TV-Serien

Autorenkollektive made in USA

Der Schauspieler Bryan Cranston in seiner Rolle als Walter White in der Serie "Breaking Bad", Mann mit Hut, Brille und Vollbart, schaut in die Kamera, Portrait
Vom Chemielehrer zum Drogendealer: Bryan Cranston als Walter White in der Serie "Breaking Bad" © dpa/picture alliance/Frank Ockenfels/Amc
Von Hendrik Efert · 16.07.2014
Antihelden, Gesellschaftskritik, Provokation: US-Serien wie "Breaking Bad" oder "Mad Men" haben die TV-Unterhaltung revolutioniert. Verantwortlich für den Erfolg sind Autorenkollektive - und teils übermächtige Showrunner.
William Shakespeare:
Warum schreib ich immer noch ganz allein und immerfort dasselbe
Versteck Erfindungsgeist in eng verschlungenem Gestrüpp
Wenn jedes Wort mich doch beinah verrät
Auf seine Herkunft deutet und den weitren Weg?
Christine Lang, Filmemacherin: "Niemand weiß, ob nicht die literarischen Prozesse bei Tolstoi und Shakespeare Teamwork waren. Ich vermute sogar, dass das nicht die Arbeit einer Einzelperson ist, bei allen herausragenden künstlerischen Leistungen ist es ja so meistens. Jeder, der mal Drehbuchschreiben versucht hat und Drehbuch schreibt, merkt ja, wie schwierig das ist, die Figuren das tun zu lassen, was der Plot erfordert. Und dass sie dabei ihre Glaubwürdigkeit behalten. Und man belügt sich dann ja auch manchmal und macht es sich dann auch einfach, dass es dann weitergeht und funktioniert. Und ich glaube, im writers’ room kommt man damit einfach nicht durch."
Akt eins: Serielles Schreiben im Kollektiv
11 Uhr Vormittags, Internationale Filmschule Köln. Zehn junge Menschen versammeln sich um einen großen Konferenztisch, viele haben einen Laptop vor sich stehen, auf dem Tisch stapelweise Papier, Stifte, Karteikarten. Am Kopfende sitzt ein älterer Mann. Hinter ihm eine große Tabelle an der Wand, genauer gesagt ein Beatsheet. Der Writers’ Room des Studiengangs Serial Storytelling trifft sich zur Besprechung.
Hohe Einschaltquoten bedeuten für das klassische kommerzielle US-Fernsehen, dass eine Serie gut funktioniert. Umso mehr Folgen so eine Serie hergibt, desto besser für den Sender. Das sind in einer Fernsehsaison dann in der Regel 22 Stück. Kein Autor der Welt schafft es, 22 gute und in sich kohärente Drehbücher zu schreiben. Dazu braucht es ein Team aus Autoren.
"In einem Writers’ Room, wie ich es aus den USA kenne, kommen alle Autoren einer Serie zusammen. An den Wänden hängen meistens Whiteboards, mit denen sie die einzelnen Stories entwickeln."
Der US-amerikanische Drehbuchautor Morgan Gendel leitet den Writers’ Room an der IFS Köln. Gendel schrieb für Serien wie "Star Trek" oder "Law & Order". Das hier nennt er selbst einen Mock-Writers’ Room, die Nachahmung eines richtigen.
"Wenn erst mal die wichtigsten Punkte der Handlung stehen, schreiben wir sie auf Karteikarten. Dass ist die einfachste Form, eine Episode zu visualisieren. Man kann sie hin und her schieben und schauen, ob der Flow stimmt. Die letztendlichen Drehbücher schreiben die Studierenden dann alleine."
Arbeitssprache ist Englisch. Nur die Hälfte der Teilnehmer kommt aus Deutschland. Jeder schreibt am Ende das Drehbuch zu einer Folge der gemeinsam entwickelten Serie – und kann sich damit dann vielleicht für einen richtigen Writers’ Room bewerben.
