Überleben in der Überflussgesellschaft

Von Marlene Küster · 02.06.2005
Barbara Caveng ist keine Künstlerin, die nur in ihrem Atelier ihrer Kunst nachgeht. Die Schweizerin thematisiert gesellschaftliche Prozesse wie die Arbeitslosigkeit und die Armut. In ihrem letzten Projekt "Die A.R.M-Wohnung (A.R.M. = all recyled materials)" setzt sie sich für ein Überleben in der Überflussgesellschaft ein.
Barbara Caveng: "Es gibt in Berlin zu besichtigen eine A.R.M.-Musterwohnung, die ein Beitrag ist zur Strategie zum "Leben ohne Geld", das heißt alles, was sich in der Wohnung befindet besteht aus Materialien, die von der Straße kommen oder das eine oder andere von einem Recyclinghof. "

Edel sieht das Schlafzimmer aus. Die gesamte Einrichtung der Zweizimmer-Wohnung in Berlin Mitte hat die Schweizer Künstlerin Barbara Caveng kreiert, aber aus alten Möbeln, Müll und Abfall. Über dem N.O.T-Bett hängt etwa eine originelle Lampen-Kreation aus alten Matratzensprungfedern und darüber gestülpten Herrensocken.

Barbara Caveng: "Das, was gefunden wurde, wurde rein als Material genutzt, und es wurden komplett nicht nur Möbel gebaut, sondern es war der Versuch, auch Möbel zu designen. "

Die hellen Augen der Künstlerin mit den roten halblangen Haaren sprühen vor Energie. Sie ist voller Tatendrang, bezieht Stellung und reagiert auf gesellschaftliche Prozesse, die Einflüsse auf das Leben des einzelnen Menschen haben - zum Beispiel die Armutsdebatte und die hohe Arbeitslosigkeit. Arbeitslose haben immer mehr Zeit, aber auch immer weniger Geld. Diesen Menschen bietet die engagierte Künstlerin die entworfenen Baupläne der Möbel unentgeltlich an.

Karl (Besucher): "Zwangsläufig bin ich in der Situation, dass ich mit wenigen Mitteln versuchen muss, meine Wohnung schön zu gestalten, in der Situation bin ich und sehe mich hier um und sehe, dass viele Sachen schön gelöst sind. "

Jutta (Besucherin): "Ein paar Ideen finde ich so toll, dass ich sie jetzt bestimmt umsetzen werde, da ich jetzt auch umziehen werde, und mich dann neu einrichte, beispielsweise der Duschvorhang ist ne super Idee aus den alten Tüten und das Bett, mal sehen, ob man solche Balken findet ... dann versuch ich das auf jeden Fall nachzubauen. "

Barbara Caveng: "Wenn man von Armut spricht, spricht man nicht unbedingt zuerst von Schönheit. Wir leben aber in einer Gesellschaft, die sich wesentlich über Design definiert, indem wie wir auftreten, womit wir uns umgeben. Deswegen ist es ein Versuch, den persönlichen Raum zu retten, auch wenn gerade das Leben um einen selbst herum oder das Leben, das man in der Öffentlichkeit geführt hat - wenn man da gerade den Boden verliert. "

Auch öffentliche Einrichtungen wie Obdachlosentreffpunkte oder Kindergärten könnten von ihrem Angebot profitieren und sich die Einrichtung kostengünstig erneuern. Und wer etwas mehr Geld hat, kann die fertigen Stücke auch kaufen. Durch das Gesamtkunstwerk der 1963 in Zürich geborenen Künstlerin zieht sich wie ein roter Faden das soziale Engagement und das Interesse, wie sich öffentliche Prozesse auf das Leben einzelner Menschen auswirken.

Barbara Caveng: "Die Arbeit ist immer weniger zu etwas geworden, was in einem Atelier stattfindet und dann als fertiges Werk präsentiert wird, sondern der Prozess der Entstehung hat einen immer größeren Raum eingenommen und ist letztendlich der Bestandteil des Werkes. "


Anfang der neunziger Jahre kommt Barbara Caveng nach Saarbrücken, das eine wichtige Etappe in ihrem Leben als Künstlerin wird. Dort erregt sie in ihrer Sturm- und Drangzeit mit einem Frühwerk Aufsehen.

Barbara Caveng: "Das war eine Figur, die hieß Respecta, eine überdimensionierte Frauenfigur, zusammengesetzt aus Klischees, vier Meter groß mit einem Durchmesser ihres Pos von 2,60 Meter und die thronte vor dem Saarbrücker Rathaus. Das hat damals eine solche Wallung verursacht, dass das Rathaus ein Telefon einrichten musste, dass der Hausmeister sich nicht mehr zu wehren wusste. "

Inzwischen hat sie an zahlreichen Ausstellungsprojekten im In- und Ausland mitgewirkt. Ihre Installationen wurden zum Beispiel im Haus der Kunst in München, im Art Museum Akurery in Island und auf dem Festival of Visions in Honkong gezeigt. Vor zwei Jahren realisierte sie das Projekt "Ready Now" vor dem Hintergrund des drohenden Irak-Krieges.

Die Idee dafür bekam sie von dem Foto, auf dem 500 US-Soldaten am Deck des Flugzeugträgers Abraham Lincoln mit ihren Körpern den Schriftzug "Ready Now" bilden. Barbara Caveng wollte die Ohnmacht gegenüber dieser militärischen Präsenz ausdrücken und die Frage nach der kulturellen Identität stellen. Dazu lud sie 246 Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit aus über 50 Nationen in ihr Atelier ein, um gemeinsam den Teppich zu knüpfen und sich dabei zu unterhalten. Die Gespräche zeichnete sie auf.

Barbara Caveng: "Dieses Projekt hat dann ein Jahr gedauert, tagtäglich kamen Menschen in mein Atelier. Die Menschen, die kamen, kannten sich ja nicht, die wussten nicht, wer kommt jetzt auch noch und das was passierte, das waren, dass diese Leute, die sich gegenüber saßen, sich etwas erzählen konnten und sich Fragen stellen konnten. "

Barbara Caveng interessiert auch hierbei nicht nur die reine Kunst. Kunst ist und bleibt für sie ein Mittel, um auf gesellschaftliche Prozesse zu reagieren und Einfluss zu nehmen.