Über den Tellerrand geschaut

Vom biopolitischen Nährwert der grünen Gentechnik

Ein Gemüse-Korb mit Fenchel, Schnitt-Lauch, Kürbissen und Auberginen.
Wie kann man gute von schlechten Lebensmitteln unterscheiden? © picture-alliance / dpa / Jens Büttner
Von Julia Diekämper · 26.11.2015
Grüne Gentechnik ist in Deutschland hoch umstritten. Aber was genau ist hier ablehnungswürdig: das Produkt, der Prozess der Herstellung? Eine Spurensuche zeigt, warum der unbedingte Wert des Natürlichen als Gegensatz zum Künstlichen kaum aufrecht zu erhalten ist.
Dana: "Hey, guys."
Beide: "Hello."
Dana: "My name is Dana, I'll be, uh, taking care of you today. If you have any questions about the menu, please let me know."
Sie: "I guess I do have a question about the chicken if you could just tell us a little more about it."
Ein Mann und eine Frau sitzen in einem Restaurant. Ihr Ethno-Kleid passt prima zu seiner lockigen Haarpracht. Sie interessieren sich nicht nur für einander. Ihre Leidenschaft gilt auch dem in Aussicht gestellten Abendessen. Sie wollen alles über das auf der Karte annoncierte Huhn wissen, seinen Namen kennen und seine "Papiere" sehen. So gehen sie sicher, dass es - natürlich - aus traditioneller Züchtung stammt, erfahren von seinen Ernährungsgewohnheiten, und vor allem, ob alles, womit es jemals zu tun hatte, "bio " war.
Er: "I guess this is, this is local?"
Dana: "Yes, absolutely."
Dana: "Ah, his name was Colin. Here are his papers."
Klar, übertrieben. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus der US-Serie "Portlandia", die wie keine andere den ökologischen Eifer der biobewussten Mittelschicht karikiert. In der Übertreibung allerdings steckt aber mehr als die Aufforderung zum Amüsement. Schließlich: Wir leben modern. Einige sogar: postmodern. Doch wenn es darum geht, was auf den Tisch und genauer: auf unsere Teller kommt, dann sind es alte Bauernhäuser und Omas mit Kittelschürze, denen wir bereitwillig glauben.
Wenigstens hier auf "Nummer sicher" gehen
Wir werden zu Traditionalisten, zu konservativen Verfechtern der guten alten, ländlich-bäuerlichen Zeit. Hauptsache: "natürlich"; Hauptsache: "Bio"; Hauptsache: "gesund". Als Bewohner der Risikogesellschaft wollen wir wenigstens hier auf "Nummer sicher" gehen. Dafür sind wir bereit, der großen kulturellen Erzählung vom Wert des Natürlichen, von der guten, transparenten Produktion und der Freiheit von "böser" Technik zu glauben. Aber je näher man diese kulturelle Erzählung betrachtet, desto poröser wird sie.
Die trügerische Sehnsucht nach dem Natürlichen.
"In Zeiten, in denen die Natur immer stärker zivilisiert wird, überbaut, überhöht, verstädtert, wird eine gewisse Restsehnsucht nach der unverstellten Natur, nach der puren Natur.."
Sagt der Philosoph und Bioethiker Dieter Birnbacher:
"Das kennen wir aus der Natur-, aus der Jugendbewegung, aus der Naturschutzbewegung. Die kommen immer dann auf, wenn das ursprüngliche Verhältnis zur Natur weitgehend verloren ist. Die Ernährung aber ist noch ein ganz besonderer Fall, weil hier ja gewissermaßen unsere eigene körperliche Natur auf Natursubstanzen angewiesen ist. Und wir haben ganz überwiegend doch das Bedürfnis, sicher zu sein, dass das, was wir zu uns nehmen, dass das nicht so technisch zubereitet, verfälscht ist."
"Ein Teil einer Suggerierung von Qualität"
In Auftrag gegeben hatte "I love" 2012 das Einzelhandelsunternehmen Coop, um seine Biomarke "Naturaplan" zu bewerben. Das zu diesem Zweck produzierte Video geizt nicht mit stereotypen ländlichen Impressionen: Der Hahn auf dem Misthaufen, die Jungs auf dem Traktor, das Mädchen mit wehendem Rock im Feld.
