"Über allem Elend schwebt der katholische Himmel"

Von Susanne von Schenck · 13.06.2009
Klöster, Wegkreuze, Wallfahrtskirchen und Passionsspiele zeugen von einer tiefen Frömmigkeit im thüringischen Eichsfeld. Auch wenn das SED-Regime versuchte, die katholisch geprägte Region zu unterwandern - Eichsfeld ist ein Wallfahrtsland geblieben.
"Ich möchte einfach ein bisschen auftanken, zur Ruhe kommen, mit den Brüdern hier mit leben, das Stundengebet mit leben in der Gemeinschaft, ein bisschen auftanken für den Alltag und meinen Beruf, für meine Familie."

Peter Nagler arbeitet als Gemeindereferent in Heiligenstadt, dem Zentrum des Eichsfelds. Der Vater von sechs Kindern hat sich für ein paar Tage in dem kleinen Kloster auf dem Hülfensberg einquartiert. 250 Menschen kommen jährlich dorthin, um mit den Franziskanern das Klosterleben zu teilen. Der mit 450 Metern die Landschaft überragende Hülfensberg gilt, so der Franziskaner Bernold, als das Wahrzeichen des Eichsfelds.

"Der Hülfensberg ist den Eichsfeldern sehr, sehr wichtig. Wir sagen immer, er ist wie ein Selbstläufer. Die Leute kommen hier oben auf den Berg, weil es ihr Berg ist, nicht weil die Franziskaner hier sind. Ich habe oft schon festgestellt, dass die mir gesagt haben: Wir gehen erst auf den Berg und dann zu unseren Angehörigen."

Nicht weniger wichtig als ein Besuch auf dem Hülfensberg ist den Eichsfeldern die Palmsonntagsprozession in Heiligenstadt. Dort gestalten die Einwohner den Leidensweg Christi szenisch. Sechs überlebensgroße schwere Figuren werden dann durch die Innenstadt getragen. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts sind diese Prozessionen in Heiligenstadt bekannt. Als Urheber gelten die Jesuiten.

Aber wie war es möglich, dass sich der Katholizismus in dieser Region allen Widrigkeiten zum Trotz so hartnäckig halten konnte? Vor allem deshalb, weil die Gegend um Heiligenstadt historisch betrachtet zum katholischen Mainz gehörte! Nur einmal wurden die Eichsfelder Rom untreu: in der Reformationszeit. Aber schon 1555, nach dem Augsburger Religionsfrieden, rekatholisierten die Mainzer Kurfürsten den Landstrich gründlich. Eigens dafür angesiedelte Jesuiten sorgten dafür, dass das katholische Fähnchen in der Mainzer Exklave hochgehalten wurde, erklärt Probst Heinz Josef Durstewitz aus Heiligenstadt.

"Die Jesuiten haben das in erstaunlich kurzer Zeit hingekriegt, die Rekatholisierung und zwar: Die haben genommen, was hier gewesen war, was die Leute gern mochten und haben das wieder lebendig gemacht. Der Sozialismus hat genau das Gegenteil versucht: das Katholische für sich zu verbuchen, er hat gegen Kommunion, Konfirmation, Firmung Jugendweihe erfunden, gegen die kirchlichen Feiertage staatliche Feiertage, den 7. Oktober, den 1. Mai, aber es war so, dass nirgendwo das Herz der Menschen damit getroffen worden ist."

Katholizismus und Eichsfeld gehören auch heute zusammen wie Topf und Deckel. Denn in dem thüringischen Landstrich haben sich durch die jahrhundertelange Insellage die religiösen Traditionen - verglichen mit anderen katholisch geprägten Gegenden - bis heute hartnäckig gehalten. Das mag auch an der Mentalität der Eichsfelder liegen: bodenständig, gläubig, stur.

Immer wieder im Verlauf der Geschichte versuchten Regierungen, Einfluss auf die Religiosität der Eichsfelder zu nehmen. Erfolglos, meint ein Bürger, denn Hilfe schien direkt von oben zu kommen.

"Zu der Situation im Eichsfeld kann man eigentlich nur sagen: Wenn wir den Herrgott nicht gehabt hätten, dann hätten wir gar nicht die Kraft gehabt, die 40 Jahre zu überstehen und den Glauben auch fortzusetzen. Denn der schwebt ja nicht nur in den Kirchen über uns, sondern er ist unter uns, und er beeinflusst unser Handeln."