Was sich früher im amerikanischen Roman von Updike oder Roth oder in den Filmen von Altman und Coppola fand, findet sich heute im US-Kabelfernsehen: Antihelden, Gesellschaftskritik, Provokation. Um sich vom Programm der frei empfangbaren Networks abzugrenzen, haben Sender wie HBO, AMC oder Showtime in den letzten 15 Jahren wohl die prägende amerikanische Kunstform der Gegenwart geschaffen. Im klassischen Fernsehen wird in der Regel am Ende einer jeden Folge der Ausgangszustand wiederhergestellt, um die Einstiegsschwelle zur Serie niedrig zu halten. Serien wie "The Sopranos", "The Wire", "Mad Men" oder "Breaking Bad" sind dagegen horizontal angelegt - das heißt: Geschichten werden über eine Staffel, ja über die ganze Serie hinweg erzählt. Und aus diesem Grund war auch Figurenentwicklung lange kein Thema in Fernsehsehserien.
In den neuen Serien wird die Entwicklung ihrer Charaktere oft unerträglich kleinteilig und gleichzeitig umso fesselnder nachgezeichnet: Ein Tony Soprano ist am Ende der finalen Staffel der "Sopranos" ein anderer als zu Beginn der Serie. Don Draper aus "Mad Men" ebenso. Und in "Breaking Bad" entwickelt sich der Protagonist vom langweiligen High-School-Lehrer zum kaltblütigen Drogenkönig New Mexicos. In 62 Episoden. Das lange verachtete Medium Fernsehen hat sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts selbst neu erfunden.
Die komplexeren TV-Erzählungen werden mittlerweile nahezu ausschließlich in langen Sitzungen im Writers’ Room entwickelt. 12 Tage für eine Folge sind dabei nicht ungewöhnlich. Dabei wird jeder wichtige Punkt erarbeitet und auf unzähligen Karteikarten festgehalten: Plot Beat für Plot Beat. Morgan Gendel:
"Interessanterweise sind das alles sehr brutale Begriffe: Wir brechen zum Beispiel der Geschichte das Rückgrat oder prügeln die Story heraus. Das ist das, was wir im Writers’ Room machen, normalerweise eben mit dem Showrunner. Wir entwickeln die Beats, die Szenen, so dass eine Geschichte funktioniert."
Erst danach schreibt ein Autor aus diesen Versatzstücken das Drehbuch. Die Fäden im Writers’ Room hält der Head Writer zusammen. Er ist oft der Erfinder der Serie. Ihm kommt im Produktionssystem US-amerikanischer Serien mittlerweile eine große Rolle zu, er ist das Bindeglied zwischen den kreativen Autoren und den gewinnorientierten Produzenten. Man kann ihn durchaus als Chef der Serie sehen, im Abspann wird er als Executive Producer bezeichnet, im US-Produktionsalltag hat sich aber der Begriff Showrunner durchgesetzt. Die bekanntesten Namen: Tom Fontana, David Chase, David Simon, Matthew Weiner und Vince Gilligan.
Zu Stummfilmzeiten haben Autoren in Hollywood keinen guten Stand, sie schreiben lediglich die Zwischentitel. Das Filmbusiness wird deshalb bis heute vom Regisseur dominiert. Als später das Fernsehen immer größer wird, werden Autoren durchgehend benötigt und fest angestellt. Ihr Ansehen steigt, sie werden Teil der ständigen Kollaboration mit den anderen Abteilungen und Gewerken. Die Fäden hält der Produzent in der Hand. Im Laufe der Jahrzehnte steigen die Autoren in der Hierarchie immer weiter auf, die beruflichen Grenzen zwischen Autoren und Produzenten verschwimmen.
"Der Titel Executive Producer wurde etwas inflationär vergeben. Man brauchte also eine Bezeichnung, die klar macht: Der hier ist der Hauptverantwortliche. Der Begriff Showrunner ist ein inoffizieller Terminus. In meinen Verträgen steht zum Beispiel immer noch Executive Producer. In der Praxis ist die Ausgestaltung der Stelle durchaus unterschiedlich. Manche Showrunner wollen jeden Aspekt ihrer Produktion überwachen: Sie kontrollieren die Szenenbildner, die Kostümabteilung, einfach alles. Sie sind wirklich der Knotenpunkt, an dem die Produktion zusammenläuft. Andere wollen nur Chefautoren sein, konzentrieren sich komplett auf die Drehbücher und engagieren Dritte, die sich um die weiteren Details kümmern."
