine Dinge formuliere. Ich hatte großen Respekt vor der Verknappung. Less is more, sei prägnant, die Poesie des Weglassens – all das hat mich Sprache neu entdecken lassen, Richtung konkrete Poesie hingehend. Wenn du etwas zu sagen hast, benutze wenig Wörter. Und jetzt diese Idee, dass man do so herum labern kann wie bei Facebook, ich finde es enttäuschend."

Weiterhin können auch weniger Zeichen verwendet werden, es zwingt einen ja niemand, die komplette Zeichenanzahl voll auszuschöpfen. Das stimmt, sagt Ulf Poschardt, aber der Mensch sei nun einmal ein Wesen, das sich nach Freiheit sehne, aber noch mehr nach Regeln in dieser Freiheit.

"Verdopplung ist eine einzige Katastrophe"

"Ich habe mich auf diese 140 Zeichen sowas von eingeschossen. Und freue mich immer, wenn ich etwas formuliert habe und es steht da und hat wirklich null Zeichen zu viel und zu wenig. Das sitzt. Und 280 da fehlt diese Präzision. Und gerade für uns Deutsche, die ja ganz genau sein wollen, ist, glaube ich, diese fast laissez-faire-haftige Verdopplung eine einzige Katastrophe."
Dem Argument, die verkürzten Sachverhalte schaden oft der Verständigung, wiederspricht Ulf Poschardt. Fehlendes Verständnis könne man nicht dem Format vorwerfen. So gebe es Romane mit mehr als 1000 Seiten, die wunderbar seien, manche wären hingegen unfähig, ein 150-seitiges Buch zu schreiben, merkte Poschardt dazu an. Seiner Meinung nach liege es nicht an der Form.
"Gerade für die Deutschen, die das umständlich und Langatmige bevorzugen, eigentlich von ihrer Pointenhaftigkeit, die festzunageln auf 140 Zeichen, war etwas Wunderbares und ich hoffe, Twitter wird das nicht tun. Man sieht auch am nicht all zu großen Erfolg von Twitter in Deutschland, wie Deutsche eh schon wenig damit anfangen können. Und ich finde, die Amerikaner sollten den Deutschen an diesem Punkt nicht entgegen kommen."
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