Und das Konzept ging auf: Nach der Veröffentlichung gelangte das Lied nicht nur auf Platz 1 der Charts, sondern es ist zugleich der Nummer 1 Hit unter den Restsehnsuchtsverstärkern, die unsere Kaufentscheidung lenken sollen.
"Die Bilder von Bauernhöfen, von Äckern und Wiesen, die werden heute ja gerade an die Stadtbewohner herangetragen als Ersatz, als Ersatz für den fehlenden Bauernhof oder den Bauernhof, den man noch nie gesehen hat."
Stefan Gabriel Haufe ist Kulturanthropologe und arbeitet im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
"Das ist ein Teil einer Suggerierung von Qualität, weil Qualität bei Lebensmitteln vor allen Dingen durch technische Standards entsteht, hergestellt wird und auch durchgängig, kontinuierlich verhandelt wird. Lebensmittelqualität, so wie sie heute ist, ist Ergebnis von Aushandlungsprozessen innerhalb unserer Gesellschaft, aber gezielt beeinflusst von bestimmten Lobbyinteressen und der Verbraucher kann diesen Ergebnisprozess kaum als Ergebnis bekommen oder als Beschreibung eines Qualitätsmerkmals."
Versprechen einer überschaubaren, geordneten, gesunden Welt
Die an die Naturbilder geknüpften Erwartungen sind ein Versprechen. Ein Versprechen einer überschaubaren, geordneten, gesunden Welt und ein Qualitätsversprechen, das unmittelbar wirksam ist. Auch wenn die Realität eine andere ist.
"Sie müssen gute Gefühle erzeugen, Wohlfühlen erzeugen, einen bestimmten Geschmack ansprechen, aber auch das Sicherheitsbedürfnis des Verbrauchers ansprechen und das passiert natürlich auch über positiv besetzte Bilder. Wenn ich von Qualität spreche, muss ich immer den Unterschied machen zwischen der Prozessqualität und der Produktqualität, um die geht es vor allem heute also: Wie ist ein Produkt hergestellt worden, wie ist es entstanden. Und in der Produktqualität: Welche Eigenschaften hat es? Die Bilder, die wir haben, suggerieren eben auch einen guten Prozess."
Sicherheit gewinnen in unsicheren Zeiten, das ist ein Grundbedürfnis des modernen Menschen mit seinen immer größeren Handlungs- und Entscheidungsspielräumen. Spielräumen, mit denen das Risiko wächst. Gerade wenn es das betrifft, was auf den Teller kommt.
"Jeder weiß natürlich, dass die Nahrungsmittel, die wir zu uns nehmen, zu einem großen Teil aufbereitet sind, mit Hightech-Verfahren, zum Teil mit gentechnischen Verfahren, auch wenn keine Gentechnik gewissermaßen mehr nachweisbar ist. Dass die aufgrund einer raffiniertest vorgehenden Lebensmitteltechnologie so präpariert sind, dass sie den Eindruck der Frische, Natürlichkeit möglichst lange erhalten. Denken Sie an die Behandlung von Obst, die ja natürliche Frische vermitteln soll und mit Vitaminen, gesunder Ernährung, assoziiert wird. De facto weiß aber jeder, dass es eine Industrie gibt, die modernste Technologien einsetzt um genau diesen Eindruck zu erzeugen."
Hier werden Geschäfte gemacht
Die Naturbilder kulminieren in der Bezeichnung "Bio". Dieses Heilsversprechen ziert mittlerweile so viele Lebensmittelverpackungen, dass das Versprechen, "Bio" zu sein, nur bedingt hilfreich ist, um gute von schlechten Lebensmitteln zu unterscheiden. Was genau fügen diese drei Buchstaben der großen kulturellen Erzählung hinzu? Die Antwort findet sich auf einer Milchtüte:
"Mit allen Sinnen entdecken: Besuchen Sie die Gläserne Molkerei! In Münchehofe im Spreewald und in Dechow im UNESCO Bioshärenreservat Schaalsee können Sie erfahren, was Sie über die Herstellung von Milch, Butter, Joghurt und Käse wissen wollten."
"Hier ist der Käsefertiger. Dahinten machen wir Schnittkäse. Dahinten sehen Sie noch die offenen Schnittkäsewannen. Das der Schlosskäse. Das ist mein Favorit. "
Kirsten Böhmann, Geschäftsführerin der Gläsernen Molkerei, führt durch das Unternehmen: Naturholz und vor allem riesige Glasscheiben prägen die Fassade, ein luftiges, durchlässiges Gebäude mitten im Spreewald, dessen Botschaft Transparenz ist. Hier wird Prozessqualität versprochen, sie ist der Kern des Bio-Postolats.
