Udo Pollmers Mahlzeit

Giftige Spezialität Kugelfisch

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Mehrere Hände mit Stäbchen essen die japanische Fischspezialität Kugelfisch auch als Fugu bekannt.
Gefährliche Delikatesse: Der Kugelfisch ist mittlerweile auch im Mittelmeer verbreitet. © picture alliance /ANN / China Daily
Von Udo Pollmer · 12.04.2019
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In Japan gilt der Kugelfisch als delikatester aller Fische. Die Spezialität darf nur von lizenzierten Köchen zubereitet werden. Offenbar wirkt sein Gift Tetrodotoxin in Spuren auch beim Menschen als Droge – und kann auch tödlich sein.
Eines der brisantesten Gifte dieser Welt ist in Europa auf dem Vormarsch: das Nervengift Tetrodotoxin. Den meisten ist es vom japanischen Kugelfisch, dem Fugu, bekannt – im Land der aufgehenden Sonne eine geschätzte Delikatesse. Auch wenn die potenziell hochgiftige Spezialität nur von lizensierten Köchen zubereitet werden darf, fordert sie in Japan regelmäßig ihre Opfer. Inzwischen ist Tetrodotoxin nicht nur in Asien, sondern weltweit für eine ständig wachsende Zahl an Vergiftungen verantwortlich. Strychnin, Curare und Zyankali sind dagegen eine schlappe Sache.
Ein einzelner Kugelfisch enthält genug Gift, um 30 Erwachsene zu töten. Die ersten Symptome treten eine halbe Stunde nach Verzehr auf. Es kribbelt auf Zunge und Lippen, dann folgen Kopfschmerzen und Erbrechen, schließlich versagen die Muskeln, in schweren Fällen endet es mit dem Tod durch Atemlähmung. Es gibt kein Gegenmittel. Tetrodotoxin ist hitzebeständig, Kochen nützt also nichts.

Vergiftungen im Mittelmeerraum

Inzwischen macht der Giftfisch auch Europas Gewässer unsicher. Vor etwa 15 Jahren schwamm er durch den Suezkanal ins Mittelmeer. Seither hat er sich entlang der Küsten verbreitet und mittlerweile Spanien erreicht. Den Fischern gilt er als Schädling, weil er ihre Netze beschädigt und die Tintenfische dezimiert, dabei aber selbst ohne jeden Marktwert ist. Er kennt so gut wie keine natürlichen Feinde. Lediglich Kraken und Haie können ihn schadlos verzehren, andere Tiere bezahlen den Versuch mit dem Leben. Bei Gefahr bläht er sich vorsichtshalber zu einer Kugel mit spitzen Stacheln auf.
Ein getrockneter japanischer Kugelfisch hängt getrocknet an einem Haken vor einem Fischrestaurant in HongKong.
Alles, was high macht, schmeckt lecker: Getrockneter japanischer Kugelfisch in Hongkong.© Andrew Wong / Getty Images
Obwohl der Fugu in Europa nicht verkauft werden darf, wurden aus dem Mittelmeerraum schon mehr als ein Dutzend Vergiftungen gemeldet, zuletzt aus Zypern und Griechenland. Daneben können auch Krabben, Seeschnecken, Seesterne und Oktopusse das Nervengift enthalten. Die größte Sorge gilt den Muscheln. Da sie Meerwasser filtern, kommen Rückstandsfunde wenig überraschend. Betroffen sind vor allem die Küsten Griechenlands. In Spanien verursachte eine Trompetenmuschel vom lokalen Markt eine schwere Vergiftung.

Auch die Nordsee ist nicht mehr sicher

Inzwischen ist auch die Nordsee nicht mehr sicher. Hier dürfte Ballastwasser für die Einschleppung von giftigen Organismen wie Schnurwürmern aus asiatischen Gefilden verantwortlich sein. An den Küsten Hollands und Englands sind inzwischen sogar die Austern nicht mehr sicher. Die Holländer haben bereits begonnen, ihre kommerziellen Muschelbänke auf Tetrodotoxin zu kontrollieren.
Beinahe unbemerkt verbreitet sich das Gift auf dem europäischen Festland. Mit Sorge beobachtet die Fachwelt eine Invasion südostasiatischer Hammerhaiwürmer. Das Kleinvieh tut dem Menschen erst mal nichts, denn die Giftschlängler jagen Regenwürmer. Aber mit ihnen reichert sich das Toxin in unseren Kulturböden an, die vor allem im Garten- und Obstbau reich an Regenwürmern sind.
Als harmlose Dosis (NOAEL) galten bisher 75 Mikrogramm Tetrodotoxin pro Kilo Körpergewicht. Doch eine aktuelle Untersuchung an Mäusen zeigt, wie leicht man sich dabei vertun kann: Mit dieser vermeintlich unbedenklichen Dosis ging ein Teil der Tiere in kurzer Zeit ein. Es ist also höchst zweifelhaft, ob der EU-Grenzwert von 25 µg/kg Körpergewicht der außergewöhnlichen Toxizität gerecht wird.

Die angenehmen Seiten des Giftes

Manche Lebewesen wissen hingegen die angenehmen Seiten des Giftes zu nutzen. Delfine wurden dabei beobachtet, wie sie mit Kugelfischen Wasserball spielten, woraufhin diese in ihrer Not das Gift ausschieden. Nach einigem "Spiel" begannen die Delfine, tiefenentspannt an der Wasseroberfläche zu chillen. Da Tetrodotoxin auch in gestrandeten Artgenossen nachgewiesen wurde, hatten sich diese womöglich eine Überdosis reingezogen – und damit ein Orientierungsproblem, weil "zugekifft".
Kein Wunder also, wenn der Fugu aus Sicht der Japaner der delikateste aller Fische ist. Offenbar wirkt Tetrodotoxin in Spuren auch beim Menschen als Droge. Und alles was high macht, schmeckt gewöhnlich superlecker, auch wenn Gevatter Tod diesmal nur wenige Mikrogramm vom kulinarischen Paradies entfernt wartet.
Mahlzeit!

Literatur:
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