Tweets und Töne des Jahres 2017

#Covfefe, #MeToo und #fedidwgugl

Der Twitter-Account von US-Präsident Donald Trump
US-Präsident Donald Trump hat mit seinen Äußerungen, gerade auch auf seinem Twitter-Account, immer wieder für Verwirrungen gesorgt. © picture alliance/dpa/Foto: Patrick Pleul
Von Ulrike Köppchen und Martin Hartwig · 27.12.2017
Schrill, laut, provokativ – 2017 war ein hysterisches Jahr, ein Jahr der großen Unsicherheiten, sagt der Medienjournalist Stefan Niggemeier. Gerät die Welt aus den Fugen? Wir lassen 2017 in Tweets und Tönen Revue passieren.
Julius van de Laar, Politikberater: "Ich glaube, es würde uns allen wahnsinnig gut tun, die Nacht einfach mal (darüber) zu schlafen. Nur der Punkt ist: Wir haben das überschritten. Jemand fängt an zu twittern. Und wenn es nicht ein Politiker oder ein Journalist macht, macht es irgendjemand draußen aus der Bevölkerung."
Obwohl zumindest über weite Teile des Jahres nur 140 Zeichen pro Tweet zugelassen waren, ist bei Twitter 2017 einiges an Tweets zusammen gekommen.
Donald Trump: "Billions and Billions"
An einem durchschnittlichen Tagen werden um die 500 Millionen Kurznachrichten verschickt.
Donald Trump: "Billions and Billions and Billions"
Das entspricht etwa 70 Milliarden Zeichen, also etwa 20.000 Luther-Bibeln.
Donald Trump: "Billions and Billions, and Billions, and Billions"
Wenn jeder Tweet auch nur zehnmal gelesen würde, wären das fünf Milliarden Lektüren ...
Donald Trump: "Billions and Billions, and Billions, and Billions, and Billions"
… die, wenn man dafür nur fünf Sekunden einrechnet, mit 792 Jahren zu Buche schlagen. Dazu kommen natürlich noch Facebook und Instagram und deren asiatische Entsprechungen.
Donald Trump: "Billions, and Billions, and Billions …"
Stefan Niggemeier: "Es war bestimmt ein hysterisches Jahr und es war auch ein Jahr der großen Unsicherheiten."
Stefan Niggemeier, Medienjournalist, Blogger, politischer Beobachter der Hauptstadt und ihrer Presse und mit knapp 12.000 Tweets satte 24.000 hinter dem amerikanischen Präsidenten.

Trump, Brexit, AfD

Stefan Niggemeier: "Es war der Durchbruch der AfD in einem Maß, was man auch vor einiger Zeit noch nicht dachte. Es war bestimmt ein hysterisches Jahr und ich habe fast das Gefühl, dass die deutsche Regierungsbildung da gar nicht die aufgeladenste Unsicherheit ist. Da habe ich zumindest persönlich eher das Gefühl: Irgendwie wird das schon wieder, da wird sich da schon etwas zusammenfinden. Aber es ist Trump, das ist Brexit, das ist die AfD. Dass ja einfach ganz viele Dinge, die sicher schienen, das nicht mehr sind."
Eigentlich könnte die deutsche Welt in Ordnung sein. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, der Haushalt ausgeglichen. Die Flüchtlingsproblematik eingedämmt. Die Elbphilharmonie eröffnet und selbst VW scheint irgendwie davon zu kommen. Deutschland geht es gut.
Vielleicht ist aber auch alles ganz anders.
Donald Trump: "This is Fake News"
Die EU löst sich auf. Die Differenz zwischen Arm und Reich ist so groß wie seit 100 Jahren nicht mehr, die Atomkriegsgefahr ist so groß wie zuletzt 1953, und der liberale Grundkonsens zerbröckelt unter den Attacken der Rechtspopulisten.
Tweet Donald Trump: "It all begins today! I will see you at 11:00 A.M. for the swearing-in. THE MOVEMENT CONTINUES – THE WORK BEGINS!"
Am 20. Januar wird Wirklichkeit, was viele für undenkbar hielten. Donald Trump, Immobilienspekulant, Castingshowjuror und ehemaliger Casinobetreiber wird zum 45. Präsidenten der USA vereidigt. Sein Programm: im Detail unklar - irgendwie anti, aber von oben. Und vor allem aggressiv nach innen:
Donald Trump: "You are fake news"
Und nach außen:
Donald Trump: "One way or the other Mexiko will pay for the wall!"
Der sich als liberal begreifende Teil der Öffentlichkeit, der schon die ganze Kandidatur und den Wahlkampf mit Kritik, Spott und Häme, begleitet hat, sieht fassungslos zu, wie sich der Gernegroß mit der komischen Frisur einfach greift, was er begehrt.
Donald Trump: "You can just grab them"
Man hat die Spaltung der Gesellschaft und der Öffentlichkeit unterschätzt und was das andere Lager will, fühlt und redet, nicht ernst, ja nicht mal wahrgenommen. Es gelingt Trump tatsächlich, sich als Anwalt der kleinen Leute zu inszenieren und gleichzeitig ein Kabinett aufzustellen, das gänzlich unverblümt die Interessen der Finanz- und Energiewirtschaft widerspiegelt und über ein geschätztes Privatvermögen von zehn bis fünfzehn Milliarden Dollar verfügt.

