"Überwachung ist ein weltweites Thema"

Frank Rieger im Gespräch mit Joachim Scholl · 29.12.2009
Die sich rasant entwickelnde Überwachungsmittel-Industrie werde es dem Staat auf lange Sicht ermöglichen, seine Überwachungsabsichten auch technisch umzusetzen, sagt Frank Rieger vom Chaos-Computer-Club anlässlich des derzeit in Berlin stattfindenden Chaos Communication Congresses.
Joachim Scholl: "Man könnte den Eindruck gewinnen, das Einzige, was zwischen uns und dem Überwachungsstaat steht, sind die technische Inkompetenz der Überwacher und das Bundesverfassungsgericht." Dieser starke Satz lief am Wochenende durch die Nachrichten, geäußert von Frank Rieger vom Chaos-Computer-Club und bester Auftakt für den 26. Chaos Communication Congress, der gestern in Berlin begann. Frank Rieger ist jetzt am Telefon, schönen guten Tag!

Frank Rieger: Guten Tag!

Scholl: Jene Äußerung könnte man als 2.0-Version der alten Spontiparole "Staat, hau ab" bezeichnen. Ist das in diesem Jahr ein politischer Kongress?

Rieger: Es ist in jedem Fall natürlich ein Kongress, in dem die politischen Themen stärker betont sind als sonst. Der Chaos-Computer-Club hat ja immer so sich zur Hälfte aus technischen und aus politischen Themen zusammengesetzt und dieses Jahr war es halt so, dass mit der Vorratsdatenspeicherung, mit der Internetzensur und halt der Debatte um den Bundestrojaner natürlich die, ich sage mal, die Szene sehr politisiert ist und auch eine Menge Leute dazugekommen sind, die sich vorher gar nicht mit diesen Themen so richtig beschäftigt haben und nun plötzlich davon betroffen sind.

Scholl: Aber Ihrer Aussage nach ist der Staat noch zu blöd, um all die Überwachungsabsichten durchzuführen?

Rieger: Na ja, gut, die Aussage, also der … Das Zitat ist natürlich halb scherzhaft gemeint. Es ist tatsächlich so, dass die [Anm. d. Red.: Auslassung, da unverständlich] staatlichen Softwareprojekte, wie wir es so kennen, so von Arbeitsamt und dergleichen Dingen mehr, meistens nicht von besonders großem Erfolg gekrönt sind – wenn wir jetzt zum Beispiel gerade noch mal an die Gesundheitskarte denken, die jetzt so den langsamen Techniktod stirbt, weil sie sie halt einfach nicht sinnvoll umgesetzt bekommen. Insofern, es ist halt natürlich, klar, ein noch … Also, man kann sich darauf nicht verlassen, dass die Überwacher auf alle Zeiten zu doof sein werden, das irgendwie richtig umzusetzen, im Gegenteil. Es ist halt so, dass die Industrie, die dahintersteht und die Überwachungsmittel verkauft, natürlich auch in rasendem Tempo sich entwickelt und zunehmend halt auch die rechtliche Debatte treibt, einfach dadurch, was technisch möglich ist.

Scholl: Hacker aus aller Welt versammeln sich auf diesem Kongress jetzt, natürlich auch virtuell, per Livestreaming. Ist das Thema Überwachungsstaat, wie es in Deutschland diskutiert wird, eigentlich auch ein internationales Thema?

Rieger: Ja, ist es in jedem Fall. Wenn wir uns Europa angucken, die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung findet eigentlich in allen europäischen Ländern statt. Andere Länder wie zum Beispiel Rumänien sind schon weiter als wir, in Rumänien hat der dortige Verfassungsgerichtshof die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. In anderen Ländern wie zum Beispiel Österreich ist es momentan noch so, dass die Österreicher es offenbar lieber auf ein EU-Verstoßverfahren ankommen lassen, als die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. In den USA ist die Debatte um Überwachung, sagen wir mal, im Inland ja doch irgendwie schon seit etlichen Monaten doll entbrannt, also, es ist tatsächlich ein weltweites Thema.

Scholl: "Here be dragons", so lautet das Motto des Kongresses in diesem Jahr, übersetzt vielleicht so: "Hier seien Drachen". Klingt erst mal kryptisch, was bedeutet "Here be dragons"?

Rieger: Na, das Motto stammt von alten Seekarten, wo Entdecker damals "Here be dragons" hingeschrieben haben, um zu sagen, hier könnte, na ja, weiß man noch nicht so recht, was da ist, da können Seeungeheuer sein, da können auch Schätze sein, da kann Abenteuer sein, man weiß es halt nicht so genau. Und wir fanden, dass wir dadurch, dass noch nicht so ganz klar ist, wo die Reise jetzt hingeht, wir dieses Motto dieses Jahr benutzen können.

Scholl: Ist ja drollig, hätte ich eher gedacht, klingt nach einem modernen Computerspiel. Wo wären denn solche weißen Flecken auf der Netzlandkarte, Herr Rieger?

Rieger: Na, die Flecken sind natürlich überall, wo die Zukunft spielt, also die Frage der Urheberrechte, also wie halt Urheberrechte vergütet werden, ohne dass irgendwie große Teile der Bevölkerung kriminalisiert werden, die Filesharing betreiben, die Fragen, wie geht man um mit solchen Problemen, dass halt übermäßige Überwachung angestrebt wird, aber Strafverfolgung vernachlässigt wird, natürlich die ganzen Technologiefragen, also, welche neuen Möglichkeiten gibt es zum Beispiel im Internet, wie wirken sich soziale Medien aus. Wir haben da eine sehr große Bandbreite von Themen, die halt auch teilweise sehr technisch sind, aber teilweise auch recht politisch und sozial.

Scholl: Noch mal zurück zur staatlichen Netzkontrolle, ganz kurz: Wie viel Vertrauen haben Sie denn in das Bundesverfassungsgericht, das nach Ihren Worten ja noch eine Bastion vor dem Überwachungsstaat bildet?

Rieger: Na ja, also, die Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht zur Vorratsdatenspeicherung hat uns doch eigentlich ganz positiv gestimmt. Die Richter haben zumindest sehr gut verstanden, worum es geht, wo die Problemlage ist, haben die Vertreter der Bundesregierung sehr nachdrücklich gefragt, wo denn jetzt die Grenzen der Speicherung sind, also, wann jetzt mal aufgehört werden soll, mehr zu speichern, Stichwort zum Beispiel Fluggastdaten. Und insofern sind wir da schon ganz optimistisch, dass die Richter da mal mit der richtigen Einstellung und den richtigen Fragen da rangehen. Wie am Ende das Urteil ausfällt, hängt halt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt natürlich von der europarechtlichen Komponente. Da müssen wir uns dann halt auch überraschen lassen.

Scholl: Der 26. Chaos Communication Congress, er läuft noch bis morgen in Berlin und im Internet. Ich danke Ihnen, Frank Rieger vom Chaos-Computer-Club, schöne Tage Ihnen noch und einen guten Kongress!

Rieger: Danke schön!