Überfordert vom vermeintlichen Glück

Von Christoph Leibold · 30.09.2010
Der Akzent in dieser Bühnenadaption ist klug verschoben: Weg von der altmodischen Tragödie einer Ehebrecherin, hin zum Dilemma eines modernen Individuums, das sich frei für sein Glück entscheidet und dabei sein Unglück verschuldet.
Ehebruch? Allein das Wort klingt heute fast schon antiquiert. Zu Tolstois Lebzeiten, war das, was seine Titelheldin Anna Karenina tat (den Ehemann verlassen für einen Geliebten nämlich) noch strengen gesellschaftlichen Sanktionen unterworfen. Heute, wo bald jede zweite Ehe geschieden wird, sind freie Partnerwahl und -wechsel normal. Doch mit der Freiheit wächst die Eigenverantwortung. Und damit der Druck, alles richtig zu machen, um glücklich zu werden.

In der Bühnenadaption von Tolstois "Anna Karenina" am Münchner Volkstheater ist klug der Akzent verschoben: Weg von der tendenziell altmodischen Tragödie einer Ehebrecherin, hin zum Dilemma eines modernen Individuums, dass sich frei für sein Glück entscheiden will und dabei sein Unglück verschuldet.

Diese Verschiebung verdankt sich zum einen der Textfassung von Armin Petras, die die weitverzweigte Handlung samt breit angelegtem Gesellschaftstableau gezielt auf den wesentlichen Handlungskern und sieben zentrale Figuren reduziert; und zum anderen der Regie von Frank Abt.

Allein wie Frank Abt das Aufeinandertreffen von Anna und ihrem Liebhaber Wronski inszeniert, wie Robin Sondermann in überbordendem, ja fast verkrampftem Enthusiasmus auf Barbara Romaner einstürmt, und wie sie verstört, verschüchtert darauf reagiert – allein das erzählt Bände von der Überforderung, die die Ermächtigung, das eigene Glück in die Hand zu nehmen, bedeuten kann.

Trotz dieser bitteren Erkenntnis ist diese rundum geglückte Theaterarbeit nie zynisch, sondern geprägt von großer Menschlichkeit, auch von leiser Komik. Und: getragen von einem hinreißend zusammenspielenden Ensemble.