Türkischer Einmarsch in Syrien

Ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg

Mehrere türkische Panzer fahren über eine staubige Straße
Türkische Panzer in Syrien: Sebastian Engelbrecht kritisiert einen "peinlichen Opportunismus gegenüber der Türkei". © AFP
Von Sebastian Engelbrecht · 27.01.2018
Was tun, wenn der Nato-Partner Türkei völkerrechtswidrig in Syrien einmarschiert? Dann müssten Bundesregierung und Nato-Partner einhellig protestieren, meint Sebastian Engelbrecht – und nicht, wie derzeit, der Türkei den Hof machen.
Vier lange Tage, von Sonntag bis Mittwoch, kamen aus Brüssel und Berlin nur Schweigen oder opportunistische Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Partnerland Türkei. Eine Pflicht zur Loyalität gegenüber den kurdischen Streitkräften in Syrien und im Irak scheinen die führenden Strategen in Brüssel und Berlin nicht zu empfinden. Gewiss, die kurdischen Peschmerga und die Volksverteidigungseinheiten der YPG sind keine NATO-Partner. Aber Deutschland und die USA haben sie in den vergangenen Jahren mit Waffen ausgerüstet, damit sie am Boden den Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" führen konnten. Und sie haben ihn gewonnen – auch stellvertretend für das westliche Militärbündnis.

Peinlicher Opportunismus gegenüber der Türkei

Nach Beginn der türkischen Invasion am Sonntag hatte es noch so ausgesehen, als würde die westliche Welt die Türkei gewähren lassen. Die NATO schaute zu. Die USA schauten zu, und auch Deutschland protestierte nicht gegen das völkerrechtswidrige Eindringen des NATO-Partners Türkei ins Nachbarland Syrien. Obwohl alle wussten, dass die türkische Regierung die kurdischen Volksverteidigungseinheiten zurückdrängen und sich selbst ein Stück vom syrischen Kuchen sichern will. Noch am Mittwoch verkündete ein Sprecher von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ganz im Sinne des heuchlerischen Namens "Operation Olivenzweig", dass jedes Mitgliedsland ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Und noch am Dienstag hatte Stoltenbergs Stellvertreterin in Istanbul die NATO gar als "große Familie" bezeichnet. Man entscheide "im Konsens" – hieß es in dem Zusammenhang.

US-Streitkräfte sind auf kurdische Verbündete angewiesen

Und auch in Berlin hielt Bundesaußenminister Sigmar Gabriel an seiner Zusage fest, die er seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu Anfang Januar gegeben hatte. Gabriel setzte sich innerhalb der Bundesregierung dafür ein, die Modernisierung türkischer Leopard-Panzer durch den Rüstungskonzern "Rheinmetall" zu genehmigen. Die für Rüstungsexporte zuständige Staatssekretärsrunde solle dies "wohlwollend prüfen", hatte Gabriel laut "Spiegel" vor der Invasion der türkischen Armee nach Syrien befunden. Auch als alle Welt sah, dass die Türkei mit Leopard-Panzern aus deutscher Produktion in Syrien in den Kampf gegen die Kurden zog, blieb Gabriels Protest aus. Diese Außenpolitik gegenüber der Türkei ist opportunistisch. Mehr noch: Sie ist unmoralisch. Für die Kurden – so scheint es – ist der Lohn für Mut und Kampf in Syrien jetzt der Verrat.
Interessanterweise meldete sich das Weiße Haus am Mittwoch entschieden zu Wort. Die US-Regierung warnte die Türken davor, "einen Konflikt zwischen türkischen und amerikanischen Streitkräften zu riskieren". Denn die in Syrien stationierten US-Streitkräfte sind auf ihre kurdischen Verbündeten von der YPG angewiesen. Die kurdischen Volksschutzeinheiten sind seit zweieinhalb Jahren der wichtigste Bündnispartner der USA in Syrien – und sie werden es bleiben, solange das US-Militär sich nicht mit eigenen Truppen aktiv in den Krieg einmischen will. Washington hat eine deutliche Warnung Richtung Ankara ausgesprochen und – siehe da – seither hört man auch von der NATO und aus dem Auswärtigen Amt in Berlin kritischere Töne. Sigmar Gabriel verschob die Entscheidung über die Nachrüstung der türkischen Leopard-Panzer. Damit solle bis zur "Neubildung einer Regierung" in Berlin gewartet werden.

Keine Nachrüstung für türkische Panzer

Jetzt liegt die Grundsatzfrage auf dem Tisch der Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und SPD. Mit dem peinlichen Opportunismus gegenüber der Türkei muss die künftige Bundesregierung Schluss machen. Vielleicht hilft ein Blick auf die Selbstdarstellung der NATO. Denn sie präsentiert sich als "politische und militärische Allianz" – und mit dem Satz: "Die NATO fördert demokratische Werte." Doch der türkische Präsident Erdogan gängelt nicht nur das eigene Volk.
Jetzt führt er auch noch einen Krieg gegen die Kurden in Syrien. Höchste Zeit, dass die künftige Bundesregierung eine mutige Türkeipolitik macht. Eine Entscheidung über die mögliche Nachrüstung der türkischen Leopard-Panzer sollte nicht, wie von Gabriel angekündigt, verschoben, sondern schnellst möglichst mit Nein beantwortet werden. Deutschland sollte auf Waffengeschäfte mit Ankara verzichten. Und sie schuldet den Kurden die Loyalität, die sie nach dem Sieg gegen den IS verdient haben.
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