Transparenz an erster Stelle

Daniel Domscheit-Berg im Gespräch mit Dieter Kassel · 14.12.2010
"Openleaks" wolle sich dem rechtlichen Schutz von Whistleblowern widmen und sich um das Anrecht der Öffentlichkeit auf gute Information kümmern, sagt der Mitgründer der neuen Plattform Daniel Domscheit-Berg.
Dieter Kassel: Wenn man im Mittelpunkt des Interesses steht, dann muss es einem nicht unbedingt gut gehen – gilt für Menschen wie für Organisationen. WikiLeaks steht ganz sicher im Moment im Mittelpunkt des weltweiten Medieninteresses, aber geht es der Internetplattform wirklich gut? Man weiß es nicht. Die jüngsten Veröffentlichungen von Protokollen des US-Außenministeriums sind nun wirklich sehr umstritten, Julian Assange sitzt im Gefängnis in London, kommuniziert von da aus aktuell heute gerade über seine Mutter mit der Außenwelt, und man hat ein bisschen das Gefühl, die Organisation hat vielleicht im Moment mehr mit sich selber zu tun als wirklich mit dem Veröffentlichen weltweit wichtiger Daten.

Und nun kommt noch etwas dazu: Noch in dieser Woche startet eine Alternative zu WikiLeaks, wird entfernt so ähnlich heißen, Openleaks, soll für die Leute, die gerne Whistleblowing betreiben möchten, also geheime Daten veröffentlichen, Möglichkeiten bieten, aber vielleicht nicht ganz genau so, wie man das von WikiLeaks nun schon kennt. Unter anderem mit dabei bei Openleaks ist Daniel Domscheit-Berg. Der war selber bei WikiLeaks, drei Jahre lang, von Herbst 2007 bis zum Herbst dieses Jahres, war unter dem Pseudonym Daniel Schmitt der deutsche Sprecher von WikiLeaks und ist dann im Streit gegangen. Und jetzt ist er bei uns am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Domscheit-Berg!

Daniel Domscheit-Berg: Hallo!

Kassel: Da würde man jetzt natürlich glauben, wenn man weiß, Sie waren bei WikiLeaks, Sie wollen jetzt unter dem Namen Openleaks das Gleiche in Grün machen – wollen Sie das?

Domscheit-Berg: Nein, also wir verfolgen eigentlich mit dieser Plattform einen etwas anderen Ansatz – man könnte es als so etwas wie die evolutionäre Weiterentwicklung verstehen. Es sind ganz sicherlich Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, die hier mit einfließen, auch Visionen, die wir in unserer Zeit bei WikiLeaks entwickelt haben, allerdings hat sich dort dann … strategisch haben sich die Wege getrennt. Wir waren uns nicht mehr ganz einig darüber, wo wir gemeinsam hin wollen, und wir führen jetzt konsequent das weiter, was wir als die sinnvollere Lösung dieses Themas Whistleblowing betrachten.

Kassel: Openleaks soll in dieser Woche an den Start gehen, das wird in den nächsten Tagen, wenn ein paar technische Probleme ausgeräumt sind, wohl auch passieren, aber was genau wird diese Plattform dann bieten?

Domscheit-Berg: Das, was in dieser Woche gelauncht wird, ist einfach nur eine Webseite, die unser Projekt erklären wird. Es wird – das ist wichtig zu verstehen – noch keine Möglichkeiten geben, Dokumente hochzuladen, wir werden dort auch keine Dokumente veröffentlichen, sondern wir werden das Projekt als solches vorstellen und der Öffentlichkeit erklären, wo auch die Unterschiede liegen, zum Beispiel zu einer Webseite wie WikiLeaks.

Kassel: Dann erklären Sie es jetzt schon mir, wo werden denn die Unterschiede liegen?

Domscheit-Berg: Also die Unterschiede liegen darin, dass wir versuchen, mit dieser Plattform eigentlich einen dezentralen Ansatz zum Thema Whistleblowing zu schaffen. Wenn man das sich vielleicht abstrakt vorstellen möchte: WikiLeaks betreut heute so eine Art Briefkasten, und in diesen Briefkasten können Menschen Dokumente reinstecken. Das Projekt selbst verwertet diese Dokumente dann auf die eine oder andere Art und Weise, gibt sie vielleicht auch einigen Medienpartnern vorab, und irgendwann werden diese Dokumente dann veröffentlicht. Das ist ein sehr zentralistischer Ansatz, aus meiner Sicht ist das schon da, wo das Problem beginnt.

Wir sind der Meinung, dass jede Medienorganisation einen solchen Briefkasten braucht, auch braucht jede NGO, die sich mit verschiedenen Themen beschäftigt, wie Greenpeace vielleicht, einen solchen Briefkasten oder andere Organisationen, vielleicht auch die Gewerkschaften. Und unser Ziel ist, diesen Briefkasten, also diese Technologie, über die Whistleblower anonym Dokumente weitergeben können, allen zur Verfügung zu stellen, die einen Bedarf dafür haben. Das soll nicht fokussiert sein, ganz wichtig, auf große Medienunternehmungen allein oder große Häuser, es soll ein guter Mix sein aus verschiedensten Organisationen oder Gruppierungen, die davon leben, dass man ihnen Informationen zukommen lässt und diese dann auch entsprechend auswerten.

