Traditionelle Musik Albaniens

Keine Hochzeit ohne Saze

Der Autor und Plattenproduzent Joe Boyd
Der Autor und Plattenproduzent Joe Boyd © picture alliance / dpa - Anne-Marie Briscombe
Andrea Goertler und Joe Boyd im Gespräch mit Dirk Schneider · 11.10.2017
Joe Boyd betreute einst die ersten Aufnahmen von Pink Floyd. Seiner Frau Andrea Goertler ist es zu verdanken, dass er heute einer der wenigen Produzenten albanischer Saze-Musik ist. Gemeinsam versammelten die beiden einige Größen dieses Genres auf einem Album.
Dirk Schneider: Saze ist eine Musik, die wie viele andere Genres, allen voran der Jazz, entstanden ist, als Landbewohner ihre Musik in die Städte brachten. An welchen Orten und zu welchen Gelegenheiten wurde diese Musik gespielt, und welche Rolle spielt sie heute noch?
Andrea Goertler: Die Saze-Ensembles haben sehr schnell ihren Weg in jegliche Art von Feier gefunden: Hochzeiten, Beerdigungen, Marktversammlungen, und so ist das heute eigentlich immer noch: Man kann sich im Süden Albaniens keine Hochzeit ohne diese Musik vorstellen.
Schneider: Sie haben nun einige Größen des Saze zusammengetrommelt und mit ihnen diese Aufnahmen gemacht. Wie haben Sie das gemacht, haben Sie die Leute einfach angerufen und sie gefragt ob sie Lust haben, mitzumachen?

Schlüsselfiguren der Saze-Szene

Joe Boyd: Es begann mit einer Serie, die Lucy Durán bei der BBC gemacht hat über albanische Musik. Sie hat dafür mit einer Frau in Albanien zusammengearbeitet, Edit Pula, unserer Koproduzentin. Sie haben Aufnahmen mit Donika Pecallari gemacht, die auch auf unserer CD singt, und Aurel Qirjo (Oréll Tschírjo), der bei uns die erste Geige spielt. Wir hatten also Kontakt zu diesen zwei Schlüsselfiguren der Saze-Szene. Und Aurel hat uns dann wiederum mit Musikern bekannt gemacht, die er gut kennt und mit denen er zusammen gespielt hat. Und auch Donika, die in Athen lebt, hatte gute Verbindungen zu Musikern, und so haben wir diese Gruppe zusammengestellt mit Leuten aus der Diaspora und aus verschiedenen Gegenden Albaniens.
Schneider: "The Joy and Sorrows of Albanian Saze", so ist das Album untertitelt. Wovon handelt die Musik?
Boyd: Es werden unterschiedlichste Themen besungen. Einige Lieder handeln von Migration, von der Tragödie, die es darstellt, wenn man seine Heimat auf der Suche nach Arbeit verlassen muss. Aber der Titel der CD, "At Least Wave Your Handkerchief at Me", stammt vom dritten Stück auf dem Album, (…) es handelt von einem Jungen, der sich nach dem schönen Nachbarsmädchen verzehrt, und die ist natürlich gut von ihrer Familie beschützt, und er fleht sie an, sie möge wenigstens mit dem Taschentuch nach ihm winken, um ihm zu zeigen dass sie weiß, dass er existiert, und dass sie sich über seine Blicke freut.

Saze – der albanische Blues?

Schneider: Saze – hierzulande selten gehörte Musik aus dem Süden Albaniens, die jetzt auf einer von Joe Boyd und Andrea Goertler und Edit Pula zusammengestellten CD zu finden ist. Aufgenommen wurde sie von Jerry Boys, dem legendären Produzenten des Buena Vista Social Club, und a propos: Ry Cooder hat den Saze "deep soul" genannt, manche sprechen auch vom albanischen Blues. Welchen Vergleich bevorzugen Sie?
Boyd: Na ja, die Leute ziehen natürlich gerne Vergleiche zu etwas, das sie kennen, und es ist sehr verlockend, hier vom albanischen Blues zu sprechen. Aber das ist natürlich nicht zutreffend, mit dem Blues hat diese Musik wirklich nicht viel gemeinsam. Aber wenn Ry Cooder vom "deep Soul" spricht, muss ich sagen, ja, diese Musik hat Tiefe. Je länger ich mich mit dieser Musik beschäftige, desto mehr erkenne ich, wie raffiniert sie ist. Die Gefühle werden hier nicht so stark herausgestellt wie in bulgarischer oder griechischer Musik, aber wenn man ihr etwas Zeit gibt, entdeckt man hier wirklich tiefe Gefühle.
Schneider: Frau Goertler, Sie leben in Albanien und beschäftigen sich mit traditioneller Musik, allerdings nicht beruflich, sondern aus privater Leidenschaft – erzählen Sie mir ein bisschen mehr über ihre Verbindung zur albanischen Musik?

"Die albanische Musik hat mich sofort sehr ergriffen"

Goertler: Meine Arbeit im Umweltbereich hat mich 2009 nach Albanien geführt, und ich hatte das Privileg, dort in einer Behörde zu arbeiten, in der alle Mitarbeiter unglaublich begeistert von der albanischen Musik waren. Und das ist nicht besonders normal, denn zur Zeit des Kommunismus war traditionelle Musik die einzig offiziell erlaubte Musik, alles andere musste man heimlich hören. Das heißt es gab nach dem Ende des Kommunismus eine starke Ablehnung traditioneller Musik. Die albanische Musik hat mich sofort sehr ergriffen, die Art, wie sie Menschen zusammenbringt, wie sie dazu tanzen, wie sie beim ersten Lied, das auf einer Feier gespielt wird, aufspringen und sich dann auch nicht mehr hinsetzen. Das heißt ich wollte das auch gerne. Ich habe jahrelang Tanzunterricht genommen und viele, viele Tänze aus allen albanischen Regionen gelernt und mir die Musik wahrscheinlich vom Tanz her erarbeitet.
Schneider: Dann hat die Musik wegen dieses ziemlich einzigartigen Regimes von Enver Hoxha wahrscheinlich eine andere Entwicklung gemacht als in anderen Ländern?
Boyd: Aber Enver Hoxha hat diese Musik ja geliebt. Er hat wirklich versucht, fremde Musik von Albanien fernzuhalten. Es war wirklich streng verboten, Rock'n'Roll zu hören, oder Popmusik aus Italien oder Jugoslawien. Wie viele Diktatoren hat er natürlich darauf geachtet, dass die Texte nicht politisch inkorrekt waren, also wurden viele Texte umgedichtet, um Enver Hoxha zu preisen, oder die Maschinisierung der Landwirtschaft. Aber er hat damit sehr viel für die Erhaltung der Musiktradition getan. Uns haben Sänger erzählt, dass sie für ihre Auftritte beim Gjirokastra Festival unter Hoxha zwei Monate bezahlt bekamen, um zu proben. Und so hatte das Ende des Regimes natürlich schlimme Auswirkungen für diese Musik. Viele Musiker mussten damals Albanien verlassen.
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