Über die Zukunft des investigativen Journalismus

Von Michael Meyer · 02.06.2012
Wie steht es um den Journalismus in Deutschland? Darüber diskutierten über 700 Journalisten bei der Jahrestagung des Netzwerks Recherche beim NDR in Hamburg.
Investigativredaktionen sind seit einigen Jahren das große Ding in Deutschlands Verlagen – allerdings nur bei jenen Blättern, die sich solche "Task Forces" leisten können - und das sind im Wesentlichen: "Die Welt", der "Stern", die "Süddeutsche" und "Die Zeit". Die sogenannten Leuchtturmmedien, deren Leser lange Geschichten schätzen. Eine durchaus positive Entwicklung findet Hans Leyendecker, der bei der "Süddeutschen" das Investigativresort leitet:

"Das zeigt zum einen, dass man Recherche anerkennt als wesentliches Element des Journalismus - es ist aber auch ein Stück Marketing für einige Blätter, aber auch für einige Sender, das man sich damit schmückt, das man die angeblich Furchtlosen hat, die versuchen, jemandem hinterher zu steigen, herauszufinden, was dunkle Mächte verbergen - da ist auch ein Stück Show dabei. Man muss aufpassen bei diesen Investigativgeschichten, dass wir nicht oft ein Wettrennen haben um das Nichts."

Mit anderen Worten: Nicht jede hervorgekramte Geschichte einer Steuerhinterziehung eines Abgeordneten oder eines Bestechungsfalls im Fußball ist automatisch auch schon gesellschaftlich relevant. Aber, so Leyendecker, die Anerkennung für Recherche ist größer geworden. Es gebe neue Modelle, wie etwa Datenjournalismus, also die Auswertung von Statistiken, Daten und Zahlen, die eine ganz neue Geschichte ergeben können.

Dennoch, so Leyendecker, der deutsche Journalismus versage auch immer wieder, etwa im Fall der rassistischen Morde der Thüringer "NSU-Zelle" und dem Mord an der Polizistin Kiesewetter. Einige Medien hatten spekuliert, die Spur führe ins Sinti- und Roma-Milieu. Da zeige sich, dass das "Rattenrennen", wie Leyendecker es formuliert, nicht immer zu den besten Ergebnissen führe:

"Klassisch war in der NSU-Geschichte, also der Zwickauer Terrorzelle, was war mit dem Hintergrund der Kiesewetter-Familie, ist zwar sehr spezifisch, aber auf einmal kommt derjenige durch öffentlich, der die kühnste, falscheste These hat. Und so selten ist das nicht, wenn man sich das Phänomen mal anguckt, es gibt eine Menge Geschichten, von denen man sagen muss, besser, sie wären nie gedruckt worden."

Das Thema Rechtsradikalismus ist ohnehin ein gutes Beispiel dafür, wie dünn die Luft wird, wenn es um die Recherche in wirklich gefährlichen, bedrohlichen Bereichen der Gesellschaft geht. Bundeweit gibt es nur rund ein Dutzend Journalisten, die sich wirklich intensiv mit dem Thema befassen und auch in der Szene recherchieren. Eine von ihnen ist Andrea Röpke, die bereits in allen wichtigen Medien publiziert, und auch bereits einige Filme für die ARD realisiert hat. Andrea Röpke sagt, dass man in diesem Themenbereich mit Kollegen kooperieren müsse - da sei mit Konkurrenzkampf nicht viel gewonnen:

"Wenn wir wissen, der eine befasst sich gerade mit der Deutschen Burschenschaft, der andere mit militanten Neonazis, dann arbeitet man sich da ein bisschen zu und nimmt sich da durchaus was ab. Andererseits ist es so, dass wir natürlich den Anspruch haben, vor Ort zu recherchieren, das Bild zu machen, vor Ort zu recherchieren, wir brauchen das Bildmaterial, das ist schon kostenintensiv. Dann hat man natürlich immer mal wieder Pleiten, man fährt umsonst hin, muss noch mal hin ... .Aber insgesamt ist es schon so, dass je länger man das macht, das man versucht, effektiv zu arbeiten, sodass das Ganze nicht Unsummen erreicht."