Darth Vader im Weißen Haus

Die neben Donald Trump schillerndste Figur im weißen Haus ist Steve Bannon, ein rechter Publizist und Spindoctor und Vordenker, der sich einem Selbstbekenntnis zufolge an Darth Vader, Satan und Dick Cheney orientiert. Bannon lässt an seinen Absichten wenig Zweifel. Er vergleicht sich sogar mit Lenin:
"Der wollte den Staat zerstören, und das ist auch mein Ziel. Ich will alles zum Einsturz bringen und das ganze Establishment zerschlagen."
Und daran will er auch nach dem Wahlsieg seines Mannes festhalten:
"They are going to continue to fight. If you think , they are gonna give you your country back without a fight. You’re sadly mistaken, every day every day it’s gonna be a fight."
Und der geht noch während der Inauguration weiter. Hier der Vergleich von Donald Trumps und Barack Obamas Inauguration:
Die New York Times tweetet zwei Fotos, eines zeigt eine dichte Menschenmenge bei der Inauguration Obamas, das andere eine deutlich luftigere Versammlung bei Trumps Feier. Allerdings waren sie wohl zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Zeremonie aufgenommen worden.
Sean Spicer, Trumps Pressesprecher, schäumt am Tag danach vor der nationalen und internationalen Presse. Damit ist der Ton für die nächsten Wochen gesetzt:
Donald Trump: "From this day forward, it’s going to be America First."
Wahlwerbespot Geert Wilders: Es ist Zeit für Veränderung! Die Briten haben es getan, die Amerikaner haben es getan – und wir können es auch!

Das Superwahljahr in Europa

2017 ist ein europäisches Superwahljahr. Gleich in elf Ländern finden Parlamentswahlen statt. Den Anfang machen die Niederlande. Am 15. März schaut ganz Europa auf das kleine Land. Denn viele Beobachter befürchten, dass wahr wird, was der Rechtspopulist Geert Wilders in seinem Wahlwerbespot ankündigt: dass nach den Briten und den Amerikanern ein weiteres Land der westlichen Welt dem Populismus anheim fällt.
Große Erleichterung am Abend des 15. März: Nicht die Rechtspopulisten haben das Rennen gemacht, sondern die rechtsliberale VVD von Premierminister Mark Rutte wird mit 21 Prozent stärkste Partei. Allerdings hatte Rutte im Wahlkampf oft ähnliche Töne angeschlagen wie die Rechtspopulisten. Der Soziologe Ruud Koopmans:
"So einfach, wie es die Schlagzeilen wiedergeben, ist es nicht, weil, man muss nicht vergessen, dass die Rechtspopulisten nichtsdestotrotz gewonnen haben. Geert Wilders hat seinen Stimmanteil von 15 auf 20 Sitze, das heißt, von zehn auf 13 Prozent erhöht. Auch ist noch eine zweite rechtspopulistische Partei ins Parlament eingezogen, allerdings nur mit zwei Sitzen, aber es sind auch noch zwei Prozent. Insgesamt hat sich der Rechtspopulismus gestärkt von zehn auf 15 Prozent."
Die Regierungsbildung gestaltet sich schwierig. Eine Fortsetzung der Großen Koalition ist nicht möglich, denn die holländischen Sozialdemokraten sind ins Bodenlose abgestürzt: von über 25 Prozent auf gerade einmal noch 5,7 – und kündigen sofort an, in die Opposition zu gehen. Mehrere Anläufe zu einer Art Jamaika-Bündnis scheitern, vor allem an unterschiedlichen Positionen in der Einwanderungspolitik. Erst sieben Monate nach der Wahl gelingt Premier Mark Rutte die Bildung einer Koalitionsregierung aus liberalen und christlichen Parteien. Ein Menetekel für das übrige Europa – vor allem für die Sozialdemokratie. Denn, so der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel:
"Niederlanden ist neben Italien meist so etwas wie ein Laboratorium von politischen Entwicklungen, Entwicklungen im Parteiensystem, die später in anderen Ländern zwar kontextuell unterschiedlich, aber doch eintreten."
Anfang des Jahres ist die Welt der deutschen Sozialdemokratie allerdings noch in Ordnung. Sehr in Ordnung!

Deutschland und der Schulzzug

Martin Schulz: "Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste, soeben hat mich der Parteivorstand meiner Partei als Kanzlerkandidaten und künftigen Parteivorsitzenden vorgeschlagen."
Stefan Niggemeier: "Plötzlich gab es die Möglichkeit, dass diese Wahl spannend wird. Und ich glaube, dann gab es einen Effekt, wo sich das gegenseitig verstärkt. Ich glaube, es gab einen realen Kern. Und dann haben die Umfragen ein bisschen zugelegt, und dann haben Journalisten da so viel heiße Luft rein gepustet. Und jede Umfrage, die wieder ein paar Prozent mehr zeigte, war wieder ein Ansporn für andere Leute zu sagen: Da passiert ja wirklich gerade was. Und es ist gar nicht so, dass das alles schon klar ist, wie die Bundestagswahl ausgeht."
Ausgerechnet der wenig charismatische SPD-Kanzlerkandidat wird zum viralen Hit. Auf der Internet-Plattform Reddit wird "the Schulz" als "Gottkanzler" gefeiert, mit deutlichen Anspielungen an die Wahlkampagnen von Barack Obama und Donald Trump: Sein Motto ist "MEGA" – make Europe great again – und "ohne Bremsen" will der Schulzzug ins Kanzleramt rasen.
Stefan Niggemeier: "Der Schulzzug war ja schon so eine für unsere Zeit typische sehr verwirrende Mischung aus Ironie. Also, das Schulzzug zu nennen, war, glaube ich, gleichzeitig ironisch und sich lustig zu machen und sich einen Begriff auszudenken, der Quatsch ist. Und dann wird er Wirklichkeit. Ich kann das nicht im Detail auseinander dröseln und ich glaube, das konnte aber auch niemand mehr, das dann irgendwann auseinander pflücken, was ist jetzt davon echte Begeisterung und was sind Leute, die Spaß daran haben, diese ironische Begeisterung zu machen. Es war aber in jedem Fall eine Energie dadurch da drin, es passierten Dinge. Und ich glaube, es haben auch Leute daran geglaubt. Schulz selber hat es ja auch, glaube ich, eine Weile geglaubt, und dann hat sich das verselbstständigt."

"You’re fired!"

