Tyrannei der Freiheit

07.01.2010
Angesichts unendlicher Möglichkeiten fällt es vielen Menschen heute immer schwerer, sich ein Leben lang an einen anderen zu binden. Selten hat jemand die Tyrannei der Freiheit so polemisch auf den Punkt gebracht wie der Soziologe Sven Hillenkamp in seinem jetzt erschienenen Buch "Das Ende der Liebe".
Totale Freiheit ist der Tod der Liebe, denn angesichts unendlicher Möglichkeiten fällt es vielen Menschen heute immer schwerer, sich ein Leben lang an einen anderen zu binden - schließlich könnte ja was Besseres kommen. Was zur Folge hat, dass das Ungebundensein zum Standart geworden. Traurig, aber wahr – und neu ist das nicht. Aber selten hat jemand die Tyrannei der Freiheit so polemisch auf den Punkt gebracht wie der Soziologe Sven Hillenkamp in seinem jetzt erschienen Buch "Das Ende der Liebe".

Mit einer klaren, poetischen Sprache, die fast schon suggestiv wirkt, malt er das Bild von freien Menschen, den Menschen ohne Eigenschaften, ohne Geschichte - und ohne feste Beziehung. Um das Auftauchen der freien Menschen einzuordnen, zieht der Autor Verbindungen zur Kulturgeschichte. Er führt aus, dass der Einzelne im Mittelalter seinen Platz innerhalb der göttlichen Ordnung fand, während die Moderne durch individuellen Widerstand gegen alle Ordnungsformen gekennzeichnet war. Aber jetzt muss jeder Einzelne seine eigene Ordnung finden.

Vor allem aber: Jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. Das ist furchtbar anstrengend. Und die Liebe bleibt oft auf der Strecke. Im ersten Teil seines Buches erzählt der Autor passenderweise einige Nicht-Liebesgeschichten. Da geht es um einen 25-jährigen, der seine Kapazitäten schon erschöpft hat, weil ihn alle Frauen an bereits bekannte Frauen erinnern. Oder einen Mann in den Dreißigern, der trotz Partnerschaft heimlich weitergesucht hat, online.

Geschichten von Gier, Übersättigung und Verbesserungssucht. Freie Menschen sind immer in Bewegung, genau das treibt sie fort von Geborgenheit und Beständigkeit, den notwendigen Voraussetzungen für eine reale Liebesbeziehung.

Am Ende führt diese zwanghafte Mobilität und das damit einhergehende Optimierungsdenken, das laut Hillenkamp längst alle Bereiche des Lebens betrifft, zu totaler Überforderung. Und so sind die freien Menschen gefangen zwischen Sehnsucht und Scham. Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, der totalen Liebe, der totalen Selbstverwirklichung, und der Scham darüber, sie nicht zu erlangen.

Im zweiten Teil untersucht Hillenkamp, wie sich die Unendlichkeit im Alltag festgesetzt hat, wie der Mensch auf die Knie gegangen ist vor der Bilderflut und sich alles und jeder in eine Möglichkeit verwandelt hat, nur einen Mausklick, eine Ansprache entfernt. Im dritten Teil wird von den unendlichen Erwartungen gesprochen, welche die freien Menschen an die Liebe stellen; sie wollen Entgrenzung und Geborgenheit, Herausforderung und Bequemlichkeit.

Sie wollen alles und bekommen nichts. Wenn sie begreifen, dass ihre Wünsche sich nicht erfüllen werden, und dass die Zeit drängt, werden sie plötzlich vernünftig. Im vierten Teil widmet sich der Autor folglich dem Phänomen der Vernunftehe. Die freien Menschen glauben nicht ans Schicksal, sie können sich nicht hingeben, aber sie kennen ihre Bedürfnisse. Und so schließen sich viele irgendwann zu einer Zweckgemeinschaft zusammen, um sich im Wirbel der Möglichkeiten ein bisschen Sicherheit zu geben. Romantisch ist das nicht.

Hillekamps bissige Bestandsaufnahme endet mit einem Plädoyer für mehr Entspanntheit. Die Einsicht in den Zwang der Freiheit kann uns erleichtern. Mehr gute Ratschläge gibt er nicht. Im Notfall bleibt ja immer noch die Vernunftheirat.

Besprochen von Ariadne von Schirach

Sven Hillenkamp: Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit
Klett Cotta, August 2009, Hardcover, 312 Seiten, 22,90 Euro