US-Drehbuchautor und Showrunner David Chase. Er hat die Serie "The Sopranos" erfunden.
US-Drehbuchautor und Showrunner David Chase. Er hat die Serie "The Sopranos" erfunden.© AFP
Showrunner sind Ausdruck eines immensen Vertrauensvorschusses seitens der Sender gegenüber den Kreativen. Schließlich stellt es die Installation an die Spitzen millionenschwerer Fernsehproduktionen dar.
"Das macht schon die Qualität dieser Serien aus."
Christine Lang, Filmemacherin, künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Filmhochschule in Potsdam, Serienguckerin.
"Es muss jemanden geben, der die ganzen Ideen immer rücküberführt und guckt, ob das auch Sinn macht im Rahmen dieser Erzählung. Also das ist so eine Form, die glaube ich so etwas hervorbringen kann. Also es würde dann sonst vielleicht auch zerfallen. Aber das Interessante bei diesen Serien ist ja, dass es immer einen Creator gibt, und sowohl die Writers als auch die Regisseure austauschbar sind. Und dass die Serien trotzdem so konsistent wirken."
Der Showrunner schreibt nicht jedes Drehbuch einer jeden Episode. Diese Aufgabe wird reihum unter den Autoren im Writers’ Room verteilt.
"Ich denke, dass dieses Schreiben im Writer's Room der entscheidende Unterschied ist, was die Qualität ausmacht. Weil dann immer noch andere Leute mit im Raum sitzen, Moment, das würde der jetzt nie tun, auch wenn der Plot das braucht. Das heißt, denken wir doch nochmal zwei Tage weiter drüber nach. Und dann kommt man auf Lösungen, die ungewöhnlich sind, auf interessantere Lösungen, gerade wenn man nach Lösungen sucht, die anders sind als gängige Klischee-Erzählungen, einfach mal wieder zu reproduzieren."
Das Fernsehbusiness hat damit ein System etabliert, das uns heute beste serielle Qualität liefert. Oft auf literarisch-epischem Niveau, mit tiefgründigen Figuren, großen Erzählbögen und gesellschaftlich relevanten Themen. Doch genau hier endet die schöne Erzählung über die heile kollaborative Welt im Writers’ Room.
Akt Zwei: Difficult Men
"Ich habe versucht herauszufinden, was es heißt, in diesen Zentren der kreativen Revolution zu arbeiten. Ich hatte Glück, dass mir so viele großzügig Einblick hinter die Kulissen ihrer Serien gegeben haben."
Der US-Journalist Brett Martin hat für sein Buch "Difficult Men" ausgiebig alle möglichen Writers’ Rooms der letzten 15 Jahre erforscht. Er findet für die meisten Showrunner der modernen US-Serien keine guten Worte.
"Eine interessante Dynamik im Writers’ Room ist der Balanceakt zwischen der bestimmenden Vision des Showrunners und der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit. Jeder im Raum muss seine Stimme der des Showrunners unterordnen. Das ist wirklich knifflig."
Die Institution des Showrunners stattet Menschen plötzlich mit einer Macht aus, die sie vorher nie besaßen, oder wie es ein ehemaliger Fernsehproduzent formulierte: 'Das ist, als würde man einem Durchgeknallten die volle Verantwortung über eine Abteilung bei General Motors geben.'
In Brett Martins Buch "Difficult Men" fängt alles mit einem schwierigen Mann an: David Chase. Der Erfinder der "Sopranos" verkörpert wie kein Zweiter das sogenannte Third Golden Age of Televison, geprägt durch horizontal erzählte Serien, mit vielschichtigen Protagonisten, deren Handeln die Zuschauer immer wieder herausfordert.
"Ein Schlüssel zum Begreifen dieser florierenden Kunstform ist die Persönlichkeit des jeweiligen Erfinders der Serie. Ich schreibe über diese mächtigen männlichen Figuren – ihre Persönlichkeit spiegelt sich nicht selten ganz deutlich in den Charakteren ihrer Serienfiguren wider. Ich habe viele Stunden mit David Chase verbracht. Tony Soprano ist David Chase. Außer das Morden natürlich. Auf der einen Seite ist er gequält, finster, andererseits auch sehr, sehr lustig."