SALLY YATES Justizministerin, MICHAEL FLYNN, Sicherheitsberater
Donald Trump: "You’re fired!"
KATIE WALSH Stabschefin, JAMES COMEY FBI-Chef,
Donald Trump: "You’re fired!"
Mike Dubke, Kommunikationsdirektor
Walter Shaub, Direktor des Büros für Regierungsethik
Donald Trump: "You’re fired!"
Mark Corallo und Mark Kasowitz, Anwälte
Donald Trump: "Go home!"
Sean Spicer, Pressesprecher.
Michael Short, Pressesprecher
Donald Trump: "You’re fired!"
Reince Priebus, Stabschef
Anthony Scaramucci, Kommunikationsdirektor
Steve Bannon, Berater
Donald Trump: "Good luck!"
Reihenweise treten in den ersten Monaten Trumps Kabinettsmitglieder zurück oder werden vom Präsidenten gefeuert. Die eine Hälfte geht, weil sie das Chaos, das angerichtet wird, nicht unterstützen möchte, die andere, weil sie auf die eine oder andere Art in die vor sich hin köchelnde Russlandaffäre verstrickt ist. Der mutmaßlich von russischen Hackern ausgeführte Angriff auf die demokratische Partei und die anschließende Veröffentlichung der Mails von Hillary Clinton hatte den Republikanern in der Endphase des Wahlkampfes 2016 sehr genutzt. Jetzt ist es wichtig, nichts damit zu tun zu haben.

Erdogan will in Deutschland auftreten

Rede Erdogan: "Wenn ich nach Deutschland kommen will, komme ich. Und wenn ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, werde ich einen Aufstand machen."
Auch 2017 sorgt der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wieder für reichlich Unruhe in Deutschland und anderen EU-Staaten. Er will die Türkei in ein Präsidialsystem umwandeln. Für die anstehende Volksabstimmung schickt er seine Minister auf Wahlkampftour nach Europa, um die Auslandstürken für sein Projekt zu gewinnen.
Am 10. März stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass ausländische Politiker sich nicht auf deutsche Grundrechte berufen können. Dennoch bleibt die Bundesregierung in der Türkei-Krise vergleichsweise zurückhaltend und spricht kein generelles Auftrittsverbot für türkische Politiker aus. Wesentlich konsequenter als die deutsche Regierung handelt die holländische:
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir gehört zu den wenigen, die das Einreiseverbot für den türkischen Außenminister, der bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rotterdam sprechen wollte, kritisch sehen. Ansonsten feiert das Netz die klare Kante, die die niederländische Regierung zeigt. Auch wenn sie größere diplomatische Verstimmungen zur Folge hat.
Nachdem dem Außenminister die Landeerlaubnis verweigert wurde, schickt Erdogan seine Familienministerin noch am gleichen Tag in die Niederlande. Von Düsseldorf aus macht sie sich mit dem Auto auf den Weg nach Rotterdam. Doch der Konvoi wird von der Polizei angehalten und zurück zur Grenze eskortiert.
Die Reaktion des türkischen Staatspräsidenten beschränkt sich nicht auf Wutreden, in denen er die Holländer bezichtigt, Nachfahren der Nazis und Terrorunterstützer zu sein. Er droht den Niederlanden mit Sanktionen und verweigert umgekehrt dem holländischen Botschafter die Einreise in die Türkei. Und in einer Art patriotischer Übersprungshandlung kündigt der türkische Fleischverband ebenfalls drastische Vergeltungsmaßnahmen an:

Deniz Yücel wird inhaftiert

Erdogan: "Der Grund für all die Aufregung ist ein Terrorist. Deniz Yücel ist ein Terrorist. Der Mann ist kein Journalist."
Möglicherweise hat die Zurückhaltung der deutschen Regierung in der Frage der Wahlkampfauftritte türkischer Minister auch damit zu tun, dass Erdogan gewissermaßen einen Faustpfand in der Hand hält: Seit dem 14. Februar ist der Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt", der Deutsch-Türke Deniz Yücel, in türkischer Haft bzw. Polizeigewahrsam. Die türkischen Behörden werfen dem Journalisten Terrorpropaganda und Aufwiegelung vor - offenbar vor allem wegen eines Interviews, das Yücel im Herbst 2015 mit dem PKK-Kommandanten Cemil Bayik geführt hat.
Außer dem "Welt"-Korrespondenten sitzen noch andere Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei im Gefängnis, insgesamt acht.