Mit dem katholischen Eichsfeld in der vorwiegend atheistischen DDR war es ein bisschen so wie mit Asterix’ gallischem Dorf inmitten der römischen Siedlungen: Widerstand gegen die Staatsmacht. Während die Regierung landauf, landab Fronleichnam und Ostermontag abschaffte, behielten die Eichsfelder ihre Kinder an den kirchlichen Feiertagen einfach zuhause. Sie boykottierten die Jugendweihe und zelebrierten ihre Wallfahrten. Was von innen her nicht funktionierte, dem sollte von außen nachgeholfen werden – so der Beschluss von oben.

"Man hat hier zum Beispiel Betriebe gegründet, etwa Textilbetriebe, die hier kein Zuhause hatten, zumindest seit 100 Jahren nicht mehr, man hat Leute hierhergeholt, die eben nicht katholisch waren, gezielt aus dem sächsischen Bereich, man hat ein Dorf zu einer Stadt gemacht, wo fast nur, ja man muss sagen, evangelisch stimmte ja dann schon fast nicht mehr, wo Leute lebten, die aus der Glaubenstradition her keinen Nachschub mehr bekommen haben."

Probst Durstewitz meint den Ort Leinefelde, den die DDR Regierung zu einem industriellen Zentrum des Obereichsfelds ausbauen ließ.
Einer, der Mitte der 60er-Jahre dorthin zog, war Hans Krug. Die Stelle in der Leinefelder Textilindustrie war für den Sachsen attraktiver als die Arbeit in der heimischen Bäckerei.

"Es gab am Anfang einige kleine Ungereimtheiten bei den Kindern in der Schule. Die einen waren Katholiken, und die anderen eigentlich nichts."

"Nichts" – das war auch Hans Krug, der bereits in jungen Jahren aus der Kirche ausgetreten war. Das Katholische im Eichsfeld mit seinen Prozessionen und Wallfahrten, mit den zahlreichen Kirchen, Bildstöcken und Wegkreuzen war dem Mitglied der SED fremd. Ob es Anweisungen gab, gegen die Gläubigen vorzugehen?

"Ne Bestimmung in dem Sinne nicht … der Zuzug war da. Und wenn Zuzug da ist in Größenordnungen – dann tut sich dort auch was, wie auch immer."

Über 75 Prozent der Eichsfelder sind Katholiken. Weder die Nationalsozialisten noch der SED Staat konnten sie von ihrem Glauben abbringen. Damals wie heute bildet er die Grundlage der Eichsfelder Identität – aller Globalisierung zum Trotz. Immer noch liegt die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger in dem thüringischen Landstrich über dem Bundesdurchschnitt. Eichsfelder sein, heiß katholisch sein, könnte man meinen. Wen wundert es, dass die Region in der Mitte Deutschlands eine Hochburg der CDU ist.

Das Eichsfeld ist ein Wallfahrtsland geblieben. Zu Christi Himmelfahrt pilgern circa 15.000 Männer ins "Klüschen Hagis" bei Martinfeld, wenige Tage später ziehen mehrere tausend Frauen auf den "Kerbschen Berg" bei Dingelstädt.
Der älteste Wallfahrtsort des Eichsfelds ist der Hülfensberg. Dort hängt in der Klosterkirche eine Reliquie, das sogenannte "Hülfenskreuz" aus dem zwölften Jahrhundert. Das Besondere: Wer nah an dieses Kreuz herantritt, hat den Eindruck, dass Jesus ihn freundlich anlächelt. Wegen dieser Reliquie pilgern 1000 bis 2000 Menschen viermal im Jahr auf den Hülfensberg. Dass sich dabei auch hin und wieder ein Wunder ereignet, versteht sich, so der Franziskaner Bernold, im katholischen Eichsfeld von selbst.

"Ein Blinder hatte seiner Frau gesagt, ich möchte auch gern mitgehen, da hat sie gesagt, das geht doch gar nicht, du bis blind, wie sollen wir das denn machen mit der Unterbringung usw. Da hat er gesagt: Nein, ich möchte gerne mit, und dann ist er auch mitgegangen mit der Prozession. Und als sie dann oben an dieser Stelle waren, dann hat sie gesagt: So, jetzt sind wir an der Stelle, dann sehen wir zum ersten Mal den Hüfensberg. Und da hat er gesagt: Ich sehe ihn auch."