Überwachen und lauschen

Von Matthias Becker · 14.11.2012
Stundenlang auf die Monitore von Überwachungskameras zu starren, kann ziemlich eintönig sein. Eine neue Technik soll Wachleuten nun die Arbeit erleichtern: Die sogenannte Sonifikation macht Videoaufnahmen hörbar - und lenkt die Aufmerksamkeit auf verdächtige Vorkommnisse.
Ein Parkhaus in einer deutschen Großstadt. Ständig kommen neue Autos angefahren, andere verlassen das Gebäude wieder. Die Parkebene wird videoüberwacht. Normalerweise funktioniert das so: Die Kameras übertragen ihre Aufnahmen in eine Leitstelle. Dort sitzen Wachleute und starren auf Monitore. Doch schon nach wenigen Minuten lässt ihre Aufmerksamkeit nach. Besonders effizient findet Gunter Heidemann, Professor für Kognitionswissenschaft an der Universität Osnabrück, ist die gängige Videoüberwachung nicht.

"Ein Wachmann sitzt in der Überwachungszentrale einer Tiefgarage, und er hat mehrere Kameras, die überwacht werden müssen. Sagen wir zwanzig, dreißig Stück. Die zeigen so interessante Dinge wie 'Betonsäule von links' oder 'Auto von schräg hinten'. Und es passiert meistens nichts. Wenn plötzlich etwas passiert, ist das typischerweise vielleicht ein, zwei Sekunden lang, sagen wir ein Überfall, eine Handtasche wird weggerissen, und das soll er dann mitbekommen. Das sind Anforderungen an die menschliche Aufmerksamkeit, die man normalerweise kaum bewältigen kann."

Gunther Heidemann hat deshalb eine Software entwickelt, die den Überwachungskameras sozusagen das Hören beibringt. Sein Fachgebiet heißt Computer Vision, die automatische Analyse von Bilddaten.

"Das funktioniert auf der technischen Seite schon sehr gut, wenn das Szenario überschaubar ist. Also etwa in einer Tiefgarage, da hat man normalerweise kontrollierte Lichtbedingungen, da muss man nicht damit rechnen, dass plötzlich die Sonne aufgeht oder dass es regnet. Auf einem Parkplatz im Freien würde das allerdings schwieriger werden. Es geht aber auch."

Mittlerweile können Computer treffsicher gehende Personen von rollenden Fahrzeugen unterscheiden. Das Muster erkennende System von Gunther Heidemann wertet aber die Kameraaufnahmen nicht nur aus, sondern vertont sie gleichzeitig. Sonifikation heißt hier der Fachbegriff. Dadurch sollen die Wachleute unterstützt werden, erklärt der Informatiker.

"Hier kann die Sonifikation helfen, indem man Ereignisse akustisch darstellt, typische Töne, etwa das Geräusch von Schritten, die wir hier künstlich zu den Bildern dazu erfinden, einblenden, die kann dann jemand hören und wird damit, ohne hinzuschauen informiert, was auf dem Bild los ist."

Sonifikation bedeutet wörtlich Verklanglichung. Daten werden hörbar gemacht. Ein anerkannter Experte für diese Technik im deutschsprachigen Raum ist auch Thomas Hermann. Der Informatiker an der Universität Bielefeld betont, dass Sonifikation mehr als nur eine Spielerei ist.

"Das ist eigentlich sehr ähnlich zur Datenvisualisierung. Da werden Daten, welche ja letztlich nichts anderes sind als viele Zahlen, übersetzt in etwas, was für das Auge aufbereitet ist, eine Grafik. Und hier werden Daten in Klänge übersetzt. Diese Übersetzung passiert aber sehr systematisch, sodass wenn man eine solche Sonifikation hört, man über das Hören auch etwas über die zugrunde liegenden Daten lernen kann."

Statt Daten beispielsweise als rote oder grüne Balkengrafiken darzustellen, übersetzen die Wissenschaftler sie in Piepen, Tuten, Klicken und Rauschen. Das ist vor allem dann nützlich, wenn Beschäftigte mehrere Abläufe gleichzeitig im Auge behalten müssen – etwa im Fall der Videoüberwachung.

Gunther Heidemann:

"Man sucht sich also eine Stelle aus, wo man sitzen würde, und dann wird künstlich ein Geräusch erzeugt, etwa für eine Person, die dort entlang läuft. Wie würden sich die Schritte anhören, wenn ich an diesem Ort säße. Und das kann man dann per Stereo sehr einfach hören, die Person geht sagen wir von rechts nach links."

Ein Mann betritt die Parkebene und geht langsam auf ein Auto zu. Die Software erkennt, dass es sich um eine Person handelt, und erzeugt Schrittgeräusche, die wie das sich bewegende Objekt von rechts nach links wandern. Als der Mann bei einem parkenden Auto unschlüssig stehen bleibt und sich umsieht, verstummt auch die Sonifikation.

Natürlich wäre es auch möglich, die Videokameras vor Ort einfach mit Überwachungsmikrofonen zu ergänzen. Die Sonifikation hat aber den Vorteil, dass sie wie ein Filter wirkt. Sie lenkt die Aufmerksamkeit der Überwacher automatisch auf verdächtige Vorkommnisse. Auf welche Ereignisse und Objekte das System hinweisen soll, entscheiden die Nutzer selbst, sagt Gunther Heidemann.

"Das können die Anwender dann wirklich selbst tun, sich also einen Ort aussuchen, wo sie stehen wollen, was sie hören wollen: Will ich nur Personen hören, will ich etwa eine Tür auf- und zuklappen hören, will ich einen Lastwagen hören, will ich vielleicht ein besonderes Geräusch hören, wenn jemand sehr schnell rennt, der zum Beispiel davon rennt. Und das heißt, man ist also nicht mehr konfrontiert mit einer Vielzahl von Geräuschen, wo man sich furchtbar konzentrieren muss, sondern man kann sich wirklich aussuchen, was man eigentlich herausbekommen will."

Autos können beispielsweise mit Motorgeräuschen belegt werden – oder mit irgendeinem anderen Klang. Per Maus können die Wachleute bestimmte Regionen auf ihrem Bildschirm markieren, die sie besonders interessieren. Die Sonifikationsgeräusche werden dann in diesem Bereich mit einem speziellen Klangeffekt, zum Beispiel einem Hall, belegt.
Mit etwas Training hören die Wachleute auf diese Art sofort, wenn Personen einen bestimmten Bereich betreten – zum Beispiel ein Geschäft in einem Einkaufszentrum oder in einem Parkhaus die Reihe mit den Frauenparkplätzen.

Es gäbe bereits Interesse aus der Industrie, um die Software auf den Markt zu bringen, berichtet Gunther Heidemann. Die automatische oder halb-automatische Überwachung nennen ihre Entwickler gerne auch "intelligente Videoüberwachung". Ihr Einsatz ist allerdings nicht unumstritten. Denn die "intelligente Überwachung" taugt auch für das sogenannte Tracking. Der Weg bestimmter, angeblich verdächtiger Personen oder Fahrzeuge kann mit ihrer Hilfe automatisch verfolgt und aufgezeichnet werden.

"Da würde man natürlich auch Datenschutzbestimmungen beachten müssen. Aber im Prinzip wäre es natürlich möglich zu sagen, ich will etwa einen besonderen Alarm, ein besonderes Geräusch bekommen, wenn sich das rote Auto bewegt."
Mehr zum Thema