Das Superwahljahr

Auch in Deutschland ist 2017 ein Superwahljahr mit mehreren Landtagswahlen. Den Anfang macht am 26. März das Saarland.
Martin Schulz: "Für uns als Sozialdemokraten gibt es gute Tage und weniger gute Tage. Ich kann den heutigen Tag nicht zu den guten Tagen zählen."
Für die CDU-Spitzenkandidatin und Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen ist der Tag ausgesprochen gelungen. Ihre Partei gewinnt fünf Prozentpunkte dazu und landet bei 40,7 Prozent.
Annegret Kramp-Karrenbauer: "Das ist so ein geiler Abend und so ein toller Erfolg, den wir eingefahren haben! Das ist unser Erfolg! Was waren das für Wochen, die jetzt hinter uns liegen. Und wer hat uns nicht alles schon abgeschrieben in diesem Land! Schulz-Effekt hat es gehießen [!]. Eigentlich treten wir gegen Lafontaine an. Ich kann nur sagen: Heute haben wir dreimal gewonnen: gegen die SPD, gegen Schulz und gegen Lafontaine, liebe Freunde!"
Am 7. Mai wählt Schleswig-Holstein.
Martin Schulz: "Herzlich willkommen im Willy-Brandt-Haus an einem traurigen Wahlabend für die SPD!"
Die bis dahin in Kiel regierende SPD verliert gut drei Prozentpunkte - gegen einen CDU-Kandidaten, bei dem viele Bürger bis zur Wahl nicht einmal wussten: Heißt der Mann nun eigentlich Daniel Günther oder Günther Daniel?
Daniel Günther: "Das ist ein großartiger Tag für die CDU in Schleswig-Holstein! Wir haben die Wahl gewonnen, liebe Freunde"
Auch nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai ergibt sich das inzwischen schon vertraute Bild. Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz tritt im Berliner Willy-Brandt-Haus vor die Presse:
Martin Schulz: "Das ist ein schwerer Tag für die SPD. Es ist ein schwerer Tag auch für mich persönlich."
Gerade noch 31 Prozent erzielt die SPD in ihrer einstigen Hochburg - knapp acht Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren. Auch der bisherige Koalitionspartner, die Grünen, wird vom Wähler hart abgestraft und verliert fünf Punkte. Lachende Dritte sind FDP, AfD und CDU, die mit Armin Laschet zum ersten Mal seit 2010 wieder den Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen stellt.
Armin Laschet: "Heute ist ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen. Wir haben zwei Wahlziele gehabt: Rot-Grün zu beenden und stärkste Partei zu werden. Und beides ist gelungen! Allen einen Dank für das Engagement in den letzten Tagen!"
Die SPD ist keineswegs die einzige sozialdemokratische Partei innerhalb der EU, die 2017 Federn lassen muss. Mit Ausnahme von Bulgarien, Malta und Großbritannien, wo die Labour Party bei den vorgezogenen Neuwahlen überraschend 40 Prozent bekommt, trifft es alle. Im Mai und Juni ist Frankreich an der Reihe: Dort stürzen die Sozialisten, die vorher sowohl den Präsidenten als auch die Regierung stellten, auf sechs bis sieben Prozent ab. Und so schreitet anstelle eines Sozialisten der neue Shooting-Star europäischen Politik, der 39-jährige Emmanuel Macron, zu den Klängen von Beethovens Neunter zu seiner Inauguration als Präsident.

Hoffen auf Macron

Emmanuel Macron: "Merci mes amis, merci …"
In Deutschland ist die Begeisterung für Macron groß, vor allem in den Feuilletons. Doch wofür steht der Gründer der Bewegung La République en Marche eigentlich? Ist er ein Sozialliberaler, der Frankreich längst überfällige Arbeitsmarkt- und Sozialreformen verpasst? Man kann es auch ganz anders sehen.
Wolfgang Merkel: "Der Erfolg Macrons war vor allem ein Erfolg gegen die Parteien als solche. Macron ist ein Populist der Mitte, proeuropäisch, aber doch in einer Art und Weise mit der Nominierung seiner Kandidaten umgegangen, die in einer demokratischen Organisation nicht geht. Er nennt das Bewegung, er nennt das modern – die Parteien werden dadurch weiter desavouiert."

Was ist covfefe?

Tweet Donald Trump: "Despite the constant negative press covfefe"
Covfefe ist eine bis dahin unbekannte Zeichenfolge, mit der eine Nachricht endet, die der US-Präsident Donald Trump in der Nacht auf Mittwoch, den 31. Mai 2017 (Ortszeit) über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete.
So erklärt Wikipedia mit lexikalischer Sachlichkeit den Scoop des twitternden Präsidenten. Nach wenigen Stunden wird der Tweet gelöscht, doch da ist er schon hunderttausendfach geteilt worden. Eine Welle von Spekulationen, was das heißen könnte, und von schnellen Witzen geht um Erdball. Zumindest um die Teile, die man gemeinhin als "westliche Welt" bezeichnet.
Donald Trump: "I am President. Can you believe it?"
Stefan Niggemeier: "Ich glaube, das ist ein großes Problem für Journalisten mit diesem Machtverlust, mit diesem Verlust dieser Gatekeeper Funktion umzugehen. Zu sagen: Wir sind eigentlich diejenigen, die kontrollieren im Guten wie im Schlechten, worüber alle reden. Und Trump zeigt einfach in der größtmöglichen Deutlichkeit und Dreistigkeit auch: Die Zeiten sind vorbei."

Protest in Hamburg eskaliert

Tweet: Polizei Hamburg. Wir stellen ca. 1000 vermummte Personen im Aufzug fest. Friedlicher Protest sieht anders aus.#G20HAM17
Am 7. und 8. Juli kommen in Hamburg die Vertreter der 20 wichtigsten Industrie und Schwellenländer turnusgemäß zu einem Gipfeltreffen zusammen. Merkel, Macron, May, Trump - alle sind in der Hansestadt. Wie seit Jahrzehnten üblich ist der G 20 Gipfel Adressat und Bühne von heftigen Protesten.
Es kommt wie erwartet und befürchtet. Besonders die schon im Vorfeld vieldiskutierte Demonstration der linksautonomen Gruppen unter der Motto "Welcome to Hell" läuft aus dem Ruder - trotz der 13.000 Polizisten, die Hamburg in einer Festung verwandelt haben. Es kommt zu Auseinandersetzungen wie man sie in Deutschland lange nicht gesehen hat. Geplünderte Geschäfte, brennende Autos, Wasserwerfer… Noch während die Schlacht tobt, entbrennt der Kampf um die Deutungshoheit.
Tweet: Einsatzkräfte melden, dass sie mit Latten und Flaschen angegriffen wurden. Sie haben entsprechend unmittelbaren Zwang angewendet. #G20HAM17
Tweet: Das ist Fake. Keine Latten, keine Flaschenwürfe
Die Sichtweise der Polzei setzt sich in der Öffentlichkeit durch.
Tweet: An der Holstenstraße werden Kollegen mit Molotow-Cocktails beworfen & Barrikaden brennen. #G20HAM17
Mit etwas Abstand wird jedoch auch deutlich, dass die Liveberichterstattung der Polizei hier und da eine Färbung hatte und manches vielleicht doch anders war.
Stefan Niggemeier: "Kann ich als Journalist davon ausgehen, dass mir die Polizei die Wahrheit erzählt? Ist presseethisch eigentlich die Polizei eine Quelle, wo ich das jetzt nicht nochmal überprüfen muss? Ich glaube, dass Journalisten da auch nicht immer die richtige Entscheidung treffen und, glaube ich, auch skeptischer sein könnten. Eigentlich ist die Silvesternacht in Köln da so ein Beispiel dafür, wo man... Das wird immer so beschrieben als das große Versagen der Medien. Da stand am Anfang auch ein großes Versagen der Polizei, einfach korrekt zu informieren. Ich glaube, da gibt es viele Gründe für Journalisten, auch bei der Polizei als Quelle skeptisch zu sein."

