Türkei

"Langfristig ist die Entwicklung der Türkei sehr positiv"

Ministerpräsident Erdogan bedient sich gern markiger Worte.
Ministerpräsident Erdogan bedient sich gern markiger Worte. © picture alliance / dpa / Cem Oksuz/Anadolu Agency
Bülent Tulay im Gespräch mit Ute Welty · 04.02.2014
Die Niederschlagung der Protestbewegung, Korruption, der Währungsverfall: Der türkische Unternehmer Bülent Tulay sieht sein Land trotzdem wirtschaftlich auf einem guten Weg. Nur in punkto Meinungsvielfalt und Umgang mit der Opposition müsse sich noch einiges ändern.
Ute Welty: Integration: ja! Assimilation: nein! Und erst Türkisch lernen, dann Deutsch, egal, wo man lebt! Mehrfach ist der türkische Ministerpräsident durch markige Worte aufgefallen. Der heutige Besuch des Recep Tayyip Erdogan in Berlin ist auch so etwas wie sein internationaler Wahlkampfauftakt. Denn der Mann denkt weit über das Jahr 2014 hinaus!
Seit ein paar Jahren in Deutschland lebt Bülent Tulay, genauer seit 36 Jahren. Der Unternehmer und Publizist ist Vorsitzender der deutsch-türkischen Wirtschaftsvereinigung und er hat heute Geburtstag, guten Morgen und herzlichen Glückwunsch!
Bülent Tulay: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Da sich ja Geburtstagskinder immer was wünschen dürfen, was wünschen Sie sich, das Ihr Ministerpräsident bei seinem Besuch möglichst unterlässt, und was wünschen Sie sich, das er tut?
Tulay: Also, ich würde zuerst sagen, ich wünsche mir sehr, was er tut, dass er gute Gespräche führt und ergebnisorientierte Gespräche führt in Richtung Europäische Union und Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen und vor allen Dingen auch Verbesserungen des Status der Deutschtürken in Deutschland.
Welty: Und was sollte er lieber lassen?
Tulay: Ich meine, das wird er, glaube ich, von sich aus tun. In Deutschland würde ich keine türkische Innenpolitik betreiben. Der Beitrag, den Sie vorhin gesendet haben, das sind natürlich sehr markige Worte, das zielt natürlich sehr stark auf die Binnenpolitik und die Wählerschaft in der Türkei ab. Und das ist hier weniger angebracht.
Welty: Heute Abend spricht Erdogan ja vor mehreren Tausend Menschen im Tempodrom in Berlin, unter dem Motto: Berlin trifft den großen Meister. Glauben Sie, dass er noch einmal so selbstbewusst und vielleicht auch ein wenig anmaßend auftreten wird wie 2008 in der Kölnarena?
"Erdogan wird sicher nicht leise auftreten"
Tulay: Also, Ministerpräsident Erdogan ist natürlich ein Leader, eine Führungsfigur. Das hat die Türkei in den Jahren seit 1923 ihrer Gründung mit Atatürk erlebt, mit Menderes, erlebt mit Özal. Und ich sehe in dieser Reihenfolge, er wird sicherlich nicht leise auftreten. Er ist ein begnadeter Redner, Rhetoriker, und das wird er wieder tun.
Welty: Aber die Zeiten haben sich seitdem doch sehr geändert, das Bild hat doch einige Risse bekommen? Stichwort Protestbewegung, Stichwort Korruption, Stichwort Währungsverfall…
Tulay: Das ist richtig. Also, die Protestbewegung Gezi war ein Riss in der Entwicklung der erdoganschen Regierung, die bis dahin eigentlich sehr – jedenfalls, da muss ich in dieser Situation als Mann der Wirtschaft reden –, wirtschaftlich sehr gut gelaufen ist. Und was Demokratisierungsbestrebungen anbelangte, hat seine Regierung wirklich viel mehr vorgelegt, viel mehr realisiert als manche sozialdemokratischen Regierungen oder Koalitionen, von denen man es eher erwartet hätte. Das war eine Überraschung. Und Gezi war eine Unterbrechung in dieser Entwicklung, richtig. Und die letztaufgetretenen Korruptionsfälle haben dieses Bild weiterhin getrübt.