"Die Gesellschaft wurde 2001 gegründet. Mein Vater hat sie gegründet. und er hatte die Idee, chargenweise Bio-Milch zu Sahne zu verarbeiten und zu verkaufen im klassischen Lebensmitteleinzelhandel. Wir haben also nicht angefangen mit einer Marke im Naturkosthandel, sondern in den klassischen Supermärkten, weil das auch unsere Überzeugung war von Anfang an: Dass man das auch da kaufen müsste und nicht nur in den Bio-Läden."
Bioproduktion heute ist eben nicht nur ein ideelle Liebhaberei. Hier werden auch Geschäfte gemacht. Kirsten Böhmann:
"Es ist ein langfristiges Engagement. Wir glauben aber, dass das weiter wachsen wird. Und so sind ja auch die Zahlen: Der Lebensmittelmarkt in Deutschland ist ja rückläufig wird weniger konsumiert. Aber: Bio wächst. Bio hat immer noch ein Wachstum von acht Prozent."
Der Herstellungsprozess ist entscheidend für das Bio-Versprechen
Weil Ernährung Fragen berührt, wie man etwa zur Tierhaltung oder zum Klima stehen, ist das, was auf dem Teller landet, konkret mit der Frage verbunden, in welcher Welt wir leben wollen. Wenn wir das Richtige essen, verhalten wir uns in einem umfassenden Sinn gut. Etwa zu den Tieren: Keine Massentierhaltung, Keine Antibiotika. Oder zur Umwelt: saubere CO2-Bilanz, Existenzmöglichkeiten für Kleinbauern, Biodiversität. Dieter Birnbacher:
"Man muss ganz grundsätzlich differenzieren zwischen der Unnatürlichkeit des Prozesses, der Künstlichkeit des Prozesses, der dann möglicherweise zu einem naturidentischen Produkt führt. Denken Sie an künstliche Obstaromen, die Sie im Joghurt wiederfinden. Sie haben dann doch vielleicht einige natürliche Stückchen Himbeere oder Erdbeere, die Ihnen den Eindruck vermitteln, es handle sich hier um ursprünglich geerntete Erdbeeren. Diese Assoziation ist gar nicht unwichtig. Aber was sie an chemischen Stoffen in dem Produkt finden, ist naturidentisch, ist also nicht unterscheidbar von der natürlichen Substanz. Es kann sich jeder ausrechnen, dass wir gewissermaßen die Landschaft mit Erdbeeren pflastern müssten, um diese Mengen an Erdbeerjoghurt auf den Markt zu bringen, die tatsächlich verfügbar sind."
Der Herstellungsprozess ist entscheidend für das Bio-Versprechen. Der allerdings ist weder einer Birne noch der Milch anzusehen. Um ihn kenntlich zu machen, gibt es eindeutige Hinweise. Lebensmittelverpackungen sind mittlerweile übersät mit Labels. Vor allem sie transportieren das Versprechen des wirklich umfassend guten "BIO"! Doch wie durchblicken in diesem Schilder-Wald? Worauf achten Sie?
"Auf die Anbauverbände, schon. Also Demeter und so. Im Bioladen bin ich mir da ziemlich sicher."
"Ja, biologisch angebaut. Umland."
"Wenn 'Bio' draufsteht, gehe ich davon aus, das Bio drin ist."
"Da wo Bio drauf steht, muss nicht Bio drin sein. Das wissen wir alle."
"Es gibt so viel Biosachen, dass man nicht mehr weiß: Wo ist wirklich Bio drin. Es gibt so viele Biomarken."
"Kein starkes Siegel für ökologische Qualität. Ein Kompromiss"
Im Jahr 2001 wurde das Bio-Siegel als Güte- und Prüfsiegel vom deutschen Verbraucherschutzministerium beschlossen und kann seitdem für alle Bio-Produkte verwendet werden, die "gemäß EG-Öko-Verordnung" erzeugt, verarbeitet oder in die Europäische Union importiert worden sind. Seit 2010 ist das grüne Emblem mit den weißen Sternen als EU-weites, verbindliches neues Bio-Siegel zusätzlich im Verkehr.
Eines der Bio-Siegel auf einer Limette.
