Über Zugehörigkeit und Ausgrenzung

Von Siegried Wesener · 18.03.2011
"Übersetzung ist die Sprache Europas" hat Umberto Eco einmal gesagt. In 114 Sprachen wird auf unserem Kontinent gesprochen, und in Leipzig gilt gerade den kleinen Sprachen besondere Aufmerksamkeit. Zu Gast waren unter anderem auch 40 serbische Autoren.
Im Autoren-Special zur Messe haben sechs Schriftsteller Essays über ein anhaltend aktuelles Thema geschrieben: "Zuhause in der Fremde, Versuche zur Integration". Im "Cafe Europa" stellten die in der Vojvodina geborene Schweizerin Melinda Nadj Anbonji, Trägerin des Deutschen Buchpreises 2010, oder der in Tel Aviv geborene Doron Rabinovici ihre Texte über Zugehörigkeit und Ausgrenzung vor. Aris Fioretos aus Schweden, Sohn griechisch-österreichischer Eltern und inzwischen in Berlin lebend, will nicht über Worte wie Heimat nachgrübeln. Er sieht sich – wie er heute bei der Vorstellung seines Textes sagte, als Europäer: "Ich glaube, Fremdsein ist nicht unbedingt ein Gefühl, das geographisch zu verstehen ist."

Sein heute vorgetragener Text hat den merkwürdigen Titel "Die Hüften meiner Großmutter". Eine nachgetragene Liebe gegenüber der Wiener Großmutter. Erst spät entschlüsselte Aris Fiotetos für sich ein vertrautes Geräusch.

Im Spannungsfeld der Autonomie des Schriftstellers und eines repräsentativen Auftritts für ihr Land bewegen sich auf der Messe die serbischen Gäste. Hier begegnen sich Exilautoren, prominente Dichter aus der neu gegründeten Republik Serbien und auch kroatische Schriftsteller, die in verwandten Sprachen sprechen und doch auf den Unterschieden bestehen. Um die Veränderungen auf dem Balkan, neues Nationalbewusstsein und alte Wunden zu verstehen, sollte man vor allem zu den Büchern greifen. In über 30 Neuübersetzungen lohnt es sich, Geschichten und Figuren zu entdecken, die von Mut, Verzweiflung, Aufbegehren erzählen, von den Absurditäten des Alltags heute. Unter den 40 serbischen Autoren, die nach Leipzig gekommen sind.

"Ich bin sehr zufrieden mit dieser Auswahl", sagt Bora Cosic, der mit wachem Blick die serbische Literaturszene beobachtet:

"Es gibt einige der jüngeren Autoren, die sich auf diese Zeit legen, die über Krieg schreiben, über die schwierige Geschichte am Ende des 20. Jahrhunderts. Aber, es gibt auch einige, die sich anderen Themen widmen, normalen, menschlichen, dem Leben im Ganzen, was universell, heutigen Themen, was ich positiv finde als Zeichen der Genesung der Literatur und der Gesellschaft im Allgmeinen."

Für den wieder in Belgrad lebenden Bora Cosic, ist die Rückkehr in die serbische Literaturszene auch eine Heimkehr in das eigene Leben. Der Autor ist wegen der Komik und Melancholie in Büchern wie "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution" in Deutschland gefeiert.
Die alle überstrahlende Figur der serbischen Literatur ist noch immer Ivo Andic. Für den Roman "Die Brücke über die Drina", der gerade bei Zsolnay in einer Neuübersetzung erschienen ist, wurde er vor 50 Jahren mit dem Literaturnobelpreis geehrt. In Körpergröße und quasi als "Türöffner" ist er am serbischen Messestand gegenwärtig, eine kleine Ausstellung in Halle 4 ehrt den serbischen Diplomaten Andric. Wer etwas über die bosnische Geschichte wissen möchte, über das Zusammenleben von Moslems, Juden, Christen findet hier eine Brücke zum Verständnis von Unterschieden in Orient und Okzident.

Bisweilen, so scheint es hier in Leipzig, übersetzen Blicke und Gesten deutlicher, als Worte es könnten, die Empfindungen in den Gesprächen. Um den Balkan-Diskurs mitzubestimmen, kommen Autoren wie Nicol Ljubic, der in Deutschland lebt und kroatische Wurzeln hat, zur Buchmesse. In seinem Roman "Meeresstille" hat er gewissermaßen die Treffen in Leipzig poetisch vorweggenommen. Er beschreibt eine Begegnung zwischen der Tochter eines serbischen Kriegsverbrechers und einem jungen Kroaten während eines Kriegsverbrecherprozesses in Den Haag.

Zum Abschluss des heutigen Messetreibens vergaben die Literaturhäuser ihren Preis an eine Dichterin und Übersetzerin, an die Nestorin der lyrischen Avantgarde in der DDR, Elke Erb. Die 1938 in der Eifel geborene Lyrikerin gehörte zum engeren Kreis der "Sächsischen Dichterschule". "Zwischen den Seiten steckt mehr Meskalin als unsere Schulweisheit zugeben kann", schrieb Sarah Kirsch im Vorwort zu einem Gedichtband von Elke Erb. Und sie lässt das "Reich des Gebotenen" noch immer links liegen.

Mit dem Preis zeichnen sich die Literaturhäuser auch selbst aus, denn er muss in den nächsten Wochen von Elke Erb eingelöst werden zwischen Rostock, Berlin, München, Basel und Salzburg. Auch wenn sie in ihrem Tagebuch "Crux" im Januar 2001 festhält: "Man rechnet nicht mit der Nomadin in sich. Es erscheint ihr Lyrik im Park zu lesen besonders vernünftig."