Welty: Aber wohin steuert denn die türkische Politik angesichts dieses Dreiecks von eben Protestbewegung, Korruption und Währungsverfall? Von hier aus, von Deutschland aus gesehen, ist es nicht immer unbedingt ganz klar.
Tulay: Ja, wissen Sie, auch die türkische Entwicklung ist langfristig sehr positiv. Ich bin in der Türkei geboren und aufgewachsen und jedes Mal hieß es, wir stehen am Abgrund und morgen ist die größte Katastrophe. Ich will damit nichts bagatellisieren, aber warten wir mal ab! Die mittel- und langfristigen Prognosen über die Türkei, über die türkische Entwicklung, wirtschaftlich, politisch, sind nicht negativ. Ich halte es zwar nicht für eine Bagatelle, was gegenwärtig sich abspielt, aber ich bin trotzdem sehr zuversichtlich. Wenn man diese Türkei zum Beispiel mit China vergleichen würde, schadet sie natürlich … Sie ist ja im Vergleich zu dem genannten Land eine Musterdemokratie.
Welty: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich!
Tulay: Ja, da haben Sie völlig recht. Aber ich würde jetzt nicht so ganz betrübt und pessimistisch sein. Ich glaube, dass die Türkei auch diese Phase durchlaufen muss, und das tut sie gegenwärtig. Ob wir dann übermorgen diese Regierung an der Macht haben oder eine andere, das wissen nur die Wähler, denke ich.
Welty: Wohl auch kaum eine Bagatelle sind die nächsten Runden der Verhandlungen mit der Europäischen Union.
Tulay: Richtig.
Welty: Da geht es um schwierige Themen, um Menschenrechte, um Justiz und Rechtstaatlichkeit. Das klingt jetzt nicht unbedingt danach, dass die Situation einfacher wird!
"Rechtssicherheit muss unabhängig von politischen Schwankungen geben"
Tulay: Nein, da haben Sie völlig recht. Also, die Themen und von daher die Rechtssicherheit, das wird eine bedeutende Rolle spielen, denke ich. Und da ist die Türkei in einer absoluten Bringschuld. Die muss es geben, diese Rechtssicherheit muss es auch auf Dauer und unabhängig von politischen Schwankungen hin und her geben, das ist ein sehr wichtiger Punkt.
Welty: Aber hat Erdogan nicht gerade das Gegenteil bewiesen mit seinen Handlungen, mit seinen Versetzungen, was Richter angeht?
Tulay: Es sieht jedenfalls danach aus. Nur, ich kann noch mal aus der Sicht der Wirtschaft sagen: Also, wir haben jedenfalls in der Türkei nicht unbedingt, noch nie diesen einen Fall gehabt, dass es da aufgrund der Rechtsunsicherheit oder Rechtsbeliebigkeit Unternehmen, vor allen Dingen ausländische Unternehmen schlecht ergangen wäre. Es gibt keinen einzigen Fall. Das ist jetzt das Thema Wirtschaftsrechtssicherheit, wie verhält sich ein Land als Investitionsstandort einem Unternehmen gegenüber, das von außen gekommen ist und in diesem Land investiert hat. Also, wir haben ziemlich negative Beispiele in der russischen Föderation erlebt, das hat die Türkei seit ihrer Gründung noch nie vorgewiesen, ganz im Gegenteil. Das ist die eine Geschichte. Was aber die Meinungsvielfalt und meinetwegen die Behandlung der oppositionellen Kräfte, Stimmungen, Strömungen anbelangt, das ist ein Kapitel, da muss die Türkei sich wirklich ordentlich verbessern, keine Frage!
Welty: Bülent Tulay, Unternehmer, Publizist und Vorsitzender der deutsch-türkischen Wirtschaftsvereinigung. Ich danke sehr für dieses Interview an Ihrem Geburtstag …
Tulay: Vielen Dank! Danke!
Welty: … und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema