Tull: Bemba nur ein Akteur

Denis M. Tull im Gespräch mit Hanns Ostermann · 22.11.2010
Denis M. Tull, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, erwartet vom Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten des Kongo, Jean-Piere Bemba, vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag kein Signal für eine Änderung der Situation in dem afrikanischen Land.
Hanns Ostermann: Wie es heute um die Menschenrechte im Kongo steht, darüber möchte ich mit Denis Tull sprechen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Tull!

Denis M. Tull: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Wie wird dieser Prozess gegen Bemba im Kongo überhaupt wahrgenommen bei der Bevölkerung oder in der Politik?

Tull: Sicherlich gibt es viele Menschen im Kongo, die es richtig finden, dass Menschenrechtsverletzungen geahndet werden, die von dieser Schwere waren. Seine Anhänger, seine politischen Anhänger sehen das natürlich anders, für sie geht es hier letztendlich um Siegerjustiz. Und man muss natürlich sagen, dass Bemba nur ein Akteur ist und man sich die Frage stellen kann, was soll das eigentlich für Konsequenzen haben, wenn viele andere, die schwere Kriegsverbrechen begangen haben, nicht verurteilt werden? Und schließlich, wie es schon der Beitrag sagte: Das sind Verbrechen, die in der Zentralafrikanischen Republik begangen worden sein sollen und die insofern vielleicht für die Situation im Kongo ja eigentlich nur sekundär sind.

Ostermann: Trotzdem: Sind es eigentlich Bürgerkriege oder Businesskriege, die in diesem Land geführt werden im Kongo?

Tull: Da muss man glaube ich sehr stark differenzieren: Es heißt immer, dass im Kongo die Kriege um Rohstoffe geführt werden, dass wirtschaftliche Gier diese Konflikte antreibt; tatsächlich ist die Situation häufig sehr viel komplizierter. Es gibt durchaus Gruppierungen, Rebellen, die politische Ziele verfolgen; es gibt natürlich auch solche, die rein wirtschaftlich motiviert sind; und schließlich haben wir noch eine ganze Reihe von ausländischen Rebellen aus Uganda, aus Ruanda, die versuchen die Regierung ihrer Heimatländer zu stürzen, und die keine Aussicht auf Erfolg haben, und die letztendlich im Kongo um ihr politisches Überleben kämpfen.

Ostermann: Wie tief sind die Wunden der etwa 70 Millionen Menschen durch Krieg und Ausbeutung?

Tull: Nun, diese Wunden sind sehr, sehr tief. Man muss ja auch berücksichtigen: Vorher gab es schon vier Jahrzehnte Diktatur unter Präsident Mobutu; das Land wurde komplett verwüstet und die Situation im Osten ist nach wie vor sehr, sehr besorgniserregend. Nun hatten wir, 2006 hatte man im Kongo Wahlen und die Regierung hat es bislang eigentlich versäumt, den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes voranzubringen, sodass sich für einen Großteil der Menschen in den vergangen vier Jahren relativ wenig zum Guten gewandt hat.

Ostermann: Nun haben die Staaten des Pariser Clubs der Demokratischen Republik Kongo die Hälfte der Auslandsschulden erlassen vor wenigen Tagen: mehr als 7,3 Milliarden Dollar. Die Regierung in Kinshasa versprach im Gegenzug, das zu nutzen, um die Armut zu reduzieren. Aber wie glaubwürdig, wie verlässlich halten Sie Präsident Kabila überhaupt?

Tull: Also er ist ja schon seit 2001 in der Regierung oder an der Macht, und nach allem, was ich auch seit 2006 im Kongo sehe, habe ich keine große Hoffnung, dass diese Versprechen, die hier gegeben worden sind, tatsächlich eingehalten werden. Ich hab häufig den Eindruck, dass die Regierung eben kein Interesse daran hat, Armut zu reduzieren oder Demokratie zu festigen, den Friedensprozess, der im Osten ja noch gar nicht wirklich vorhanden ist, zu etablieren, sondern dass es hier letztendlich nur darum geht, dass die Regierung fest im Sattel sitzt, ihre Macht fest sich konsolidiert und ansonsten die Ressourcen, die vorhanden sind, für die eigenen Zwecke nutzt. Jedenfalls wurden von den großen Wahlkampfversprechen, die Kabila 2006 gemacht hat, wenige eingehalten.

Ostermann: Ist das auch sozusagen ein Indiz dessen, was Sie gerade gesagt haben, dass Präsident Kabila jetzt ein Dekret unterschrieben hat, im gefährdeten Virunga-Nationalpark, im Osten des Landes, nach Öl bohren zu lassen? Dieser Park gehört zum UN-Weltkulturerbe, er verstößt damit gegen entsprechende Auflagen. Also bestätigt auch dies, auch dieser Schritt sozusagen, dass er primär an seine eigenen Interessen denkt, und nicht an die des Volkes?

Tull: Also wir haben im Kongo sicherlich historisch noch nie die Situation gehabt, dass eine Regierung an der Macht war, die nach unserem Verständnis ja am Interesse des Gemeinwohls, der Bevölkerung, nun wirklich sehr interessiert war. Das ist glaube ich noch nie der Fall gewesen, insofern haben wir ein sehr schlechtes Verhältnis, sag ich jetzt mal ganz salopp, zwischen dem sogenannten Staat und der Bevölkerung. Und die Ressourcen, die im Kongo natürlich zuhauf vorhanden sind, alimentieren die politischen Eliten und kommen nicht so sehr der Bevölkerung zugute. Und ob das nun Kupfer ist, ob das Coltan ist, Gold oder möglicherweise, falls es jemals zu der Ölförderung kommen sollte, wird es auch in diesem Bereich so sein: Solange hier letztendlich keine rechtsstaatlichen Strukturen existieren, solange letztendlich auch Demokratien nur wirklich in sehr, sehr kleinen Ansätzen vorhanden ist, wird sich hieran, glaube ich, nichts ändern.

Ostermann: Heute wird in Den Haag der Prozess gegen Jean-Pierre Bemba eröffnet. Über die düstere Situation im Kongo sprach ich mit Denis Tull von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Tull, danke Ihnen für das Gespräch!

Tull: Danke Ihnen!
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