Eines der Bio-Siegel auf einer Limette.© picture alliance / dpa / David Ebener
Heute tragen viele Produkte beide Siegel, was de facto keine Mehrinformation enthält, aber wie ein "Geschmacksverstärker" funktioniert: wo mehr Bio draufsteht, muss auch mehr Bio drin sein.
"Es ist natürlich gar kein starkes Siegel für ökologische Qualität. Es ist ein Kompromiss."
Meint Stephan Gabriel Haufe vom Bundesumweltministerium.
"Ich hab immer gesagt, dass sind immer Verhandlungsergebnisse. Da stehen viele Interessen dahinter, die ein Siegel am Ende dann ausmachen. Aber es ist einprägsam, man kennt es, die Buchstaben stehen für eine bestimmte Auffassung, die etwas ökologischer ist. Es geht um Prozessqualität."
"Bio ist ja ganz klar gesetzlich definiert. Die wesentlichen Punkte, die man herausstellen muss, ist: Der Weidegang, verpflichtend muss die Kuh die Möglichkeit zum Weidegang haben, nicht jeden Tag, auch im Winter sind Bio-Kühe im Stall, aber sie müssen Weidegang haben und die Möglichkeit, Grünfutter selbst aufzunehmen, fressend aufzunehmen. Auf der Weide.
"Wenn Sie natürlich fragen: Was macht das denn aus dieses Siegel? Was steckt denn dahinter? Wer kontrolliert das eigentlich, dass die Eigenschaften von dem Umweltzeichen oder dem Bio-Siegel wirklich eingehalten werden, dann wird das wohl kaum jemand wissen. Sondern, dann glaubt man, abstrakt, daran, dass das funktioniert, bis der nächste Skandal dann das Gegenteil aufdeckt. Und das müssen Sie natürliches alles immer wieder kommunizieren. Sie sind da in einer Dauerschleife an Kommunikation, an Werbung, an der Bezeugung einer guten Qualität, dem Bezeugen einer Ehrlichkeit und auch echter Kontrolle."
"Wir selbst kontrollieren ja die Landwirte nicht. Wir können dahin fahren und die Ställe anschauen, dass wir ein Gefühl dafür bekommen, aber grundsätzlich besteht ja kein Unterschied in der Analytik bei Bio und nicht-Bio. Der einzige Unterschied sind die Omega-3-Fettsäuren, die bei Grünfutter höher sind."
Das Bio-Versprechen funktioniert – trotz seiner Undurchschaubarkeit
Zusätzlich bieten Supermärkte, Discounter, Bio-Supermärkte und Reformhäuser Öko-Lebensmittel unter eigenen Handelsmarken an. Dabei legen sie zum Teil Qualitätsstandards fest, die höher sind als die Anforderungen der EG-Öko-Verordnung. Manche Handelsmarken erfüllen auch die Kriterien der Anbauverbände, ohne das Verbandszeichen zu verwenden. Für Verbraucher ist dies dann jedoch nicht erkennbar. Wie läuft dann eine solche Zertifizierung ab?
"Wir haben vier Leute, die das nur machen. Diese Bio-Zertifizierung sind immer zwei Tage und dann kommt noch die Lebensmittelsicherheit hinzu. Das ist ein Standard, den die Lebensmittelindustrie entwickelt hat, der aber nur um die Sicherheit des Lebensmittel geht, nicht um die Bio, sondern um die Reinheit und die Rückstände, Rückstandsproblematik, keine Fremdstoffe und so weiter. Das findet auch jedes Jahr statt, die kommen immer drei Tage und die kommen immer auch unangekündigt."
Das Bio-Versprechen funktioniert – trotz seiner Undurchschaubarkeit, denn kaum ein Verbraucher kann die Siegel und Verfahren auseinanderhalten. Diese Versprechung – angetreten mit der großen Forderung nach Transparenz des Herstellungsprozesses von Lebensmitteln – endet in einem Lable-Nebel. Bio – das ist vor allem eine vertrauensbildende Maßnahme zwischen Lebensmittelindustrie und Verbraucher. Damit diese vertrauensbildende Maßnahme – wie übrigens auch das Natürlichkeitsverprechen – greifen kann, bedarf es eines eindrucksvollen Gegenbildes.
"Keine Gentechnik. Das ist sowieso klar, glaube ich. Bio ist immer ohne Gentechnik."
