Trauer, die ins Bild passt

Vorgestellt von Anke Leweke · 12.11.2008
In "Im Winter ein Jahr" erzählt Oscar-Preisträgerin Caroline Link von einer Familie, die ein Jahr nach seinem Freitod des Sohnes bzw. des Bruders gedenkt. Die Trauerarbeit beginnt, als die Mutter (Corinna Harfouch) ein Porträt von ihm und seiner Schwester in Auftrag gibt. In dem französischen Film "So viele Jahre liebe ich dich" wird eine Frau, die ihr Kind umgebracht hat, nach 15 Jahren Gefängnis aus der Haft entlassen.
Im Winter ein Jahr
Deutschland 2008, Regie: Caroline Link, Hauptdarsteller: Karoline Herfurth, Corinna Harfouch, Hanns Zischler, Josef Bierbichler, 128 Minuten, ab 12 Jahren

Wie wird man mit dem Verlust eines Sohnes, eines Bruders fertig, der sich umgebracht hat? In ihrem neuen Film beobachtet die Oscar-Preisträgerin Caroline Link die verschiedenen Formen der Trauerarbeit innerhalb einer Familie. Die Mutter (Corinna Harfouch) verstummt und will den Verlust nicht akzeptieren, der Vater (Hanns Zischler) verdrängt und geht seinen Geschäften nach, während die Schwester (Karoline Herfurth) in einer Art Ohnmacht gefangen ist. Die Dinge kommen in Bewegung, als die Mutter einem Maler (Josef Bierbichler) den Auftrag gibt, ein Porträt von dem toten Sohn und seiner Schwester Lilli anzufertigen. Für Lilli werden die Malsessions zur Therapie, sie sieht ihren Bruder mit neuen Augen, sucht seine Freunde auf, versucht, die verstummte Familie wieder zum Sprechen zu bringen. Auch das Leben des Malers, dessen Sohn sich von ihm abgewendet hat, wird einen neuen Verlauf nehmen.

Die Stärke von "Im Winter ein Jahr" ist seine ruhige Erzählweise, er lässt allen Beteiligten, die Zeit, die es nun mal braucht, um einen Verlust zu verarbeiten. Auch die Kamera wirkt niemals aufdringlich, gibt den Figuren einen eigenen Raum. Dennoch hat der Film etwas seltsam Kaltes, zu sehr ergötzt er sich an seiner gediegenen Machart und Ausstattung. Die Familie wohnt in einer schmucken Villa am Münchner Stadtrand, die Ehekriege zwischen Zischler und Harfouch finden in optisch ansprechenden Räumen statt. Hauptsache, die Trauer passt gut ins Bild. Wie bestellt und nicht abgeholt, seltsam allein gelassen wirken diese Figuren in den edel gestalteten Tableaus.

Man will Caroline Link gar nicht vorwerfen, dass sie ihren Gestaltungswillen auf dem Rücken ihrer Filmfamilie austrägt. Doch bleiben die Settings bloße Kulisse, sterile Orte, die weder auf ein Milieu noch auf eine Schicht verweisen und die daher keine eigene Gegenwart für ihre Helden und Heldinnen entwickeln. Dass Gefühle und Lebenswirklichkeiten einander bedingen können – diese Frage wirft der Film erst gar nicht auf.


<im_47537>"So viele Jahre liebe ich dich" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_47537>So viele Jahre liebe ich dich
Frankreich 2008, Regie: Phillipe Claudel, Hauptdarsteller: Kristin Scott Thomas, Elsa Zylberstein, Serge Hazanavicius, Laurent Grevill, 115 Minuten, ab 6 Jahre

Dieser Film macht es sich nicht leicht. Seine Heldin ist weder eine Sympathieträgerin noch eine Identifikationsfigur. Mit nichts als einem Koffer und einem verschlossenen Gesicht erscheint sie in der ersten Einstellung. Juliette wird von ihrer jüngeren Schwester abgeholt, die sie freudig umarmen möchte, doch nur auf eine versteinerte Reaktion trifft. Der letzte Halt dieser Frau scheint ihre Zigarette zu sein. Nach und nach erfahren wir, dass sie ihren kleinen Sohn umgebracht hat und 15 Jahre im Gefängnis saß. Nach ihrer Entlassung soll sie bei der Familie ihrer jüngeren Schwester einziehen. Natürlich steht die Tat zwischen ihnen, doch gibt es auch noch die Vertrautheit aus der gemeinsamen Kindheit.

In ruhigen Bildern beobachtet das Regiedebüt von Philippe Claudel das Gesicht einer gebrochenen Frau, die ihre Tat nicht fassen kann, die sich selbst als Monster wahrnimmt. Doch langsam findet sie ihren Weg zurück ins Leben, der Film begleitet sie dabei. Dabei geht es nicht um Psychologisierung und Erklärungen, auch verlangt der Film kein Verständnis des Zuschauers. Philippe Claudel und seine Hauptdarstellerin Kristin Scott Thomas vollbringen die ungeheure Leistung, dass man einen Menschen nicht verstehen muss, um ihm näher zu kommen.