Tragikkomödie mit artistischen Einlagen

Von Volker Trauth · 29.10.2011
In seiner Inszenierung von Tschechows Stück "Der Kirschgarten" nimmt Regisseur Thomas Langhoff den Figuren den elegischen, sentimental dahinfließenden Dauerton. Es wird viel gelacht an diesem Abend. Das Problem der Aufführung ist ihr schauspielerisches Leistungsgefälle.
Wohl kein Theaterstück hat solche prägenden Einflüsse auf die dramatische Weltliteratur gehabt wie Tschechows "Kirschgarten". Die Dialogtechnik des Aneinadervorbeiredens und der gestörten Kommunikation hat seine Ursprünge im Reden des tauben Dieners Firs, der nichts versteht und sich völlig zusammenhanglos ins Gespräch einmischt. Bis zu den absurden Clownsspielen Becketts reichen diese Einflüsse.

Thomas Brasch, der seine Übersetzung ganz bewusst "Übertragung und Bearbeitung" nannte, hat das Stück näher an Tschechow herangerückt, indem er eine Szene wieder aufgenommen hat, die Tschechow auf Bitten des Uraufführungsregisseurs Stanislawski gestrichen hatte, weil dem großen Theaterreformer zu dieser Stelle nichts eingefallen war. Es ist jene Textstelle, in der der 87-jährige Firs leicht verwirrt davon erzählt, dass er einst im Gefängnis gesessen hat, weil er auf unergründliche Weise in einen Mordfall verwickelt war.

Wenn Firs dann den traurigen Kindheitserinnerungen der von ihren Eltern verlassenen Gouvernante Charlotta seine Gefängnisstory anfügt, gleichen die beiden in ihrer absurden Komik tatsächlich Beckettschen Clowns. Auch der Sprache der übrigen Figuren hat Brasch eine größere Lakonik und Direktheit gegeben. Ein "taubes Huhn" und einen "Sauberkeitsfanatiker mit Schweißhändchen" nennt die Ranjewskaja den Studenten Trofimow und wirft ihm vor, nie ein "richtiges Weib im Bett" gehabt zu haben.

Regisseur Thomas Langhoff folgt Braschs Realismusbemühungen und nimmt den Figuren den elegischen, sentimental dahinfließenden Dauerton. Es wird viel gelacht an diesem Abend und fast alle versuchen sich an artistischen Kunststücken. Charlotta beispielsweise lässt Tücher verschwinden, verbrennt Geldscheine und lässt sie wieder auftauchen. In einer von Brasch hinzugeschriebenen Szene unterhält sie sich als Bauchrednerin mit einer vorlauten Puppe über den Autor Tschechow. In den besten Momenten bleiben diese Kunststücke nicht Selbstzweck, sondern bieten den Ausführenden die Chance, innere Leere und Zukunftsangst zu überdecken. Die Metapher vom Überlebensartisten kommt einem dann in den Sinn.

Das Problem der Aufführung ist ihr schauspielkünstlerisches Leistungsgefälle. Manche Figuren wie die Magd Dunjascha, die Adoptivtochter Warja oder der Kontorist Jepichodow gewinnen kaum szenisches Eigenleben, andere wie der Firs des überragenden Jürgen Holtz werden ewig in Erinnerung bleiben. Manche Szenen läppern konturenlos dahin, andere wie die besagte Clownsszene zwischen Carmen Maja Antony als Charlotta und dem verwirrten Firs sind von schauspielerischer Brillanz und existentieller philosophischer Tiefe. Das Leistungsgefälle im Darstellerischen hat Folgen: Es entstehen Leerstellen und die Abfolge der Ereignisse beginnt zu schleppen.

Die Ranjewskaja spielt Cornelia Froboess. Thomas Langhoff hat deren Arbeitsweise in einem Monatsheft des Berliner Ensembles so beschrieben, dass sie ihre Figuren aus einer Fülle von Details, die sich scheinbar widersprechen, zusammensetzt. So auch als Ranjewskaja. Wie eine exaltierte Provinzschauspielerin umarmt sie den Schrank als Erinnerungsstück an ihre Jugendzeit, mit einem ganz unvermittelten Schrei erinnert sie sich an den Ertrinkungstod ihres Sohnes, mit fatalistischer Ungerührtheit erzählt sie von ihrem traurigen Lebe in Paris, um dann hysterisch um Vergebung für ihre Sünden zu flehen; den Studenten Trofimow beleidigt sie gnadenlos und im nächsten Moment zieht sie den ins Vertrauen in ihre Lebensängste.

Aus dem anderen Figurenensemble ragt Robert Gallinowski als der Unternehmer Lopachin heraus. Das ist nicht nur der gefühllose Geldschinder Geschäftemacher, viel mehr einer, der mit seiner neuen Macht über das Gut nur schwer zurechtkommt. Wenn er von der Versteigerung des Gutes zurückkommt, lebt er nicht seinen Triumph aus, dass er als Sohn ehemaliger Leibeigener nun Besitzer ist, sondern ist voller Traurigkeit über die Tragik des Lebens, die den einen nach oben zieht, den anderen zu Boden wirft.