Kassel: Und diese auch entsprechend bezahlen?

Domscheit-Berg: Natürlich fallen bei einem solchen Projekt Kosten an, das ist ganz klar. Das beginnt mit der Infrastruktur, es ist aber auch ganz klar – und das ist das, worauf wir hinarbeiten –, dass wir diesen Service möglichst vielen kostenfrei zur Verfügung stellen möchten. Das heißt, wir versuchen hier kein Geschäftsmodell aufzubauen, wir versuchen nicht, Whistleblowing in irgendeiner Art und Weise zu kommerzialisieren, sondern wir versuchen, eine Infrastruktur aufzubauen, die möglichst viele kostenfrei benutzen können, die aber auf der anderen Seite auch sicherstellt, dass diejenigen, die die Infrastruktur unterstützen können, weil sie finanzielle Mittel dazu haben, das dann tun können. Und dazu gehört dann sicher auch, dass wir von dem ein oder anderen Medienunternehmen erwarten, dass sie uns in Form von Infrastruktur Unterstützung dort beitragen. Da geht es dann auch nicht um Geld, sondern eher darum, dass wir von Medienhäusern und NGOs erwarten, dass sie uns helfen, diese Infrastruktur eben weiter auszubauen.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur gerade mit Daniel Domscheit-Berg, er war drei Jahre lang unter anderem als deren Deutschlandsprecher bei WikiLeaks, und er ist jetzt einer der Gründer der alternativen Plattform Openleaks. Nun habe ich aber ein bisschen das Gefühl – vielleicht habe ich eins von beidem, entweder Openleaks oder auch WikiLeaks, falsch verstanden, aber widerspricht das nicht einer dieser Grundtheorien, nämlich dass ja diese Informationen, wenn sie dann jemand geleakt hat, möglichst schnell absolut jedem zur Verfügung stehen sollen. Das wäre ja bei Openleaks dann nicht so.

Domscheit-Berg: Also auch dafür haben wir Mechanismen, das ist eine sehr wichtige Frage. Es ist so: Wir möchten nicht eine Infrastruktur aufbauen, mit der man gezielt Archive von etablierten Medienhäusern zum Beispiel füttern kann und diese Informationen mit niemand anderem geteilt werden. Der Mechanismus dafür sieht so aus, dass, wenn Sie etwas hochladen als Quelle, können Sie spezifizieren, bei wem das landen soll und wie lange dort ein exklusives Recht vorliegt, diese Informationen zu verwerten. Das ist wichtig, denn die Medienökonomie funktioniert, zumindest in größeren Teilen und wenn viel Recherche benötigt wird, eben genau so, dass man der erste sein möchte, der darüber berichtet. Das ist vielleicht schade, es ist auf der anderen Seite nichts, woran wir etwas ändern können, und wir müssen versuchen, mit diesem Umstand so umzugehen.

Wenn diese Periode verstrichen ist, also sagen wir, Sie spezifizieren da zwei Wochen, spätestens nach diesen zwei Wochen, wenn das Medienhaus sich nicht entscheidet, das Dokument selbst zu publizieren, dann wird das Dokument innerhalb der Infrastruktur an alle weiteren Teilnehmer verteilt, sodass zumindest Dutzende bis Hunderte andere vielleicht dort Zugriff erhalten, und es wird sich aus unserer Sicht innerhalb dieser Dynamik immer jemand finden, der das Dokument dann publizieren wird. Wir haben über dieses Problem sehr lange nachgedacht, das ist auch etwas, was wir auf der Webseite sicherlich so erklären werden im Detail, und ich bin der Meinung, dass diese Dynamiken und Mechanismen funktionieren werden. Also ich glaube nicht, dass wir damit rechnen müssen, dass dort Dokumente nicht an die Öffentlichkeit kommen.

Ganz im Gegenteil: Die Dokumente werden da an die Öffentlichkeit kommen, wo Menschen sie gebrauchen können, und das ist im Idealfall dann bei ihrer Lokalzeitung, weil sie dort Korruption im Städtebauamt direkt melden konnten und die auch mit der Information etwas anzufangen wissen und das nicht einfach im Wust der Informationsflut des Internet verschwindet.

Kassel: Diese Informationsflut des Internet könnte aber dennoch zum Problem werden. WikiLeaks hat ja jetzt schon das Problem aus meiner Sicht, dass da immer enorme Datenmengen veröffentlicht werden – 251.000 Dokumente, was jetzt die jüngsten Veröffentlichungen des Außenministeriums in Washington betrifft, aber vorher Afghanistan, Irak, das ging ganz schnell in die Hunderttausende. Wie wollen Sie denn so etwas bei Openleaks verhindern, was ist denn, wenn jemand ankommt und schickt jetzt den "Lübecker Nachrichten" oder einer Zeitung von dieser Größe 270.000 Seiten?