Bio-zertifizierte Produkte sind bis zu einem Toleranzwert von 0,9 Prozent gentechnikfrei. Deshalb irritiert es zunächst, wenn im Kühlregal ein Joghurt mit der Aufschrift "Ohne Gentechnik" beworben wird. Gentechnik scheint die Kehrseite jedes Natur-Seins. Keine Gentechnik meint dabei genauer: Keine Grüne Gentechnik. Was aber verbirgt sich dahinter? Kerstin Kaufmann, Pflanzenbiologin von der Universität Potsdam.
"Grüne Gentechnik ist im Prinzip die Manipulation oder Veränderung von pflanzlichen Genomen. Das ist ein Sammelbegriff für ganz verschiedene Arten, Genome zu verändern. Und zwar gezielt zu verändern durch spezifisches Einbringen von genetischem Material."
"99 Prozent in Deutschland sind dagegen"
Ob ein Organismus gentechnisch verändert ist, muss heute auf jedem Produkt stehen. Das funktioniert über einen Code aus Zahlen und Buchstaben, der über die Identität des gentechnisch veränderten Organismus Auskunft gibt. Die Kennzeichnungspflicht besteht auch dann, wenn der gentechnisch veränderte Organismus im fertigen Lebensmittel gar nicht mehr nachweisbar ist, z. B. bei Speiseöl aus Sojabohnen.
"Das verdrängen wir sehr leicht und stoßen uns dann zum Beispiel an dem Wörtchen 'Gentechnik' oder 'genetisch veränderte Organismen', die interessieren uns. Die vielen anderen industriellen Schritte, die möglicherweise auch noch beteiligt sind, die werden gewissermaßen außen vor gelassen."

Schild des Bio-Siegels Demeter
Schild des Bio-Siegels Demeter© picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt
Dennoch sind im Einzelhandel Produkte zu erwerben, die den eindeutigen Aufdruck "Ohne Gentechnik" tragen. Stefan Haufe:
"'Ohne Gentechnik' ist eben eine Möglichkeit, um mit zwei Worten klar zu machen: Hier ist nichts drin. Deshalb genau diese zusätzliche Kennzeichnung. Weil sie viel einfacher funktioniert. Und nicht auf ein Expertenwissen des Verbrauchers setzt, sondern das Expertenwissen auslagert. Und man sagt: Hier ist eine seriöse Gruppe. Darauf kannst Du vertrauen."
Das "Ohne-Gentechnik"-Siegel ist eine warenzeichenrechtlich geschützte Wort-Bild-Marke, deren Inhaber die Bundesrepublik Deutschland ist, vertreten durch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das Ministerium stellte das Siegel 2009 vor und vergab es anfänglich selbst.
2010 gründete sich der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e. V.. Er vergibt und verwaltet das "Ohne-Gentechnik"-Siegel exklusiv im Auftrag des Ministeriums, seit 2013 nach einem selbsterarbeiteten einheitlichen Produktions- und Prüfstandard. Die Verwendung ist freiwillig und bedient ein öffentliches Bedürfnis.
"Es ist in Deutschland ja ganz klar, 99 Prozent sind dagegen."
Immer wieder der Herstellungsprozess
Im Konglomerat derjenigen Gründe, gegen die Verfahren der Grünen Gentechnik zu sein, werden diejenigen, die auf die "Unnatürlichkeit" der Gentechnik abheben, am lautesten vorgetragenen. Hier werde, so das Votum, etwas zusammengebracht, was schlicht nicht zusammengehöre. In konjunkturellen Wellen ist die Grüne Gentechnik immer wieder Thema. Nur der Fokus änderte sich. In all ihrer Variation – ging es um den Welthunger oder die resistente Tomate – spielte dabei immer der Herstellungsprozess eine entscheidende Rolle.
"Der kompliziertere Weg ist sicher, Informationen bereit zu stellen, der andere Weg ist vielleicht zu sagen, bestimmte Herstellungsverfahren, die schließen wir einfach komplett aus. Das kann der Gesetzgeber ausschließen, das kann ein Unternehmen für sich ausschließen, und dann gibt es da keine Diskussion."
"Es gibt jetzt auch neuere Methoden, die auch unter den Gentechnikbegriff fallen. Das sind Methoden der sogenannten Genomeditierung, da wird aber eigentlich gar kein neues Material eingebracht, sondern es werden einfach nur ganz gezielt ganz bestimmte Mutationen im Genom verursacht."