Merkels Kehrtwende

Angela Merkel: "Ich kenne bei mir in der CDU – und ich schließe mich da gleich mit ein – viele, die sich sehr, sehr viele Gedanken über dieses Thema machen, die längst sagen, da werden die gleichen Werte gelebt und trotzdem vielleicht aufgewachsen sind in dem Gefühl: Mann und Frau, das ist eben die Ehe, wie wir sie kennen, und es spielt für die, die kirchlich gebunden sind, noch eines eine Rolle. Und deshalb möchte ich gern die Diskussion mehr in die Situation führen, dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich hier per Mehrheitsbeschluss etwas durchpauke."
Im Juni überrascht die Kanzlerin einmal mehr mit einer plötzlichen Kehrtwende und vermasselt der SPD damit den politischen Coup, den der spotzende und stotternde Schulz-Zug im Wahlkampf dringend gebraucht hätte.
Tweet: Liebe MdB nächste Woche wäre die letzte gute Gelegenheit, mit der Mehrheit die #Ehefueralle zu beschließen.
Twittert der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow am 24. Juni. Kurz zuvor hatten nicht nur die SPD, sondern auch Grüne, Linke und FDP das Thema "Ehe für alle" für ihren Wahlkampf entdeckt. Ein Gesetzentwurf zur Ehe für alle lag bereits seit längerem beim Justizminister in der Schublade, und über eine Mehrheit im Parlament verfügten SPD, Grüne und Linke auch. Doch nach dem Motto "If you can’t beat them, join them" springt die CDU-Spitze auf den Zug auf. Selten wurde ein Gesetz so schnell durch den durch den Bundestag gepeitscht. Wie angekündigt gilt für die Unionsabgeordneten kein Fraktionszwang. 75 der 300 Abgeordneten von CDU/CSU stimmen für die Ehe für alle. Eine historische Entscheidung. Das Manöver wird als Sieg Merkels gefeiert – sehr zum Verdruss der SPD: der Abgeordnete Johannes Kahrs:
"Ich habe in den Koalitionsverhandlungen immer wieder erlebt, wie die Union blockiert hat, noch in den letzten Tagen im Rechtsausschuss, im Innenausschuss, heute wollten sie diesen Tagesordnungspunkt gar nicht aufsetzen. Das ist erbärmlich, das ist peinlich! Und ehrlicherweise: Vielen Dank, Frau Merkel – für nichts"
Abgesehen von solch seltenen Aufregern schleppt sich der Bundestagswahlkampf müde dahin. Themen, die für Streit sorgen könnten, wie Migration, Europäische Integration oder Umverteilung, sparen die großen Parteien aus. Stattdessen wirbt die CDU mit "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben"- kurz: "fedidwgug" und die SPD will "Zeit für mehr Gerechtigkeit" – oder doch "mehr Zeit für Gerechtigkeit"?
Dass die SPD bei der Vorstellung ihres Wahlprogramms am 22. Mai gewissermaßen ihren eigenen Wahlkampfslogan verwechselt und das Papier statt mit "Zeit für mehr Gerechtigkeit" mit "Mehr Zeit für Gerechtigkeit" überschrieben ist, sorgt für Spott und Häme.
Sprechchöre: "Merkel muss weg"
Auch für die Bundeskanzlerin ist der Wahlkampf keineswegs nur Zuckerschlecken, sondern gelegentlich geradezu ein Spießrutenlaufen, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Zum Beispiel am 29. August in Bitterfeld, wie ein Bericht des ARD-Magazins "Panorama" zeigt:
Reporter: "Warum rufen Sie: Hau ab?"
Demonstrant: "Ja, warum? Merkel hat Deutschland kaputtgemacht. Das ist in unserer Geschichte einmalig: anderthalb Millionen Afrikaner. wer will das bezahlen? Sie vielleicht, oder Sie?"