David Chase arbeitete bereits vor den "Sopranos" bei einigen Fernsehserien, es ist für ihn vorerst nur ein Job. Er selbst sieht sich als Filmemacher, verachtet das Fernsehen und wahrscheinlich auch alle, die dafür arbeiten, auch sich selbst. Als er die erste Folge der "Sopranos" schreibt, denkt er noch, sie würde sowieso bei HBO durchfallen. Er würde dann einfach noch ein paar Minuten mehr drehen und hätte einen tollen Film. Doch die Folge fällt nicht durch und Chase hat plötzlich eine eigene Fernsehserie am Hals.
Chase braucht nun einen Writers’ Room. Die Autoren sammelt er aus seinem Umfeld zusammen, darunter auch Autoren mit echten Beziehungen zum organisierten Verbrechen. Chase versorgt sie zunächst mit Unmengen an Literatur über die US-Gangster-Geschichte. Doch das reicht ihm nicht: Neben einem New Yorker Staatsanwalt kommt auch immer wieder ein ehemaliges Mitglied der US-Mafia in den Writers’ Room. Der Mann ist mittlerweile im Zeugenschutzprogramm, zeigt den staunenden Autoren dennoch gerne seine Schusswunden oder erklärt geduldig, wie sich der Arm eines Schuldners am effektivsten brechen lässt.
Chase sieht sich als Chef im Writers’ Room, übt kontinuierlich Druck auf die Autoren aus. Die Serie ist sein Baby, das erste von ihm erschaffene filmische Objekt. Und es ist seine geniale Antwort auf das klassische, von ihm so verachtete US-Fernsehen. Sein Leben dreht sich nur noch um die Serie, und das verlangt er auch von den anderen. Der Sender räumt ihm alle Freiheiten ein. Als Showrunner verantwortet Chase die gesamte Produktion. Und von Staffel zu Staffel wird er unausstehlicher.
Die Autoren müssen jederzeit die Stimmung von David Chase erfassen und dementsprechend handeln. Immer wieder sagt er: 'Ich betreibe hier keine Autoren-Schule. Entweder hast du es drauf oder nicht.'
"Ich nenne das: Trickle-down of Pain."
Drehbuchautor Morgan Gendel.
"Viele kommen neu in den Writers’ Room und werden erst einmal verbal zusammengeschlagen. Wenn die dann selber irgendwann einen Writers’ Room führen, können sie in zwei Richtungen gehen. Entweder: Ich wurde damals schlecht behandelt, aber meine Autoren werde ich behüten. Oder aber: Jetzt ist es Zeit zurückzuzahlen. Wie bei einer dysfunktionalen Familie: Du kannst das Verhalten deiner Eltern weitergeben oder reflektieren und verändern."
"Mad Men"-Erfinder Matthew Weiner
"Mad Men"-Erfinder Matthew Weiner© AFP
In Staffel fünf stößt ein neuer Autor zum "Sopranos"-Writers’ Room: Matthew Weiner. Er hatte sich bei David Chase mit einem Skript beworben, das in der Werbebranche der 60er spielt. Weiner schleppt dieses Drehbuch bereits seit vier Jahren in seinem Aktenkoffer mit sich herum. Zumindest half es ihm nun, einen Job bei der anspruchsvollsten Fernsehserie der Gegenwart zu bekommen.
Im sowieso schon spannungsgeladenen Writers’ Room der "Sopranos" sorgt der brillante neue Autor Weiner nicht für Entspannung. Im Gegenteil. Er ist ausfallend und hochnäsig, wird als nach unten tretend und nach oben buckelnd charakterisiert. Zitiert wird er mit den Worten:
"Ich denke meine steile Karriere im Writers’ Room habe ich auch gemacht, weil ich immer wusste, dass, egal in welcher Stimmung der Boss den Raum betritt, ich nichts persönlich nehmen darf. Ich war immer eher so drauf: ‚Das gefällt Dir nicht? Okay, ich hab noch eine andere Idee. Immer noch nicht? Ich hab noch was. Hast Du gerade ‚Fuck you!’ zu mir gesagt? Okay, das meinst Du ja nicht so."
