Trittin für Grundsicherung

Moderation: Hanns Ostermann · 23.11.2007
In der innerparteilichen Debatte der Grünen um ihre künftige Sozialpolitik hat Bundestagsfraktionsvize Jürgen Trittin für die Vorstandsposition einer Grundsicherung geworben. Vor Beginn des Parteitags in Nürnberg zeigte sich die Basis noch unentschieden, ob sie nicht eher für ein anderes Modell, das ein Grundeinkommen vorsieht und von verschiedenen Landesverbänden favorisiert wird, plädieren soll. Trittin sagte, gegenwärtig sei eine bedarfsdeckende Grundsicherung der richtige Schritt. Er äußerte sich optimistisch, dass der Parteitag diesem Modell zustimme.
Hanns Ostermann: Soziale Fragen sind es derzeit, die auf Parteitagen Hochkonjunktur haben. Das galt für die Sozialdemokraten in Hamburg, und das gilt auch für die Bündnisgrünen, die von heute an in Nürnberg zusammenkommen. Die einfache Erklärung: Die Schere zwischen Arm und Reich bei uns wird größer, Parteien können nur dann punkten, wenn sie auf Fragen der sozialen Gerechtigkeit Antworten finden. Grundsicherung oder Grundeinkommen, mit diesen beiden Begriffen werden sich die rund 800 Delegierten auseinandersetzen; es könnte wieder spannend werden wie vor zwei Monaten, als es auf einem Sonderparteitag in Göttingen um den Afghanistaneinsatz ging. Folgt die Basis der Spitze diesmal? Wir sind um neun Minuten vor sieben im Deutschlandradio Kultur mit Jürgen Trittin verbunden, dem Grünen-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Bundesumweltminister. Guten Morgen, Herr Trittin!

Jürgen Trittin: Guten Morgen!

Ostermann: Die Parteispitze ist für die Grundsicherung, die sieht unter anderem vor, die Regelsätze bei Hartz IV deutlich anzuheben. Verabschieden Sie sich damit nicht von der Agenda 2010?

Trittin: Wir haben bei der Agenda 2010 immer betont, dass wir einen Schritt richtig gefunden haben, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Soziahilfe, das hat 900.000 Sozialhilfeempfänger zum ersten Mal in ihrem Leben einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung, auf Weiterbildung und Förderung gegeben. Deswegen haben wir gesagt, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Agenda 2010 war aber in bestimmten Bereichen mit Fehlern behaftet. Zum Beispiel ist gegen unser ausdrückliches Votum im Vermittlungsausschuss beschlossen worden, die Zuverdienstmöglichkeiten und insbesondere aber auch das Schonvermögen, was gerade für ältere Arbeitnehmer wichtig ist, viel stärker gekürzt worden, und wir haben heute schließlich auch feststellen müssen, dass der damals angesetzte Regelsatz mit 347 Euro, entsprechend weniger für Kinder, dass dieser Regelsatz nicht hinreichend ist, und deswegen plädieren wir für eine deutliche Anhebung. Und wir wollen einen dritten Missstand beseitigen. Heute schon sind fast eine Million Menschen Empfänger des Arbeitslosengeldes II als sogenannte "Aufstocker", das heißt, wir subventionieren aus Steuermitteln ausbeuterischere Arbeitsverhältnisse in vielen Bereichen bis hin zu den berühmten Briefträgern. Das kann so nicht sein, und deswegen macht eine solche Regelsatzerhöhung nur Sinn mit der gleichzeitigen Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, auch dies wird in dem Antrag, den der Bundesvorstand auf dem Parteitag eingebracht hat, mit aller Deutlichkeit unterstrichen.

Ostermann: Trotzdem, dieses Paket kostet insgesamt, wenn ich da richtig informiert bin, 60 Milliarden Euro. Wie passt das zu der von Ihnen immer wieder geforderten Generationengerechtigkeit?

Trittin: Das passt deswegen dazu, weil wir dieses ausdrücklich nicht über neue Schulden finanzieren wollen. Ein Teil der Ausgaben beruht unter anderem darauf, dass die Grünen dafür eintreten, dass künftig kein Kind mehr in einer Ganztagsschule sein soll, wo es nicht ein Mittagessen bekommt, dass Kinder in Kindertagesstätten nicht ungefrühstückt spielen sollen. Dieses alles kostet Geld, das ist ein Stück Generationengerechtigkeit, und damit das gerecht wird, wollen wir zum Beispiel diesen Teil finanzieren durch eine deutliche Anhebung bei der Erbschaftssteuer. In anderen Bereichen sagen wir, wir müssen ökologisch kontraproduktive Subventionen abbauen, und wir treten explizit dafür ein, auch den Spitzensteuersatz, von heute 42, wieder auf die alte, grüne Forderung von 45 Prozent anzuheben. Sie sehen, wir haben es nicht aus dem Auge verloren, so etwas solide zu finanzieren. Im Übrigen muss ich darauf hinweisen, dass 60 Milliarden sich auf den ersten Blick sehr, sehr viel anhört, wenn Sie anschauen, was die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung in diesem Jahr gewesen sind, so werden Sie feststellen, so fern ist das gar nicht von der tatsächlichen Entwicklung.