Langweiliger Wahlkampf, gespaltene Republik

Bei aller Langeweile im Wahlkampf offenbaren die Reaktionen der Bürger doch, wie tief gespalten und wie verunsichert das Land ist. Wie geht es uns eigentlich? Leben wir im Paradies oder in einer Art Vorhölle, weil jederzeit alles zusammenbrechen könnte?
Stephan Grünewald: "Diese Entwicklung ist sehr kipplich. In dieser Enttäuschung fokussieren viele Wähler auf das Land im Inneren, und sie haben dann das Gefühl, Deutschland ist ein verwahrlostes Land mit No-Go-Areas, mit maroden Schulen, kaputten Autobahnen, mit einer klaffenden sozialen Ungerechtigkeit."
Der Psychologe und Marktforscher Stephan Grünewald hat die komplizierte Gefühlslage der Deutschen im Sommer 2017 untersucht:
"Im nächsten Moment haben sie das Gefühl, wenn sie den Blick nach außen richten, eigentlich sind wir noch eine sichere Insel des Wohlstandes. Insgesamt haben wir festgestellt, die Wähler kommen in eine Bewegung rein, dass sie ab und zu wirklich ihr Unbehagen artikulieren: es rumort, sie wüten und toben, aber viele Wähler kommen in diesem Wüten und Toben an einen Punkt, dass sie sagen: Wenn wir jetzt so weiterwüten, dann fliegt uns hier der ganze deutsche Laden um die Ohren, also nehmen wir uns lieber zurück. Also, wir beobachten eine gebremste Wut, einen Akt der Selbstbremsung, und diese Selbstbremsung führt wieder dazu, dass man letztendlich sagt, wir wollen das Bewährte, weiter auf Bewährung setzen, wir wählen diesmal zähneknirschend wieder Frau Merkel. Das sind aber in der Regel sehr halbherzige Treuebekenntnisse.
Am 17. August rast ein Lieferwagen auf Barcelonas Flaniermeile Las Ramblas durch eine Menschenmenge. Es ist einer von 60 islamistischen Terroranschlägen, die in diesem Jahr auf der Welt gezählt werden. In Barcelona sterben 13 Personen, 130 werden zum Teil lebensgefährlich verletzt.
Angela Merkel: "Ich habe heute Morgen mit dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy telefoniert und ihm auch im Namen des ganzen deutschen Volkes unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme übermittelt."
Unter dem Motto "Wir haben keine Angst" zieht eine gute Woche später eine halbe Million durch die Straßen Barcelonas, darunter König Felipe, der spanische Premier und Kataloniens Regionalpräsident. Es ist vorerst das letzte Mal, dass Rajoy und Puigdemont in Eintracht zusammenstehen. Denn die katalonische Regierung strebt nach Unabhängigkeit und will darüber am 1. Oktober das Volk abstimmen lassen.

Der Streit um Katalonien

Tweet Carles Puigdemont: Sorry, Spanien. Katalonien stimmt über seine Unabhängigkeit ab, ob es euch gefällt oder nicht.
Es ist nicht das erste Referendum, das die separatistische Regionalregierung anberaumt, aber dieses Mal ist die Zentralregierung entschlossen, die Durchführung der Volksabstimmung zu verhindern.
Obwohl das spanische Verfassungsgericht die Volksabstimmung untersagt hat, weigert sich die katalanische Regierung, die Öffnung der Wahllokale zu verhindern. Die Zentralregierung schickt 7000 zusätzliche Polizisten nach Katalonien. Es kommt zu gewalttätigen Übergriffen zwischen Aktivisten und der Guardia Civil. Mindestens 893 Zivilisten und 33 Polizisten werden verletzt.
Eine Neuwahl soll die verfahrene Situation auflösen: Am 21. Dezember wählen die Katalanen ein neues Regionalparlament.
Carles Puigdemont: "Der spanische Staat wurde besiegt. Rajoy und seine Verbündeten haben verloren. Das katalanische Volk hat ihnen ins Gesicht geschlagen. Sie wollten ihren Putsch legalisieren, aber Rajoy ist in Katalonien untergegangen!"
Donald Trump: "Kim Jong Un of North Korea, who is obviously a madman who doesn't mind starving or killing his people, will be tested like never before!"

Nordkorea und die Bombe

Im Herbst spitzt sich der Konflikt um die Atomwaffentests Nordkoreas zu. Trump, der sich noch im Februar mit Kim Jong Un treffen wollte, setzt voll auf Eskalation.
Donald Trump: "They will be met with fire and fury and frankly power the likes of which the world has never seen before."
Am 3. September hatte Nordkorea unterirdisch eine Atomwaffe gezündet, die nach japanischen Messungen etwa die zehnfache Stärke der Hiroshima-Bombe hatte. Ein Test, der die Welt beunruhigt. Plötzlich ist etwas wieder in der Welt, was fast schon vergessen war: Atomkrieg. Trump kommt die Dramatik insofern entgegen, als sie wieder mal Aufmerksamkeit von der Russlandaffäre abzieht, die er auf Twitter immer wieder als Hexenjagd bezeichnet, natürlich die größte in der amerikanischen Geschichte …
Tweet: Hello world. Bitte nehmt zur Kenntnis, dass 87% der Deutschen offen und tolerant sind! Wir sind verzweifelt, das es uns nicht gelungen ist, die anderen 13% zu überzeugen: #btw17
Angela Merkel: "Liebe Freunde, meine Damen und Herren, man braucht nicht drum rum reden. Natürlich hatten wir uns ein wenig ein besseres Ergebnis erhofft. Das ist vollkommen klar. Aber wir dürfen auch nicht vergessen: Hinter uns liegt eine außerordentlich herausfordernde Legislaturperiode …"

Die SPD will in die Opposition

Und vor ihnen wohl auch. Denn der bisherige Koalitionspartner, die SPD, seilt sich ab, sobald am 24. September der desaströse Ausgang der Bundestagswahl für die Sozialdemokraten deutlich wird. Fraktionschef Thomas Oppermann in der ARD-Wahlsendung:
"Der Platz der SPD ist bei diesem Wahlergebnis in der Opposition. Ich kenne niemanden in der SPD, der bei diesen Gegebenheiten eine Fortsetzung der Großen Koalition wünscht."
Tatsächlich verliert die Union noch mehr als die SPD: Während die Sozialdemokraten etwa fünf Prozentpunkte einbüßen und auf gut 20 Prozent kommen, verlieren CDU und CSU insgesamt knapp neun Prozentpunkte und landen bei knapp 33 Prozent. Grüne und Linke können ihr Ergebnis leicht verbessern, und der FDP gelingt mit 10,7 Prozent der Wiedereinzug in den Bundestag. Große Gewinnerin ist jedoch die AfD.
Alexander Gauland: "Und, liebe Freunde, da wir ja nun offensichtlich drittstärkste Partei sind, kann sich diese Bundesregierung, die gebildet wird, wie immer sie aussieht, sie kann sich warm anziehen. Wir werden sie jagen! Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen, und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen!"