Domscheit-Berg: Dann ist das im Primärfall erst mal das Problem des Empfängers. Dann muss der Empfänger überlegen, ob er die Ressourcen hat, das alles zu verwerten. Der Empfänger kann auch innerhalb der Infrastruktur sich mit anderen Teilnehmern zusammentun, es können dort Partnerschaften eingegangen werden oder kooperiert werden an der Verwertung des Materials – also all solche Dynamiken sind da sicherlich denkbar. Es ist allerdings primär das Problem des Empfängers, und man muss eben sehen, wie viel Ressourcen man dann dort reinstecken kann. Und wie gesagt, wenn die Ressourcen nicht vorhanden sind und man das Material in der Zeitspanne, die einem zur Verfügung steht, nicht ordentlich verwertet, dann führt das dazu, dass das Material weiter verteilt wird, und dann werden sich weitere Kapazitäten sicherlich auftun.

Kassel: Eines der großen Probleme von WikiLeaks ist ja nun sicherlich Julian Assange, nicht nur bei Ihnen war er ja ein ganz wesentlicher Grund, die Organisation am Ende zu verlassen. Wie wollen Sie denn bei Openleaks langfristig – jetzt am Anfang ist das immer ganz lustig und man ist ein Team, aber wenn dann der Erfolg möglicherweise bald kommt – langfristig verhindern, dass Sie so einen zweiten Julian Assange kriegen, der das Ganze für sein Projekt hält? Denn manipulieren kann man eine Menge, man muss ja allein schon auswählen – man muss nicht, aber man könnte auswählen, welchen Organisationen man so einen Briefkasten verschafft und nicht.

Domscheit-Berg: Also wir beginnen mit den Tests für die Infrastruktur im nächsten Januar, und zum gleichen Zeitpunkt werden wir auch beginnen, hier in Deutschland eine Stiftung zu etablieren. Das hat den Hintergrund, dass wir auch aus der Erfahrung der letzten Jahre eigentlich der Überzeugung sind, dass es Zeit wird, dass eine solche Stiftung, die sich um Whistleblower, um das Thema der Öffentlichkeit, das Anrecht auf gute Informationen für die Öffentlichkeit auch den rechtlichen Schutz von Whistleblowern und ähnlichen Themen einfach dezidiert widmen kann. Und aus diesem Grund werden wir dabei helfen, mit verschiedenen anderen eine solche Organisation in Form einer deutschen Stiftung ins Leben zu rufen. Diese Stiftung sehen wir dann eigentlich auch in einer Position, um politische Entscheidungen, die vielleicht für das Projekt auch anfallen, zu treffen. Also wir hätten das alles sehr gerne sehr transparent.

Es wird dann – egal wie – auch für das Projekt selbst ein ordentliches Board geben, das besetzt ist, wo auch ganz klar ist, wie Entscheidungen getroffen werden, wie die Rollen und Verantwortlichkeiten verteilt sind. Wir arbeiten im Moment schon an Mechanismen, um von Anfang an auch die Finanzen oder die finanzielle Unterstützung dieses Projekts transparent zu machen, genau sagen zu können, an welcher Stelle hier wo Kosten auflaufen, wie eventuelle Gelder, die wir vielleicht bekommen durch die Öffentlichkeit – einzelne Spender oder auch aus anderen Kanälen –, wie wir das dann eben umsetzen und für was das eingesetzt wird.

Und wie verfolgen eigentlich ja insgesamt diesen dezentralen Ansatz, und ich glaube, dieser dezentrale Ansatz wird dazu führen, dass die Aufmerksamkeit viel mehr auf die Partner gelenkt werden wird, die gute Arbeit mit Dokumenten, mit Informationen, die man ihnen zuspielt, leisten. Und somit entsteht auch gar nicht erst dieser ganze Fokus auf eine Organisation, die dann vielleicht auch selbst mehr damit beschäftigt ist, sich selbst als Organisation zu bedienen oder in den Medien zu vermarkten, als eben die Inhalte und das, für was sie eigentlich mal angetreten war.

Kassel: Keine Konkurrenz, aber eine Alternative zu WikiLeaks. Openleaks geht noch in den nächsten Tagen mit einer Informationswebseite ins Netz und will dann ab dem nächsten Jahr Vermittler sein zwischen den Leuten, die geheime Dokumente veröffentlichen wollen, und den Organisationen, die das wirklich tun können. Wir sprachen über das neue Projekt mit einem der Gründer, mit Daniel Domscheit-Berg. Herr Domscheit-Berg, vielen Dank für das Gespräch!

Domscheit-Berg: Vielen Dank auch!