Ostermann: Nicht wenige in Ihrer Partei gehen noch wesentlich weiter. Sie fordern das bedingungslose Grundeinkommen, unabhängig von der Bedürftigkeit. Das klingt ja gut, klingt verlockend, aber ist doch absolut unrealistisch.

Trittin: Ich glaube nicht, dass es absolut unrealistisch ist, ein Vorschlag, das gesamte Steuersystem entsprechend umzubauen. Das Problem bei dem Vorschlag, das sehe ich eigentlich eher da drin, dass wir, bevor wir dieses konsequent umgebaut haben, faktisch nicht zu konkreten Verbesserungen für die heute von Armut betroffenen Menschen zu kommen, und hier ist dringender Handlungsbedarf. Und deswegen ist mein Plädoyer nachdrücklich dafür, jetzt für eine bedarfsdeckende Grundsicherung zu sorgen, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die wirklich einen Bedarf haben, tatsächlich besser gestellt sind, dass auch Menschen, die arm sind, in materiell beengten Lebensverhältnissen leben müssen, eine Würde haben, die es auch vonseiten des Staates auch zu achten gilt. Und deswegen glaube ich auch, dass das Modell einer bedarfsdeckenden Grundsicherung die in diesem Moment richtige Antwort auf die Herausforderung ist.

Ostermann: Immerhin, drei Landesverbände haben sich für das Grundeinkommen ausgesprochen. Viele sind noch unentschieden. Wenn der Parteitag auch diesmal nicht der Spitze folgt, dann hätten Sie doch ein Riesenproblem?

Trittin: Ich glaube, dass nach den vielen Diskussionen, übrigens auch im Parteirat, wo ja viele Ländervertreter drin sind, und wo auch Menschen bei sind, die eine große Sympathie für das Grundeinkommen haben, am Ende alle gesagt haben, wir halten in der jetzigen Situation es für richtig, nicht zu warten, bis wir das gesamte Einkommenssteuersystem, das gesamte System der Mehrwertsteuer, all dieses, so umgebaut haben, dass wir eine Grundeinkommensidee wirklich verfolgen können, sondern zu sagen, wir gehen jetzt den Schritt hin zu einer wirklich bedarfsdeckenden Grundsicherung.

Ostermann: Würden Sie eine Wette darauf eingehen, dass Sie sich mit der Parteispitze durchsetzen?

Trittin: Ich pflege ungern zu wetten, so oder so. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Chancen in dieser Situation eins ganz gute sind. Mit diesem Antrag darf eine deutliche Verbesserung der jetzigen Situation, grade für Bezieher des Arbeitslosengeldes II zielt, auch eine anständige Mehrheit zu haben.

Ostermann: Umwelt- und Klimapolitik, die einstigen Urthemen der Grünen, sind inzwischen längst bei den anderen Parteien angekommen. Angela Merkel ist nicht zuletzt auf diesen Gebieten außenpolitisch erfolgreich. Haben die Grünen hier den Anschluss verpasst?

Trittin: Ich glaube nicht, dass wir den Anschluss verpasst haben, im Gegenteil. Wen Sie sich anschauen, was die drei Machtworte von Frau Merkel in der ersten Halbzeit gewesen sind. Das letzte war, kein Mindestlohn für Briefträger, weil Friede Springer ihr das und so vorgesagt hat. Die anderen beiden waren Machtworte zugunsten der Automobilindustrie, die angebliche Klimakanzlerin hat verhindert, dass es wirkliche Verbrauchsobergrenzen für Fahrzeuge gibt, und das danach folgende Machtwort der Kanzlerin war das gegen ein Tempolimit.

Ostermann: Herr Trittin ...

Trittin: Hier zeigt sich, die Klimakanzlerin ist im Zweifelsfall aufseiten der Autoindustrie und nicht auf der Seite des Klimaschutzes.

Ostermann: Und wo ist die Radikalität früherer Tage bei den Grünen?

Trittin: Ich könnte das noch durchbuchstabieren, zum Beispiel an der Frage, warum müssen eigentlich in Deutschland Kohlekraftwerke weiterhin subventioniert werden. Hier sind die Grünen, Sie haben ja nach Radikalität gefragt, wirklich konsequent dabei und sagen, wir wollen, dass CO2 gemindert wird und nicht auf 40 Jahre hinaus, neue Kapazitäten für den CO2-Ausstoß von morgen geschaffen werden.

Ostermann: Jürgen Trittin, der Grüne-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundesumweltminister vor dem Parteitag heute in Nürnberg. Danke Ihnen für das Gespräch!
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