Udo Pollmers Mahlzeit

Spargel - nahrhaft wie ein Strohhalm mit Wasser

Spargestangen in einem Korb
Spargel enthält ein natürliches Pestizid - erst durch Kochen zerfällt es in seine Bestandteile. © imago / Rüdiger Wölk
Von Udo Pollmer · 18.05.2018
Nicht nur schmackhaft, sondern auch gesund und reinigend soll Spargel sein. Das zumindest behaupten die Verkäufer. Was sie hingegen verschweigen: Spargel enthält ein natürliches Pestizid, über dessen Wirkungen man wenig weiß, erklärt Udo Pollmer.
Im Wonnemonat Mai haben nicht nur die Spargelstände Saison, auch die Märchentanten vom Marketing bieten leichtverdauliche Stories feil über die ungeheuren Heilkräfte der blassen Sprossen. Gewöhnlich handelt es sich um leere Versprechen, außer, dass Spargel diuretisch, also harntreibend wirkt. Schon heißt es, er spüle die Niere, ja er sei ein ideales Detox-Gemüse, gerade so als ob die Nieren leicht verschmutzen und mit einer Stange Spargel gesäubert werden könnten. Dabei ließe sich der Harndrang billiger und trefflicher durch Bier oder Kaffee befördern. Auch ernährungsphysiologisch ist Spargel eher unauffällig, er ist so wertvoll wie ein dicker Strohhalm voller Wasser.
Es braucht also niemand Spargel ob seines vermeintlichen Wertes zu speisen, umso mehr als manch ein Genießer den strengen Duft beim Wasserlassen nicht leiden kann. Verantwortlich dafür sind Schwefelverbindungen, die manche Menschen, aber nicht alle, ausscheiden. Die Fähigkeit zur Bildung des anrüchigen Cocktails aus Methanthiol (Methylmercaptan), Dimethylsulfid und Dimethyldisulfid ist erblich. Mischt man diese drei Chemikalien im richtigen Verhältnis in Wasser, ist der Duft nicht mehr von Spargelpipi zu unterscheiden.

Gemüse mit eigenem Pflanzenschutzmittel

Spannender als das Beschnüffeln, Analysieren und Mischen von Urin ist der Ausgangsstoff, der hinter den drei Schwefeldüften steckt: Es ist die Asparagusinsäure, ein natürliches Pestizid, mit dem sich der Spargel vor Schadorganismen schützt. Sie ist der Grund, warum roher Spargel einen unangenehm zusammenziehenden Geschmack entfaltet. Um die fragwürdige Substanz zuverlässig zu zerstören, kochen wir die Stangen bis sie weich sind. Die widerlichen Bitterstoffe des Spargels sind chemisch mit der Asparagusinsäure eng verwandt. Gesundheitlich verheißen sie nichts Gutes.
Asparagusinsäure vergiftet allerlei Insekten, bekämpft einige Erreger von Pilzkrankheiten und tötet Fadenwürmer, die sich am Spross gütlich tun wollen. Daneben wirkt sie als Hormon, denn sie beschleunigt das Wachstum des Spargels, gleichzeitig aber unterdrückt sie das Wachstum konkurrierender Pflanzen, die ebenfalls die Nährstoffe im Erdreich nutzen wollen. Die höchsten Gehalte befinden sich im empfindlichen Köpfchen, während die verholzten und ungenießbaren Teile der Pflanze praktisch frei davon sind.
Asparagusinsäure ist also Wachstumsregulator, Herbizid, Insektizid, Nematizid und Fungizid in einem. Als Pflanzenschutzmittel hätte das Spargelgift keine Chance zugelassen zu werden. Da aber dieser dubiose Inhaltsstoff nur einen Teil der unerwünschten Organismen vertreibt oder tötet, muss die chemische Abwehr der Pflanze im Erwerbsspargelbau durch zugelassene Pflanzenschutzmittel ergänzt werden.

Über die Schädlichkeit des Pestizids weiß man wenig

Die Gehalte an Asparagusinsäure liegen heute deutlich höher als früher. Obwohl Spargel schon im antiken Griechenland verspeist wurde, tauchen die Berichte über stinkenden Urin erst im 17. Jahrhundert auf. Es fehlte gewöhnlich die nötige Dosis an Schwefel auf dem Acker. Das änderte sich mit der Industrialisierung: Durch die schwefelhaltigen Rauchschwaden der Schornsteine wurde das Land flächendeckend gedüngt. Seit die Luftreinhaltepolitik greift, müssen die Landwirte auf den Spargelflächen eigenhändig mit Schwefeldünger nachhelfen.
Wie schädlich ist dieses Pestizid im rohen Spargel für den Menschen? Genaues weiß man nicht. Immerhin ist bekannt, dass es im Körper nicht nur in die drei genannten Geruchsstoffe umgewandelt wird, sondern zugleich auch in Dimethylsulfoxid. Das ist ein geruchloses Lösungsmittel. Bereits Spuren schädigen Nerven und Gehirn von Ratten und Mäusen. Würde man Dimethylsulfoxid nach den gleichen Maßstäben bewerten wie Acrylamid, dann wäre gedünsteter Spargel riskanter für unser Nervenkostüm als eine Portion knuspriger Pommes.
Falls jemand keinen Spargel mag, so ist das ein freundlicher Hinweis seines Stoffwechsels, lieber zu verzichten. Aber wer ihn liebt, sollte sich den Genuss mit nahrhaften Beilagen wie Schinken, Kartoffeln und zerlassener Butter nicht entgehen lassen. Mahlzeit!
Literatur:
  • Streller S, Roth K: Vom Hochgenuss zum Gestank. Chemie in unserer Zeit 2018; 52: 112-119
    Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein: Pflanzenschutz im Spargelanbau. Zulassungsstand gemäß Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vom 14.02.2018
  • Dawid C, Hofmann T: Identification of sensory-active phytochemicals in Asparagus (Asparabus officinalis L.). Journal of Agricultural & Food Chemistry 2012; 60: 11877-11888
    Waring RH et al: The chemical nature of the urinary odour produced by man after asparagus ingestion. Xenobiotica, 1987; 17: 1363-1371
  • Teuber L: Naturally occurring 1,2-Dithiolanes and 1,2,3-Trithianes. Chemical and biological properties. Sulfur Reports 1990; 9: 257-333
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