Frauke Petrys Abgang

AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland in seiner Rede vor Parteianhängern am Wahlabend. 12,6 Prozent der Zweitstimmen erzielt die AfD, in Sachsen wird sie sogar stärkste Kraft, knapp vor der CDU. Insgesamt stellt die AfD-Fraktion 94 Bundestagsabgeordnete. Am Tag nach der Wahl sind es plötzlich nur noch 93. AfD-Bundessprecherin Frauke Petry tritt vor die Hauptstadtjournalisten:
"Eine anarchische Partei, wie es in den vergangenen Wochen das eine oder andere Mal zu hören war, die die AfD sei, die kann in der Opposition erfolgreich sein, aber sie kann dem Wähler eben kein glaubwürdiges Angebot für eine Regierungsübernahme machen. Und das ist der Grund, meine Damen und Herren, unter anderem mit meinem Anspruch verbunden, dass ich aktiv gestalten möchte und Realpolitik im guten Sinne einer konservativen Politik machen werde, für mich, nach langer Überlegung zu entscheiden, dass ich der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht angehören werde."
Sprach’s, stand auf und verließ die Bundespressekonferenz. Was sind die Ursachen für das Erstarken der AfD? Noch am Wahlabend beginnt die Suche nach den Schuldigen. Den Anfang macht der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU):
"Als ob es jetzt am Abend der Wahl des neuen deutschen Bundestages nichts anderes gibt! Die Hälfte der Sendezeit beschäftigt sich jetzt schon wieder nur mit der AfD! – Jetzt wollte ich Sie gerade was anderes fragen… - Ja, das ist ein völliger Unfug. Und da kann ich nur sagen, und da wird in den nächsten Wochen auch noch darüber zu reden sein, in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen sender in den letzten Wochen massiv dazu beigetragen haben, nicht die AfD klein zu machen, sondern groß zu machen."
Der Vorwurf an die Medien: sie hätten zum einen überproportional viele AfD-Vertreter in Talkshows eingeladen, zum anderen über Gebühr AfD-nahe Themen wie Flucht, Migration und innere Sicherheit behandelt, wichtige Zukunftsfragen wie etwa die Digitalisierung dagegen ausgespart. Da sind sich auch am folgenden Tag die anwesenden Politiker in der Talkshow "hart aber fair" einig – gegen den früheren ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender:
Brender: "Ich glaube, es stimmt nicht! Der Vorwurf stimmt nicht."
Dorothee Bär (CSU): "Doch! Es stimmt."
Brender: "Sowohl gestern bei der Elefantenrunde waren ja nicht nur die Moderatoren, die darüber geredet haben, sondern es waren die Beteiligten alle zusammen, sonst hätte es nicht so lange gedauert. Und wenn ich sehe, mit welcher Verve jetzt an diesem Tisch gerade wieder über Flüchtlinge und Immigration geredet wurde, dann ist doch offenbar etwas dran. Es ist ein Bedürfnis der Bevölkerung, darüber zu reden. In allen Umfragen über die wichtigsten Themen zur Bundestagswahl gehörten Migration und Flüchtlinge. Und darüber sollen wir nicht reden?"

#MeToo - Frauen klangen an

Tweet Alyssa Milano: "Wenn alle Frauen, die sexuell belästigt oder missbraucht wurden, ‚Me too‘ als ‚Status‘ (nachdem es ihnen widerfahren ist, auf Sozialen Netzwerken) schreiben würden, könnten wir allen ein Gefühl für das Ausmaß des Problems geben.
Twitterte die Schauspielerin Alyssa Milano am 15. Oktober und machte anschließend als erste das Statement, das viral gehen sollte.
MeToo!
200.000 mal wird noch am gleichen Tag unter dem Hashtag "MeToo" getweetet. Am nächsten Tag bereits über eine halbe Millionen mal. Es gibt Ableger und Ableger der Ableger. Die Kampagne springt auf Facebook über und und auf andere Sprachen und Länder. Mit viel Getöse und Nebengeräuschen wird ein großes Unrecht für alle sichtbar in die Welt gestellt:
MeToo!
Stefan Niggemeier: "In Amerika kann man es ja sehr deutlich sehen, dass es einfach auch eine Wirkung hat und dass Leute sich, dass Frauen plötzlich den Mut haben zu sagen: Ja, mir ist das auch so gegangen. Und ihre Angst überwinden und teilweise nach Jahrzehnten an die Öffentlichkeit gehen und sich dazu äußern. Im Grunde ist es ja ein Machtthema. Es geht ja in Wahrheit, glaube ich, nicht um Sexualität, sondern um Macht und um Männer, die ihre Machtposition ausgenutzt haben. Das ist für die einfach sehr eng. Gerade in den USA. Es wirkt so, als als ob das jetzt immer noch fast jeden Tag irgendjemanden in der Medienbranche erwischt. In der Politik. Ja, ich glaube, die Wirkung ist erheblich."
Eigentlich hat alles in der alten Medienwelt angefangen, mit dem Fall Harvey Weinstein, einer der wichtigsten und erfolgreichsten Figuren der US- Filmindustrie. Wenn es jemanden gab, auf den der Begriff Filmmogul zutraf, dann auf ihn. Die Liste seiner Blockbuster und oscraprämierten Filme ist lang, allerdings nicht ganz so lang wie die Liste der Frauen, die ihm sexuelle Belästigung vorwerfen.
Offensichtlich war es seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis, dass Weinstein übergriffig war. Auch wenn "MeToo" ein Phänomen der sozialen Medien ist, am Anfang der Ereignisse standen klassische aufwendig recherchierte Artikel der New York Times und dem New Yorker, in dem Schauspielerinnen schmerzhaft detailliert und unter Nennung des eigene Namens von den Misshandlungen berichten. Das bekam selbst eine so einflussreiche Person wie Weinstein nicht mehr bagatellisiert. Zumal sich viele Schauspielerinnen aus der allerersten Hollywoodliga anschließen und einräumen, auch angegangen worden zu sein. Wer glaubte, die Sache würde sich wie so viele Internetphänome zügig wieder verflüchtigen, sah sich getäuscht.
Kevin Spacey, Amerikas Schurken- und Charakterdarsteller Nr. 1, wird erst einer einzelnen, 30 Jahre zurück liegenden Belästigung beschuldigt, dann einer ganzen Reihe von Übergriffen. Die Vorwürfe sind so massiv und zahlreich, dass er künstlerisch praktisch erledigt ist und sogar aus einem kurz vor der Veröffentlichung stehenden Film rausgeschnitten wird, was auch deutliche Kritik hervorruft.
Thea Dorn: "Wenn wir jetzt anfangen, in der Kunst alle die, die salopp gesagt, Arschlöcher sind, herauszuschneiden, dann fürchte ich, dass es in unseren Bibliotheken, in unseren Museen, in den Kinos wahnsinnig leer wird. Seit wann ist Kunst eine Benimmschule?"