Das Problem ist: Auch höchst spannende, investigativ recherchierte Geschichten unterliegen gewissen Moden - derzeit ist der Rechtsradikalismus wegen des Falls der Zwickauer Terrorzelle wieder hoch oben auf der Agenda, das kann sich aber auch schnell wieder ändern. Da kann eine Geschichte noch so relevant sein, manchmal kommt sie dennoch nicht ins Blatt oder auf den Schirm.
Im Online-Journalismus ist der Hang zum gehetzten, kurzen Nachrichtentext besonders groß – selbst bei angesehenen Blättern wie dem "Spiegel" wird man auf den Webseiten nicht jene tiefgründigen Geschichten finden, wie man sie im Blatt lesen kann. Die Neigung in Online-Redaktionen, nur noch wenig rauszugehen und das meiste vom "Desk", also aus der Redaktion herauszumachen, sei eine Gefahr, meint "Spiegel"-Reporter und zweiter Vorsitzender des Netzwerk Recherche Markus Grill:

"Es ist die Verlockung des Internets, nämlich im Internet ganz schnell mit ein paar Mausklicks an Informationen ranzukommen, da prüft man vielleicht gar nicht mehr: Wie solide und wie zuverlässig sind diese Informationen,weil es macht schon einen Unterschied, ob man über jemanden mal was googelt oder ob man sich mit jemandem trifft und mit ihm spricht und auch Zeit für ein Gespräch hat. Recherchejournalismus bedeutet einfach auch, sich mit Leuten zu unterhalten, sich mit Leuten zu treffen und den Computer mal auszuschalten."

Derzeit, so Grill, sei es noch immer so, dass nur der Print-Journalismus auf längere Geschichten und Recherchen setze - denn dort wird bislang mehr Geld umgesetzt. Daher müsse man sich abgrenzen, meint Grill:

"Ich bin überzeugt davon, wenn die Leute für eine Zeitung, ein Magazin, zwei Euro, drei Euro, vier Euro ausgeben sollen, dann brauchen sie einen Mehrwert, dann brauchen sie irgendwas, was sie eben nicht bekommen auf den Internetseiten der bisherigen Medienmarken. Und ich glaube, die Lösung muss da sein, dass man tiefgründigere, besser geschriebene Recherchen, Hintergrundberichte, Analysen macht, was auch angenehm zu lesen ist, was einen weiterbringt, das man das Gefühl hat, hier ist hochwertiger Journalismus, der einem auch einen Erkenntnisgewinn verspricht."

Ein hoher Anspruch, der im Alltag längst nicht immer einzuhalten ist. Kritiker monieren, dass der Verein "Netzwerk Recherche" seinen eigenen Ansprüchen nicht immer gerecht wird: Seit Monaten ist der Verein im Gerede wegen falsch verbuchter Spendengelder und gezahlten Honoraren ohne Gegenleistung, die in die Verantwortung des ehemaligen Vorsitzenden Thomas Leif fallen sollen. Doch angeblich sollen diese Vorgänge bereits seit Jahren bekannt sein – so war jedenfalls in verschiedenen Medien zu lesen.

Markus Grill sagt dazu, dass nichts davon zuträfe und derlei Berichte gezielt gestreut würden. Doch in jedem Fall wäre für die Zukunft mehr Transparenz angezeigt, ebenso wie "Netzwerk Recherche" es von anderen Institutionen einfordert.

Die "Verschlossene Auster", jener Preis, den der Verein jedes Jahr einer Institution verleiht, die besonders intransparent ist, und sich Journalisten weitgehend verweigert, ging dieses Jahr an den Weltfußballverband , die FIFA. Dieser habe sämtliche Recherchen zum Thema Korruption in den eigenen Reihen behindert. Sicher im Vorfeld der Fußball-EM keine schlechte Wahl für diesen Preis.