Tschetschenen

Nicht geflüchtet, um sich zu integrieren

Ramsan Kadyrow, Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien.
Ramsan Kadyrow hat eine islamistisch geprägtes Regime in Tschetschenien aufgebaut. © picture alliance / Ria Novosti / Said Tcarnaev
Von Barbara Lehmann · 16.02.2016
Zwei Flüchtlingsbegegnungen der Publizistin Barbara Lehmann: Ein Tschetschene kämpft von Deutschland aus weiter für seine islamistische Vision. Eine Tschetschenin dagegen will sich integrieren - und muss deswegen nun Angst vor ihren Landsleuten haben.
Berlin im Sommer 2003. Er war der erste Asylant, den ich kennenlernte: Tschetschenien, sagte er, das sei ein Ghetto der Russen, in dem die Tschetschenen als Kapos dienten. Immer wieder erzählte er von den russischen Panzern, die sein Heimatdorf vollständig ausgelöscht hatten.
Für mich und andere deutsche Helfer war er vor allem eins: Opfer. Ein David, der sich im kolonialen Kampf gegen den russischen Goliath zur Wehr setzte. Dass er und seine Freunde aus der Führungselite Itschkerias, des unabhängigen Tschetscheniens, sich zum Wahhabismus bekannten, hatte für uns keine Bedeutung.

Wahhabiten präsentierten perfekte Opfergeschichten

Rasch fanden sich für ihn und seine wahhabitschen Gesinnungsgenossen in der Folge Mittel und Wege, Frauen und Kinder nachkommen zu lassen. Auch Scheinehen wurden geschlossen. Es war für sie leicht, den Aufenthaltsstatus und soziale Leistungen zu erhalten. Sie präsentierten perfekte Opfergeschichten und bedienten Reflexe gegen russische Großmachtpolitik.
Und dann kam Amina. Die tschetschenische Studentin war in ihrer Heimat entführt worden und danach Hals über Kopf geflohen. Sie verfügte nicht, wie die Wahhabiten, über Geld und Kontakte, um auf direktem Wege nach Deutschland zu gelangen.
Ihr Pech war, dass sie bei einer einwöchigen Irrfahrt mit anderen Frauen bei einer polizeilichen Kontrolle in Polen registriert worden war. Aufgrund des Dublin-II-Abkommens hatte sie damit keine Chance, in Deutschland Asyl zu bekommen, nachdem Schleuser sie wie Vieh auf den Berliner Alexanderplatz vom Lastwagen geworfen hatten. Sie blieb dennoch.
Amina war weltoffen. Sie pfiff auf islamisch-tschetschenische Regeln, zog Hosen an, trug kein Kopftuch und setzte sich allein in ein Berliner Cafe. Ihre religiösen Landsleute distanzierten sich deshalb von ihr. Die werde schlecht enden, hieß es.

Kadyrow und seine Widersacher sind Brüder im Geiste

Ich fuhr nach Tschetschenien. Statt der oft beschriebenen Trümmerlandschaft traf ich auf wiederaufgebaute weiße Fassaden. Präsident Kadyrow hatte sie mit russischen Geldern errichten lassen.
Im ersten Krieg war er noch gemeinsam mit den exilierten Wahhabiten gegen Russland zu Felde gezogen. Als Belohnung für den Frontenwechsel ließ ihn der Kreml dabei gewähren, eine islamistisch geprägte Diktatur in Tschetschenien aufzubauen. Eigentlich, so verstand ich jetzt, waren die Kadyrowzy und ihre Widersacher im Berliner Exil Brüder im Geiste. Sie waren Opfer des Krieges – aber auch Täter.
Amina tauchte unter. 15 Monate lebte sie, dank deutscher und russischer Freunde, illegal in der Großstadt. Danach konnte sie nicht mehr nach Polen abgeschoben werden. Inzwischen hat sie einen deutschen Mann, ein Kind, eine Ausbildung und einen Job. Noch immer verfolgen sie Albträume, in denen sie von Abschiedekommandos gejagt wird. Tagsüber ist sie weiterhin auf der Hut - vor ihren Landsleuten.

Religiöse Kämpfer wollen sich nicht integrieren

Die exilierten Wahhabiten leben ebenfalls nach wie vor in Deutschland. Mit Integrationsmaßnahmen sind sie nie behelligt worden. Sie sprechen kaum Deutsch und bewegen sich durch eine Parallelgesellschaft. Global vernetzt mit ihresgleichen verfolgen sie fanatisch ihren Kampf gegen Russland weiter - an allen Fronten, auch persönlich in der Ukraine und in Syrien.
Ihr Traum ist ein Tschetschenien, in dem kein Platz wäre für weltoffene Frauen wie Amina. Anders als sie wird der erste Asylant, den ich kennen lernte, werden auch seine wahhabitischen Landsleute hier in Deutschland immer fremd sein. Sie wollen es auch nicht anders.
Und ich? Ich habe mir diese Geschichte nicht vorstellen können, als ich 2003 begann, mich für Flüchtlinge aus dem Kaukasus zu engagieren.
Barbara Lehmann lebt in Berlin und schreibt als freie Autorin Features, Essays und Reportagen. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf Osteuropa. Zudem ist sie Dramaturgin, literarische Übersetzerin und Moderatorin. 2015 debütierte sie als Schriftstellerin mit dem Tschetschenienroman "Eine Liebe in Zeiten des Krieges" (Langen Müller).
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Die Autorin Barbara Lehmann© privat
Mehr zum Thema