Das Verfahren, das die Biologin Kerstin Kaufmann hier beschreibt, unterläuft die für die Ablehnung der Grünen Gentechnik entscheidende Unterscheidung von "natürlich" und "unnatürlich".
"Es gibt Standardmethoden, die verwendet werden: Man muss natürlich diese DNA, die man in die Pflanze einbringen will, zunächst isolieren, aufreinigen, eventuell verändern. Und dann kann man beispielsweise DNA, die in Plasmidform vorliegt, kann man dann ganz einfach über eine Reihe von definierten Schritten anhand von bestimmten Lösungen, die man dazugibt, zum Beispiel die Bakterien aufzuspalten, die Proteine zu entfernen, die RNA zu entfernen... also diese verschiedenen Schritte, die führt man dann aus, ganz standardisiert und am Ende hat man hochaufgereinigte DNA-Moleküle."
Die neuen Methoden erlauben die zielgenaue Ausschaltung einzelner Gene oder die gezielte Genommodifikation mithilfe von Enzymen, die definierte DNA-Sequenzen erkennen und schneiden können. Mittels neuer molekularbiologischer Verfahren kann die Erbinformation auch so modifiziert werden, dass dabei keine transgenen Pflanzen entstehen.
"Transgenese bedeutet, dass man DNA-Material verwendet aus anderen Arten, das kann sogar aus Bakterien kommen, das kann ganz unterschiedliche Ursprünge haben."
Auf höherer Weise "natürlich"?
Im Gegensatz dazu versteht man unter Cisgenese
"das Einbringen von DNA-Moleküle der gleichen Art, zum Beispiel in anderen Sorten oder in den ursprünglichen Naturarten vorkommen, die aber in einer bestimmten Sorte, die zum Beispiel sehr beliebt ist, zum Beispiel beim Kunden oder bei Verbrauchern da nicht vorkommt. Normalerweise. Und so kann man ganz gezielt bestimmte Veränderungen erzeugen ohne, dass das, was man in der Transgenese macht, DNA-Moleküle nimmt, die in der natürlichen Art oder in anderen Sorten der gleichen Art nicht vorkommen."
Im Produkt selbst ist der genetische Eingriff nicht mehr feststellbar. In den USA und Kanada wurden 2013 Zulassungen für mehrere neue Produkte aus cisgenen Pflanzen beantragt. Hierzu gehören die von der Firma Okanagan Specialty Fruits Inc. entwickelten Arctic®-Äpfel, bei denen die Bildung eines Enzyms unterdrückt wird, das Oxidationsprozesse reguliert und für die bräunliche Verfärbung angeschnittener oder angestoßener Äpfeln verantwortlich ist.
"Dazu muss man sagen, dass es in der Natur durch Rekombinationsprozesse oft vorkommt, dass es auch Veränderung in der Anordnung von Genen gibt. Und das gibt es auch innerhalb einer Art. Wenn man überkritisch ist, dann kann man schon sagen, man kann's unterscheiden von den natürlichen oder den traditionellen Arten der Züchtungsforschung, man kann das schon noch als Gentechnik erkennen. Die andere Sache ist aber, dass, wenn man sich anschaut, wie sonst Züchtungsforschung betrieben wird, nämlich sehr viel auch über Mutagenese, dass man dadurch sehr, sehr viel mehr Bei-Produkte erhält im Rahmen dieser Züchtung. Und die sind oft viel, viel weniger charakterisiert und viel weniger bekannt, die Auswirkungen, als wenn man so eine cisgenese Methode verwendet."
Ist also cisgenetische Veränderung die intensivere, die schnellere, die kostengünstigere Form dessen, was in der traditionellen Züchtung geschieht? Ist es vielleicht sogar auf höherer Weise "natürlich"? Was passiert nun, wenn im Produkt der Prozess nicht mehr nachweisbar ist?
"Genomeditierung. Da würde ich absolut dafür sprechen, dass man das nicht mehr als GMO und sich tatsächlich das Endprodukt anschaut und das ist tatsächlich: Man kann es nicht nachweisen, ob dass das durch Gentechnik erzeugt wurde oder nicht. Und dieses Genomeditierung kann man verwenden um wirklich die Usprungsregionen zu verändern. Wo man auch den Züchtungsprozess enorm beschleunigen kann und was man wirklich nicht mehr nachweisen kann.."
Entzauberung des Werts der Natürlichkeit
Und was könnte hieraus folgen?
"Wir analysieren die Entwicklungsprozesse von Pflanzen. Ich finde aber, dass wenn man es in der Pflanze nicht mehr nachweisen kann, sollte es möglich sein, dass wir damit Experimente machen können. In Feldexperimenten beispielsweise. Dann können wir vielmehr studieren, wie die Auswirkungen in einer natürlichen Umgebung sind."
"Ich kann mir schon sehr gut vorstellen, dass das Weglassen des Artfremden dazu führt, dass man die Gentechniken neu betrachtet."
Glaubt Stefan Haufe.
"Was man sicherlich auch noch mal sehen muss bei der Gentechnik: Gentechnik wird eingesetzt um die Lebensmittelerzeugung effektiver zu machen in irgendeiner Form, wirtschaftlicher zu machen."
"Ich denke, dass man Pflanzen, die über Cisgenese erzeugt worden sind nicht mehr unter den restriktiven gesetzlichen Vorgaben der Gentechnik betrachten sollte, weil das Endprodukt, die Pflanze selbst, tatsächlich nicht unterscheidbar ist von ihren Artgenossen."
Was sich hier andeutet, ist nicht nur eine technische Entwicklung, sondern auch eine begriffliche. Es ist die Entzauberung des Werts der Natürlichkeit, die von der industriellen traditionellen Züchtung ohnehin schon ausgehöhlt worden ist, von der Cis-Genetik aber ad absurdum geführt wird.
Dieter Birnbacher: "Natürlich und Natur kann man als Kürzel verstehen für eben diese Vielfalt an Eigenschaften. Es ist eine Ja-sage-Vokabel. Bio, Natur, naturbelassen, unbehandelt, ohne künstliche, alles mögliche, Konservierungsstoffe und so weiter. Das signalisiert: Hier ist etwas ethisch in Ordnung, jedenfalls stärker in Ordnung als bei dem, das technisch manipuliert ist. Ich persönlich bin da sehr skeptisch, denn das technisch manipulierte oder das mit künstlichen Inhaltsstoffen versehenden, das ist vielleicht transparenter, nachvollziehbar, denn man weiß ja, was drin ist, bei Naturstoffen ist die chemische Zusammensetzung zum Teil noch ganz dunkel.
Kerstin Kaufmann: "Jetzt gibt es aber zum Beispiel klimatische Veränderungen oder man möchte die Pflanzen auch in anderen Regionen anbauen und dort genauso viel Ernte haben, wie in den Ursprungsgebieten, aber man hat diese natürliche Variation nicht mehr. Man könnte jetzt über traditionelle Züchtungsforschung versuchen, das zu verändern, dann braucht man heute vielleicht 25 bis 50 Jahre. Man könnte aber über Genomeditierung relativ einfach, diese Mutation, die im Laufe der Domestikation einfach verloren gegangen sind, wieder erzeugen."
"Es scheint mir eine Wahrnehmung, ein rein psychologisches Problem zu sein."
Glaubt der Bioethiker Dieter Birnbacher:
"Dieter Birnbacher Gene sind eben aufgeladen mit Vorstellungen von Identität, Vorstellung von, ja, Gefahr, nicht, von Eugenik von genetisch orientierter Selektion-Politik und deshalb wirklich ein besonderer Stoff. Nicht mehr Blut ist gewissermaßen der besondere Stoff, sondern Gene und deshalb halte ich die Bedenken gegen den Einsatz von Gentechnik nun gerade bei Lebensmitteln auch für einseitig und verzerrt."
Die große Bio-Erzählung wird porös, der unbedingte Wert des Natürlichen ist als Gegensatz zum Künstlichen kaum aufrecht zu erhalten. Die Forderung nach unbedingter Transparenz der Lebensmittelproduktion wird überlagert von einer immer undurchschaubar werdenden Zertifizierung. Und die Gentechnik entwickelt Verfahren, die rational kaum mehr irgendeiner Frankenstein-Welt zugeordnet werden können. Dennoch bleibt die Bio-Erzählung für den Verbraucher eine mächtige. Sie ist einem tiefgreifenden Transformationsprozess unterworfen, in dem andere Aspekte für den Ernährungsdiskurs dominant werden, etwa faire, nachhaltige, ressourcen- und klimaschonende Produktionsweisen. Und auch die sind es, die aufgeklärte Bio-Konsumenten über den Tellerrand blicken lassen.
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