"Typisch deutsch?"

Beim Bahnfahren lamentieren Deutsche auf höchstem Niveau

Reisende steigen am Hauptbahnhof in Hamburg in einen ICE.
Reisende steigen am Hauptbahnhof in Hamburg in einen ICE. © picture alliance / dpa /Bodo Marks
Von Matthias Baxmann und Matthias Eckoldt · 16.02.2017
Lautes Telefonieren und ständiges Essen: Diese Angewohnheiten der deutschen Bahnfahrer stören Duc Chung Nguyen aus Vietnam. Flaminia Bussotti aus Italien muss immer schmunzeln, wenn hierzulande am Bahnhof eine Durchsage eine Verspätung von nur wenigen Minuten entschuldigt.
Duc Chung Nguyen, Vietnam:
"Die Bahn in Deutschland ist hervorragend ausgebaut. Man kommt fast überall damit hin. Sie ist meist auch pünktlich. Das kannte ich so aus Vietnam nicht. Da kommen Bus und Bahn nicht zu einer bestimmten Zeit, sondern sporadisch. Fantastisch finde ich auch den ICE. Man ist damit so schnell unterwegs. Der Regionalzug dagegen nervt mich eher. Der hält mehr, als dass er fährt. Was ich nicht so angenehm finde, ist, dass die Leute in der Bahn so laut telefonieren und dass sie dauernd essen und trinken."
Edith Oltay, Ungarn:
"Ich fahre nicht oft mit der Bahn, aber wenn, dann ist alles in Ordnung. Ich schaue mir gern die Landschaft an. Mein Mann fährt viel öfter mit der Bahn. Der klagt manchmal über Verspätungen. Aber bei mir sind die Züge immer pünktlich. In Berlin fahre ich sehr gern U- und S-Bahn. Je nach Bezirk verändern sich die Fahrgäste. Mal sind es jüngere Leute mit Bierflaschen. Dann ältere, die noch Bücher lesen. Plötzlich wird Musik gemacht. Dann wieder kommen Obdachlose durch, die betteln und ihre Zeitungen verkaufen. Und schließlich noch Touristen aus allen möglichen Ländern. Das finde ich spannend zu beobachten."
Flaminia Bussotti, Italien:
"Ich muss immer lächeln, wenn in Deutschland – ebenso in Österreich – auf den Bahnhöfen eine Verspätung von ein paar Minuten angesagt wird und man sich dann bei den Fahrgästen entschuldigt. Bei uns in Italien würde man sich freuen, wenn ein Zug nur ein paar Minuten Verspätung hätte. Besonders amüsiert mich dann, wenn die Deutschen nach einer solchen Durchsage noch stöhnen. Die sind schon sehr kritisch und jammern gern, finde ich."
Yaotzin Botello, Mexiko:
"Für mich ist die Bahn etwas ganz Besonderes, weil ich das aus Mexiko so nicht kenne. Es gibt nur wenige Strecken, auf denen dort Züge verkehren. Mein Vater wollte mir das mal zeigen, als ich noch ein Kind war. Die Bahn fuhr so langsam, dass uns die Pferde überholt haben. Und dann kam ich nach Deutschland und konnte gar nicht fassen, wie schnell diese ICEs unterwegs sind! Das ist für mich bis heute ein Wunder der Technik. Wann immer es geht, fahre ich mit der Bahn. Ich habe auch gleich eine Bahncard gekauft. Das Reisen ist sehr komfortabel. Ich beobachte die Mitreisenden, lese, schlafe oder schaue etwas auf meinem Smartphone nach, und schon bin ich am Ziel, auch wenn es mehrere Hundert Kilometer entfernt liegt."
Oliver Towfigh Nia, Iran:
"Ich verstehe die Deutschen nicht so recht, wenn sie ständig über die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn meckern. Im Iran ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass ein Zug erst zehn Stunden später abfährt oder ganz abgesagt wird. Das ist dann ein frustrierendes Erlebnis, aber doch nicht, wenn ein Zug mal eine halbe Stunde später kommt. Da lamentieren die Deutschen auf allerhöchstem Niveau. Wahrscheinlich, weil sie es einfach lieben zu lamentieren. Der Hang zum Klagen verbindet sie übrigens mit den Iranern. Einmal bin ich mit einem Regionalzug von München nach Kempten gefahren. Ich war spät dran und konnte mir keine Fahrkarte mehr kaufen. Als der Schaffner kam, habe ich ihm sofort gesagt, dass ich nachlösen möchte, doch er hat gesagt, das ginge nicht. Ich müsse als Schwarzfahrer an der nächsten Station aussteigen und eine deftige Strafe bekommen. Ich habe ihn bekniet, dass ich einen sehr wichtigen Termin hätte und dass ich es ihm doch von mir aus gesagt habe. Da hat er plötzlich geschmunzelt und gesagt: 'War doch nur ein Scherz!' Dann konnte ich bezahlen und bin pünktlich in Kempten angekommen."

Unsere Serie "Typisch deutsch" wird seit dem 10.11.2016 an jedem Donnerstag um 17.50 Uhr in der Sendung Studio 9 ausgestrahlt. Die Autoren Matthias Baxmann und Matthias Eckoldt haben Korrespondenten aus rund 30 Ländern zu ihren Erfahrungen befragt. Dazu ist auch das Buch "Typisch deutsch" im Holiday Verlag erschienen.

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