Anschlag in Las Vegas

Am späten Abend des 1. Oktober fallen bei einem Freiluftkonzert in Las Vegas plötzlich Schüsse, zunächst vereinzelt und auch noch nicht als solche erkannt. Als kurz darauf ganze Salven zu hören sind, ist allen klar, dass sie Teil von einem der Massaker sind, von denen es in den letzten Jahren so viele gab. Wie inzwischen eingeübt, filmen unzählige Smartphones das Ereignis. Das Ganze dauert nur etwa zehn Minuten, die Folgen sind allerdings verheerend. Der Schütze, ein bis dahin unauffälliger Rentner, hat sich schon vor vier Tagen im Hotel Manderlay eingemietet. Vom Hotelpersonal unbemerkt, hat er 22 Gewehre und eine Pistole nebst Munition in sein Zimmer transportiert. Der Polizei gelingt es relativ schnell zur Suite des Angreifers vorzudringen, der sich sofort das Leben nimmt. Die Bilanz: 58 Tote, 500 Verletzte.

Die FDP will doch nicht

Christian Lindner: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."
Am späten Abend des 19. November treten Christian Lindner und die anderen Mitglieder des FDP-Sondierungsteams vor die Presse und verkünden den Abbruch der Jamaika-Gespräche.
Julius van de Laar: "Christian Lindner ist vor die Presse getreten, und zeitgleich sind natürlich sämtliche Tweets, sämtliche Facebookposts schon rausgegangen. Und so hat natürlich die FDP es geschafft, die Debatte mitzugestalten und natürlich auch so die eigene Agenda zu setzen."
Dennoch bekommt die FDP schlechte Presse für den Abbruch der Jamaika-Sondierungsgespräch. Schließlich hat sie damit ein Lieblingsprojekt vieler Deutscher vereitelt. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier:
"Es gab irgendwann auch an einem Punkt so ‘ne Lust auf Jamaika. Also bei den Journalisten gab es das ganz bestimmt, dass man da saß und jetzt schon aus Gründen der Abwechslung mal was Neues wollte. Das wäre ja auch aufregend gewesen, jetzt mal völlig unabhängig von der Frage, ob die Politik gut gewesen wäre - aber das wäre auch ein frischer Wind gewesen. Dadurch dass das dann so spektakulär endete und jetzt als die die naheliegendste Lösung zumindest es wieder eine Große Koalition zu werden droht, droht jetzt wieder mehr vom Gleichen und der große Stillstand."
Oder eine quälend lange Phase Regierungsbildung wie in den Niederlanden, wo es sieben Monate dauerte, bis das neue Kabinett stand. Dem Jamaika-Projekt hat kürzlich die Gesellschaft für deutsche Sprache noch ein Denkmal gesetzt: Am 8. Dezember kürte sie "Jamaika-Aus" zum Wort des Jahres.

Trump und Jerusalem

Tweet Donald Trump: I have determined that it is time to officially recognize Jerusalem as the capital of Israel.
Nach wochenlangen Fake-News-Geplänkeln mit den verhassten Mainstream-Medien und der wüsten Beschimpfung von Footballspielern, die sich weigern bei der Nationalhymne die gebotene Haltung einzunehmen, kommt the real Donald Trump am Nikolaustag mit einer echten Botschaft raus. Er hat beschlossen, einer alten israelischen Forderung nachzugeben und Jerusalem als Hauptstadt anzuerkennen.
Tweet Donald Trump: I am also directing the State Department to begin preparation to move the American Embassy from Tel Aviv to Jerusalem …
Einen Punkt muss man Donald Trump lassen. Er hat Bewegung in die Sache gebracht.
Donald Trump: "After more than two decades of waivers, we are no closer to a lasting peace agreement between Israel and the Palestinians. It would be folly to assume that repeating the exact same formula would now produce a different or better result."
Die unmittelbaren Ergebnisse sind allerdings die, die zu erwarten waren.

Twittern um jeden Preis

Natürlich macht sich der Reporter, während er flieht, trotzdem Gedanken über seine Übertragung. Das hat 2017 praktisch jeder gemacht. Von der tröstenden Mutter:
Keaton Jones: "Why do they do this …."
über das Sturmopfer bis hin zum Unfallgaffer ...
Feuerwehrsprecher: "Wir haben da ein Problem, dass Schaulustige da mit Handys Aufnahmen machen wollen."
Alle sind immer auf Sendung, auch wenn man eigentlich keine Botschaft hat.
Stefan Niggemeier: "Ich glaube, dass vermutlich die meisten Jahre in Zukunft relativ hysterisch sein werden, einfach weil unsere Medienwelt auch so ist, weil wenn wir von sozialen Medien reden, das auch belohnt wird, wenn ich irgendwas twittere. Und das ist so im Affekt und das ist laut und ich krieg Reaktionen. Das wird ja sofort belohnt. Die nüchterne sachliche Analyse wird vermutlich viel zu selten belohnt. Es ist nicht ganz so schwarz-weiß, aber ein bisschen führt das alles natürlich dazu."