Ukrainische Migranten

Geflohen und in Polen um den Lohn betrogen

Ukrainischer Gottesdienst in Polen
Ukrainischer Gottesdienst in Polen © Florian Kellermann
Von Florian Kellermann · 17.06.2016
Die Wirtschaftskrise und der Krieg haben Hunderttausende Ukrainer aus ihrer Heimat vertrieben. Viele von ihnen arbeiten in Polen. Während die Akademiker unter ihnen schnell Anschluss finden, schuften die Unqualifizierten zu Hungerlöhnen auf Baustellen und in der Landwirtschaft.
Ein altes, hölzernes Treppenhaus im Norden von Breslau: Julia geht die Stufen zum letzten Mal hoch. Hier hat ihr Abenteuer begonnen, ihr Leben in Polen. Sie hat bei einem Verein gearbeitet, der ein soziales Jahr für Menschen verschiedener Nationen anbietet:
"Jeder kann hier Projekte anstoßen, bei denen er seine Kultur vorstellen und vermitteln kann. Außerdem veranstalten wir Treffen mit jungen Leuten, um mit ihnen über Menschenrechte und Toleranz zu sprechen."
Die 23-Jährige kommt aus der Ukraine, genauer: aus Simferopol auf der Krim. Ihre Heimat hat sie schon vor zwei Jahren verlassen, nachdem Russland die Halbinsel annektiert hatte. Julia wollte keinen russischen Pass annehmen, obwohl ihre Eltern sie dazu drängten. Sie hatte Glück, dass sie gerade ihr BWL-Studium beendet hatte. So konnte sie gleich losziehen. In Breslau blieb sie nicht lange allein, inzwischen kennt sie hier zehn andere ehemalige Krim-Bewohner:
"Die meisten sind wegen der Arbeit hierher gekommen, anderen gefällt einfach die Stadt. Ich hatte keine Ahnung von Breslau, aber inzwischen bin ich sehr zufrieden hier. Schon bevor Breslau Kulturhauptstadt wurde, gab es hier so viele Veranstaltungen, dass es nie langweilig wird."
Nicht nur von der Krim, auch aus anderen Teilen der Ukraine sind in den vergangenen beiden Jahren Hunderttausende Ukrainer nach Polen gezogen. Die einen wegen der Wirtschaftskrise zu Hause, die anderen wegen des Kriegs in der Ostukraine.
Bis zu einer Million Menschen aus dem Nachbarland arbeiten derzeit hier, die meisten finden schnell einen Job. Auch Julia: Nach ihrem sozialen Jahr ist sie in Breslau direkt bei einer internationalen Computerfirma angestellt worden. Sie kann sich vorstellen, länger hier zu bleiben.

"Ich fühle mich hier wohl"

"Ich habe hier viele polnische Freunde gefunden. Sie haben mir geholfen, die Sprache zu lernen. Wenn ich mal einen Fehler mache, ist das nicht schlimm. Ich fühle mich hier wohl. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell von Polen zu ihnen nach Hause eingeladen werde, dass die Beziehungen so schnell so eng werden."
So gut treffen es allerdings nur die Akademiker unter den Ukrainern, die in Polen sofort in ein internationales Umfeld kommen. Schwerer haben es schon die Zigtausenden ukrainischen Studenten. Viele von ihnen finanzieren sich mit Jobs ein Studium an einer Privatuni, um in der Ukraine nicht zum Wehrdienst zu müssen. Die allermeisten Ukrainer in Polen jedoch kommen in unqualifizierten unter, auf dem Bau und in der Landwirtschaft - und häufig zu miserablen Bedingungen. Denn viele Firmen beschäftigen die Ukrainer illegal, um sich die Sozialabgaben zu sparen und um sie unter dem Mindestlohn bezahlen zu können. Der liegt derzeit bei 440 Euro brutto im Monat.

Um den Lohn geprellt

Immer wieder werden diese Ukrainer von ihren Chefs sogar betrogen, bekommen etwa den letzten Monatslohn nicht ausbezahlt. Wehren könnten sie sich dagegen kaum, sagt Jacek Bialas von der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte in Warschau. Dort sprechen immer wieder betrogene Ukrainer vor:
"Von uns erfahren sie dann, dass sie sich an die Polizei oder die Arbeitsinspektion wenden müssen - und was das für Folgen für sie hat. In der Regel verzichten sie dann auf eine Anzeige. Denn sie müssten Polen verlassen, weil sie ohne Genehmigung gearbeitet haben, und bekommen auch noch einen Stempel in den Pass, dass sie vorerst nicht wieder einreisen dürfen. Das bedeutet für sie einen langen Verdienstausfall, ein großes Problem."
Mitarbeiter der polnischen Gewerkschaft OPZZ haben deshalb nun auch eine Gewerkschaft für die Ukrainer in Polen gegründet. Denn wenn die Einwanderer schwarz arbeiteten und damit die Löhne drückten, gefährde das den sozialen Frieden, meint Piotr Ostrowski, einer der Initiatoren der neuen Gewerkschaft:
"Solches Lohndumping führt dazu, dass letztendlich alle zu schlechteren Bedingungen arbeiten müssen. Das kann dann zu nationalen Spannungen führen, weil die Polen den Ukrainern vorwerfen, dass diese ihnen Arbeitsplätze wegnehmen."
Ostrowski fordert deshalb, dass auch die polnische Regierung etwas unternimmt. Sie sollte zumindest besser kontrollieren, wie die Ukrainer in Polen leben, meint er.