Transplantation

Haare adé

Von Heiner Kiesel  · 10.05.2014
70 bis 100 ausgefallene Haare pro Tag sind normal. Bei etwa der Hälfte der Männer werden es irgendwann mal deutlich mehr: erblicher Haarausfall. Inzwischen legen sich aber auch viele Männer unters Messer.
Reza Azar: "Jana macht die neue Frisur, ja?"
Jana: "Ich bin die Böse."
Reza Azar: "Jana ist böse, ich bin der Liebe."
Der Liebe, das ist Reza Azar, der Haarchirurg. Der steht in seinem kleinen Operationssaal im grünen Kittel und sieht zu, wie seinem Patienten die Haare geschoren werden. Das ist erst mal so ziemlich das Unangenehmste, das Olaf Stach sich vorstellen kann. Seit 25 Jahren, sein halbes Leben, kämpft der hochgewachsene sportliche Mann dagegen an. Erblicher Haarausfall: sein Vater, sein Bruder beide kahl. Er hat noch welche. Einige. Er peppt sie mit Haarverdichtungsspray auf und schluckt Hormonblocker. Rückzugsgefechte. Das ist bereits seine zweite Haar-OP.
Olaf Stach: "Ich will jetzt nicht sagen, man will die Zeit anhalten, aber man will vielleicht probieren, diese Vitalität, dieses Gesamtbild, das man jetzt hat so ein Stück festzuhalten. Was natürlich irrational ist, aber es ist eine Vorstellung."
Haarverlust betrifft die Hälfte aller Männer. Stach will sich damit nicht abfinden. Glatze passt nicht zu dem Bild, das er von sich hat. Sportlich, vital, mitten im Leben. Viele mit dem Haarproblem sagen sich: Was soll's? Andere rasieren sich trotzig eine Glatze. Fleischmütze. Die hat Stach jetzt auch. Der Arzt schaut ihn an, legt den Kopf schief:
Azar: "Wollen sie immer noch die Behandlung, vielleicht gefällt es Ihnen ja."
Stach: "Nein gefällt mir nicht."
Azar: "Dann setzen Sie sich bitte."
Wie ein silberner Kuli mit abgesägter Spitze
Mit einem roten Stift zieht Azar Linien über Stachs Stirn. Die künftige Haarlinie. Dann legt sich der Patient auf die OP-Liege. Auf den Bauch. Sein Gesicht liegt auf einer weichen runden Öffnung im Kopfteil. So kann er atmen. Der Arzt beugt sich über den stoppeligen Hinterkopf. Azar senkt eine Spritzennadel unter die Kopfhaut. Betäubung. Stachs Zehen verkrampfen sich. Kurzes Warten. Wirkt. Jetzt wendet sich der Chirurg zum Instrumententischchen und greift sich ein Gerät, das aussieht wie ein silberner Kuli mit abgesägter Spitze.
Azar: "Wie gesagt eine Hohlnadel, gleiten die Hohlnadeln über das Haar hinein und stanzen den Haarfollikel frei. Der nächste Schritt ist, mit einer feinen Pinzette das Haar raus."
Wo er piekst, entsteht ein kreisrundes Löchlein in Stachs Hinterkopf. Genau die Zone in der die Haare wachsen, die nicht vom erblichen Haarausfall befallen werden. Haarwurzelernte. Azar zupft. Reicht das Transplantat weiter. Jana, die Assistentin taucht es in ein Schälchen mit gekühlter Kochsalzlösung. Immer mehr. Azar tupft. Die Mullbinde wird rot. Stachs Kopf sieht bald aus wie ein blutiges Sieb.
Azar: "Haben wir 100?"
Jana: "93!"
Er hat genug beisammen. Jetzt muss es rasch gehen.
Azar: "Gleich drehen sie sich dann auf den Rücken und dann fangen wir an mit Desinfektion und Betäubung im Empfangsbereich an."
Wieder die Spritze. Unter der Haut. Über der Stirn. Denn hier sind die lichten Stellen, hier sollen die transplantierten Haare aus dem Hinterkopf anwachsen.
Stach: "Aaargh!"
Jetzt hat Azar eine sehr feine Klinge in der Hand. Er sticht zu.
Azar: "Tut das weh?"
Stach: "Man merkt es ein bisschen."
Azar: "Zum Aushalten?"
Stach: "Na Sie machen mir Spaß."
Er schneidet Minischlitze für seine Setzlinge.
Azar: "Aus Ihnen mach ich einen Fakir."
Stach hat die Augen geschlossen. Die Kopfhaut ist dumpf. Azar pfropft die Haarfollikel ein. Sacht, eines nach dem anderen. Alle acht Sekunden eines. Fast liebevoll.
Azar: "Sie können gerne aufstehen, wenn sie möchten, wir machen fünf Minuten Pause."
Er möchte. Stach geht ins Wartezimmer. Dort sitzt seine Frau schon die ganze Zeit. Besorgt.

Monika Stach: "Wie fühlst du dich? Kannst du nicht mehr liegen?"
Stach: "Nein der Doktor macht immer Späße."
Sie soll Fotos machen. Stach will jeden Schritt dokumentieren, der ihn seinem Ziel näher bringt. Sie hofft mit ihm. Auch wenn er sonst aussieht wie schlimm verprügelt. Seine Augen leuchten richtig.
Azar: "Herr Stach."
Stach: "Ja, Herr Doktor."
Azar: "Wir machen weiter."
100 Haare hinten raus, 100 vorne wieder rein. Betäuben. Stanzen. Säubern. Betäuben. Schlitzen. Einpflanzen. Zwei Tage lang geht das so, 2000 Transplantate sind vereinbart. Der Mülleimer hinter dem Arzt füllt sich mit blutigem Mull. Stachs Haut ist irgendwann fahl vor Müdigkeit. Azar macht stoisch weiter.
Azar: "Ja das muss ihnen liegen, erst mal diese filigrane Tätigkeit, dieser Respekt zu diesem kleinen Organ, man muss diese Patienten, Menschen mögen und dass dieser Job fast an Zauberei grenzt."
Stress für das Gewebe
Haare findet Azar faszinierend, seine Transplantationsmethode natürlich auch. An die 10.000 Euro wird es Stach kosten. Sein Hinterkopf ist inzwischen gleichmäßig rot gepunktet. Es sind noch keine 2000 Löcher, aber es reicht erst mal. Sonst ist der Stress für das Gewebe zu groß. Azar richtet sich auf.
Jana: "Das letzte."
Azar: "Wir sind fertig."
Stach lächelt. 1412 Löcher am Hinterkopf, ebenso viele Schlitzchen oben. 1412 Mal Hoffnung für Stach. Der muss jetzt erst mal warten. Die Transplantate brauchen zwischen drei und zwölf Monate, um sich zu erholen. Dann treiben sie wieder Haare aus. Wenn alles gut geht.