Tückischer Tod durch Plastiktüten

Von Dietrich Mohaupt · 17.07.2013
Jahr für Jahr sterben Tausende von Meeresschildkröten, weil sie Plastiktüten mit Quallen verwechseln. Im Ostseebad Timmendorfer Strand verknoten die Mitarbeiter des Sealife Center den Müll zu einer langen Kette - als Mahnmal gegen die Verschmutzung der Meere.
Gestatten: Speedy, die Grüne Meeresschildkröte ‒ elf Jahre alt, rund 90 Kilo schwer und gut 80 Zentimeter lang. Speedy ist einer der Stars im großen Ozeanbecken im Sealife Center Timmendorfer Strand. Immer wieder taucht der faustgroße Kopf der Schildkröte an der Wasseroberfläche auf. Einmal Luft holen, ein kurzer Blick in die Runde ‒ dann verschindet der grünlich-braun schimmernde Panzer von Speedy wieder in den Tiefen des Aquariums. Am Rand des Beckens kniet Tierpflegerin Yvonne Cardell. Vor ihr steht eine Plastikschüssel mit lauter Leckereien für Speedy. Es ist Fütterungszeit.

"Komm mal her… Sie bekommt jetzt Broccoli und Salat. Die hat eine innere Uhr und weiß genau, wann es Fressen gibt und kommt dann auch gleich hier her geschwommen und bettelt regelrecht."

Broccoli und Salat, das steht in freier Wildbahn natürlich nicht auf der Speisekarte der Meeresschildkröten:

"Die würde in der Natur den Boden abgrasen, Algen grasen, und frisst auch Quallen ‒ aber hauptsächlich vegetarisch, Algen."

Quallen als ein wichtiger Bestandteil der Ernährung der Meeresschildkröten ‒ das ist das Stichwort für Natascha Spreen. Die Chefin des Sealife Centers steht auf einem schmalen Steg am Rand des großen Beckens und beobachtet Speedy genau.

"Wenn eine Plastiktüte im Meer ein bisschen länger herumschwimmt, dann sieht die für eine Schildkröte aus wie eine Qualle. Das heißt die Schildkröte frisst dann halt die Plastiktüten und die verstopfen ihren gesamten Verdauungsapparat - und das heißt, dass eine Schildkröte, wenn man ihr dann nicht hilft, was in der Natur ja meistens dann der Fall ist, die wird dann qualvoll verenden an diesen Plastiktüten, die ihren Magen verstopfen. Sie spürt dann auch kein Hungergefühl mehr, weil sie ja was im Magen hat, kann aber dies Plastiktüte eben nicht verdauen ‒ und das ist die große Gefahr."

Um auf die aufmerksam zu machen, gibt es den Weltrekordversuch mit der längsten Plastiktütenkette. Denn während Speedy unbesorgt seinen Brocoli bekommt, sterben in den Weltmeeren dagegen Jahr für Jahr tausende von Meeresschildkröten, weil sie Plastiktüten mit Quallen verwechseln. Eine Studie der Deutschen Umwelthilfe belegt, dass Deutschland neben Italien, Spanien und Großbritannien zu den absoluten Spitzenreitern beim Plastiktütenverbrauch pro Jahr gehört.

"Es ist halt in Deutschland zum Beispiel so, dass jeder Deutsche im Schnitt 65 Plastiktüten verbraucht - und das ist schon ziemlich viel, wenn man das mal hochrechnet."

Mehr als fünf Milliarden Tüten im Jahr, 10.000 Tüten pro Minute, 167 in der Sekunde ‒ das ist das Ergebnis dieser Rechenaufgabe. Und wenn man dann noch berücksichtigt, dass es rund 500 Jahre dauert, bis sich eine Plastiktüte im Meer vollständig zersetzt hat, dann wird schnell klar, welche Mengen Kunststoffmüll derzeit schon in den Weltmeeren treibt. Einige Tausend Plastiktüten sind in den letzten Wochen allerdings nicht im Wasser gelandet, sondern im Sealife Center. So recht weiß Natascha Spreen gar nicht, wie viele Tüten inzwischen bei ihr eingetroffen sind. Für die längste Plastiktütenkette der Welt sollte es aber reichen, glaubt sie:

"Wir haben die Vorgabe bekommen wir müssen mindestens 5.000 Tüten aneinander knoten ‒ ein paar Wochen haben wir halt gesammelt, Schulkinder haben uns Tüten gebracht, und wir waren sehr erstaunt darüber, in was für einer kurzen Zeit wir Massen an Tüten bekommen haben, also gebrauchte Plastiktüten. Wie viele es jetzt genau sind, kann ich gar nicht sagen. Es sind definitiv über 5000, ich würde schätzen, es sind vielleicht sogar 8000."

… und für die hat der Platz schon lange nicht mehr ausgereicht. Ein externes Lager musste her.

Ganze Berge von Plastiktüten lagern inzwischen in einer Scheune ein paar Kilometer außerhalb vom Timmendorfer Strand. Marketingleiterin Franziska Potrasky hat sich persönlich um die Zwischenlagerung gekümmert:

""Im Sealife war kein Platz mehr da. Wir hatten das zuerst im Mitarbeiterraum zwischengelagert, und der war nachher nicht mehr zu betreten, und darum war klar: Es muss ein Außenlager her. Im Normalfall lagern hier unsere Flyer und unsere Poster und all diese Dinge. Aber in diesem Fall war klar: Das Lager muss kurzerhand mal umfunktioniert werden, denn dafür brauchten wir eine Lösung."

In der Scheune wird immer noch fleißig geknotet. Einige tausend Plastiktüten sind schon zu Teilketten verarbeitet und liegen zum Abtransport an den Strand bereit, es gibt aber noch genug zu tun. Sealife-Mitarbeiter Daniel Jaslan ist gerade erst zum Knotenmachen abkommandiert worden. Er macht seine ersten Erfahrungen und muss feststellen: Gar nicht so einfach, das Gefummel mit den Plastiktüten.

"Ich denke, wir machen jetzt hier einfach mal, zack, einen Knoten…das ist gar nicht so einfach… sehen Sie, und schon hält das nämlich nicht… also machen wir jetzt hier einen Knoten… Du kannst mir helfen, ja, hilf mir mal!"

Gescheitert auf ganzer Linie, nennt man das wohl. Aber Kollegin Anna Klink kann aushelfen. Die hat schon einige hundert Doppelknoten hinter sich und weiß ganz gut, wie es geht:

"Gestaltet sich nicht so einfach … ein Ende und dann das nächste, genau… und dann knoten wir das wieder um eine andere Tüte rum … also, am Besten immer die Enden nehmen und dann ein Doppelknoten … und schön fest nach Möglichkeit, damit die Kette nicht reißt."

Das wäre dann nämlich das Ende des Weltrekordversuchs, der heute Vormittag ab elf Uhr auf dem Ostseestrand ganz in der Nähe des Sealife Centers starten soll. Nach der Aktion werden natürlich alle verwendeten Plastiktüten ordnungsgemäß recycelt - anders als immerhin neun von zehn Plastiktüten, die laut der Deutschen Umwelthilfe in Europa nicht wiederverwertet werden.
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