Doch eigentlich geht es Weiner sowieso nur um seine eigene Idee. Die Idee für diese 60er-Jahre-Serie. Vielleicht hätte sie HBO sogar nach dem Ende der "Sopranos" gemacht. Doch Gerüchten zufolge wollte die damalige HBO-Chefin nie wieder mit Weiner zusammenarbeiten und deswegen habe sie die Idee einer Serie mit ihm als Showrunner sofort abgelehnt. Vielleicht nicht die dümmste Überlegung, denn nachdem der aufstrebende Kabelsender AMC die Idee kauft und Weiner seinen eigenen Writers’ Room aufbauen muss, dreht er erst richtig auf. Acht Jahre alt ist das Pilot-Skript nun, acht Jahre musste er für andere arbeiten. Jetzt geht es um sein Lebenswerk.
Matthew Weiner hat zu diesem Zeitpunkt das gesamte "Mad-Men"-Universum bereits ausgearbeitet: Backstories, Querverweise, selbst die Musik. Die Autoren für "Mad Men" sind Weiners Erfüllungsgehilfen. Sie bekommen lange Literaturlisten, müssen sich stundenlang Filme aus den 60ern anschauen, zwei Wände des Writers’ Rooms hängen voller Kalender mit Tagesgeschehen aus der Zeit.
Weiner herrscht autokratisch. Wenn es gut läuft, lobt er und zeigt große Freude am Projekt "Mad Men". Wenn es nicht gut läuft, dann ist er unausstehlich. Immer wieder brüllt er die Autoren an: Warum sollte sie das sagen? Warum sollte er das machen? Nicht selten verlassen sie den Writers’ Room mit Tränen in den Augen. Weiner ist nicht gegen den Writers’ Room - er weiß die kollaborative Arbeit auf seine ganz eigene Art zu schätzen:
"Der Writers’ Room ist wichtig für meine Arbeit, er ist wie ein unter Strom stehender Pudding, in den ich mich hineinwerfe, in dem Storyideen oder Dialogfetzen herumwabern. Dafür brauchst du Leute, die dich zügeln, die deine Gedanken ordnen, denen du auch imponieren willst."
Seine Art, eine der besten Serien aller Zeiten zu führen, polarisiert. Manche Kollegen sagen, er sei ein großes Vorbild, weil er seine Arbeit eben extrem verteidige, nur so sei Fernsehen als Kunstform zu machen.
"Es gibt da diesen Mythos: Der große Künstler als fieser Typ. Um seine oder ihre Vision zu verfolgen, wird jeder im Weg stehende umgerannt. Es gibt eben Showrunner, für die ist es angenehmer zu arbeiten und welche für die es schwieriger ist. 'Breaking-Bad'-Chef Vince Gilligan zum Beispiel beweist, dass man auch durch Zuwendung statt Angst eine geniale Serie machen kann."
"Hier ist unser Writers’ Room in Burbank, im reizenden Burbank, Kalifornieren, wie Johnny Carson immer gesagt hat."
Vince Gilligan, Showrunner der Serie "Breaking Bad"
Vince Gilligan, Showrunner der Serie "Breaking Bad"© AFP
Auch "Breaking-Bad"-Erfinder und Showrunner Vince Gilligan hat Jahre gebraucht, um seine Idee unterzubringen, auch er könnte eine Menge Groll hegen. Hier beschreibt er auf der DVD zu "Breaking Bad" die Arbeit in seinem Writers’ Room:
"Diese Tafel zeigt Episode 5-04, die Sam geschrieben hat. Wir sehen hier jeden einzelnen Plot-Beat, nach denen dann Sam hinterher das Drehbuch geschrieben hat. Natürlich ist da beim Schreiben immer noch viel auszuarbeiten. Aber die Hauptpunkte der Episode sind alle herausgehämmert worden von uns hier im Writers’ Room."
Als glücklichsten Raum Hollywoods beschreibt Journalist Brett Martin den Writers’ Room der Serie "Breaking Bad". Wo man auch hinhört: Showrunner Vince Gilligan wird als sympathischer und gleichzeitig brillanter Mastermind beschrieben – vielleicht, weil es eine so ungewöhnliche Kombination in der Branche ist.
Es gibt so viele unterschiedliche Writers’ Rooms, wie es Serien gibt, geführt von gänzlich unterschiedlichen Showrunnern. Und sicherlich hat diese Art des kollaborativen Arbeitens maßgeblich zum Third Golden Age of Television beigetragen. Brett Martin selbst gesteht aber:
"Ich denke, ein Writers’ Room ist ein außergewöhnlicher kreativer Arbeitsort, an dem man wirklich Unglaubliches schaffen kann. Aber persönlich ziehe ich es vor, alleine zu arbeiten."
Ist der Writers’ Room also nicht das Maß aller Dinge?
Akt drei. Ohne Writers’ Room
Obwohl das Prinzip Writers’ Room weiterhin beliebt ist, wird längst nicht jede Serie in einem solchen geschrieben.
"Ich habe für eine Serie gearbeitet, die handwerklich lange als eine der besten Network-Serien galt: 'Law & Order'. Da hatten wir keinen Writers’ Room."
Morgan Gendel.
"Wir haben meistens zu zweit an einer Episode gearbeitet. Wir haben viel geredet, sind auf dem Studiogelände spazieren gegangen, haben uns auch mal in die Universal Studio Tour geschlichen, haben mit anderen Kollegen Ideen ausgetauscht. Auch so haben wir ziemlich gut gearbeitet."
Die weltweit erfolgreiche Serie "Law & Order" ist strikt vertikal erzählt. Das bedeutet, in jeder Folge wird ein Kriminalfall erzählt und am Ende auch gelöst. Alle Hauptfiguren der Serie kehren am Ende der Folge wieder in ihre Ausgangsposition zurück, es gibt keine – oder kaum – folgenübergreifende Handlung. So können unterschiedlichste Autoren parallel Folgen schreiben, sie müssen sich an keine Charakterentwicklungen oder Erzählbögen halten.
Anfang 2014 lief bei HBO das düstere Crime-Drama "True Detective". Die Serie wurde viel besprochen, hoch gelobt, aber auch kritisiert. Verantwortlich für "True Detective" ist der Schriftsteller Nic Pizzolato, der alle acht Folgen der ersten Staffel alleine schrieb.
"Ich unterscheide nicht in der Art des Schreibens für Prosa, Fiction, Drama, Drehbücher. Ist alles dasselbe."
So Pizzolato im Gespräch mit dem Branchenmagazin "The Hollywood Reporter".
"Und deswegen ist das Schreiben von 'True Detective' so, als würde ich einen Roman schreiben. Meine Vision als Autor, meine Stimme bestimmt die Serie. In meinem Gesamtwerk spiegelt sich eine konstante Vision. Egal, ob Buch oder Serie."
Pizzolato sieht sich ganz klar als autarker Autor. Die Serie entstand nicht nur aus seiner Vision, sie wurde auch komplett nach seinen Vorstellungen umgesetzt. Und: Die gesamte erste Staffel verantwortete ein Regisseur. Ungewöhnlich bislang - beim US-Fernsehen spielen die Regisseure traditionell eine untergeordnete Rolle, wechseln von Folge zu Folge. Zum Start von "True Detective" schrieb der angesehene "New Yorker":
"'True Detective' ist eine großartige neue Serie. Aber: Die beiden männlichen Polizisten rächen tote Frauen und Kinder – jede lebende Frau die sie treffen ist hauchdünn gestaltet: Ehefrauen, Prostituierte, Töchter – keine hat ein Innenleben."
So lässt sich vermuten, dass einem allein schreibenden Autor einer komplexen Fernsehserie eben frei nach Matthew Weiner der Pudding fehlt, in dem man herumwabert bis alles stimmt. Anders ausgedrückt: Anspielpartner – oder eben auch: Partnerinnen - die andere Sichtweisen einbringen und als Korrektiv funktionieren. Und vielleicht wird genau deshalb "True Detective" nicht in die Hall of Fame der besten Serien aufgenommen, neben "The Sopranos", "The Wire", "Mad Men" oder "Breaking Bad". Für die zweite Staffel denkt Pizzolato allerding über die Einrichtung eines Writers’ Room nach. Aber wohl eher, um nicht noch einmal diesen riesigen Arbeitsaufwand allein bewältigen zu müssen.
"Wenn es ein Star-Autor ist, der sich hochgearbeitet und sich das Recht erarbeitet hat zu sagen: Das ist meine Vision für die Serie – dann ist eine Person, die die ganze Serie schreibt, denkbar. Aber das ist wirklich selten."
Und hierzulande?
Akt vier. Deutschland
"Wir waren eigentlich alle überzeugt davon, dass das die einzige vernünftige Möglichkeit ist, Qualitätsserien herzustellen."
2006 bekommt Drehbuchautor Frank Weiß eine einmalige Chance: Für die ProSieben-Serie "Unschuldig" mit Alexandra Neldel in der Hauptrolle, soll ein Writers’ Room eingerichtet werden. Mit Weiß als Showrunner.
"Und dann haben wir uns ein Büro eingerichtet, so wie wir uns das vorstellen es die Amerikaner auch machen. Der Amerikaner, der dann kam, hat uns bestätigt, dass es genau so funktioniert, wir hatten es uns gut angelesen erstmal. Und dann haben wir angefangen, daran zu arbeiten. In der ersten Phase erst versucht große Bögen zu erstellen. Was wollen wir mit den Figuren erzählen? Wo fangen wir an? Wo gehen wir hin? Und dann sind wir in die Folgenarbeit gegangen."
Mit Elan und Vorfreude machen sich die sieben Autoren an die Entwicklung der Serie, in der eine junge engagierte Anwältin zu unrecht Verurteilte aus dem Gefängnis holt. Die Autoren haben viel vor, möchten gerne horizontal erzählen, Charaktere und Stories über die Staffeln entfalten. Doch der Sender denkt konservativ, gibt strikte Anweisungen.
"Ja, das ist aber ja auch was, was es in Deutschland so nicht gibt.... "
Christine Lang, Filmemacherin und künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Filmhochschule in Potsdam.
"Aber das ist ja dann auch dieser Wunsch oder hat eine Tradition so E- und U-Kultur zu unterscheiden und dann immer, wenn etwas so eine Qualität erreicht sofort immer in die Formeln der bürgerlichen Kultur hereinzubringen, wo halt dann dieser Geniebegriff so unglaublich stabil ist. Und ich denke, dass das Handwerkliche in amerikanischen Filmproduktionen eine größere Rolle spielt. Und auch die Akzeptanz von Teamarbeit, wirklich als Bestandteil der Produktionsprozesse im Schöpfungsprozess anzuerkennen, das ist in Deutschland anders verlagert."
Also ist der Writers’ Room mit Autoren, die alle Freiheiten haben und mit einem mächtigen Showrunner in Deutschland vielleicht gar nicht machbar? Frank Weiß widerspricht dem.
"Das hängt nur von der Bereitschaft der Verantwortlichen ab, das ist nicht schwierig umzusetzen. Man muss es nur wollen, man muss nur ein paar Kompetenzen abgeben und man muss vielleicht auch andere Formate haben wollen."
IFS-Writers’ Room Dozent Morgan Gendel berät die Unschuldig-Produktion damals. Er sagt: Frank Weiß wurde zwar als Head-Autor von der Produktion akzeptiert, nicht aber als mächtiger, alles überblickender Showrunner.
"Am Ende lag es am Budget. Sie wollten einfach nicht für einen vollwertigen Showrunner bezahlen. Der Writers’ Room funktioniert nur, wenn da eine Person ist, die alles unter einer bindenden Vision zusammenhält. Meine Erfahrung ist, dass man in Deutschland nicht dafür bezahlen will. Ich bin mir noch nicht mal sicher, dass sie wirklich verstanden haben, warum man Autoren anstellen sollte. Sie sollten Autoren fest beschäftigen – das ist der Schlüssel zu guten Serien. In den USA werden wegen der starken Autorengewerkschaft die meisten angestellten Autoren extrem gut bezahlt. Das ist der Unterschied."
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