Tourismus und Gedenken

Wird NS-Geschichte zum Spektakel?

Eine Besucherin in der NS-Dokumentationsstelle Obersalzberg
Eine Besucherin in der NS-Dokumentationsstelle Obersalzberg © picture-alliance/ dpa - Peter Kneffel
Philipp Aumann im Gespräch mit Nana Brink · 14.07.2016
Gebäude aus der NS-Zeit sind Besuchermagnete, die jährlich Hunderttausende Touristen anziehen. Der Historiker Philipp Aumann sieht darin eine Chance für eine gezielte Geschichtsvermittlung.
Wird NS-Geschichte mit den vielen Besuchern zum Spektakel? Das sei nicht der Fall, sagt der Historiker Philipp Aumann. Er ist wissenschaftlicher Leiter und Ausstellungskurator des Historisch-Technischen Museums Peenemünde. Die Besucher würden bei der Besichtigung der Gebäude auch stets gezielte Informationen erhalten:
"Nachdem die menschlichen Zeitzeugen sterben, sind das die letzten direkten Zeugen dieser Geschichte und des Nationalsozialismus. Mit dieser Nachfrage wollen wir umgehen. Und wir wollen diese Anlagen und diese Gebäude nutzen, um die Geschichte zu vemitteln."

Das Museum in Peenemünde

Zu den Möglichkeiten der musealen Darstellung von Geschichte gehörten oft auch szenographische Mittel, meinte Aumann. Er beschrieb sein Museum in Peenemünde – die ehemalige Heeresversuchsanstalt - als "spektakulären Ort" mit bestimmten Widersprüchen:
"Wir wollen mit den Ruinen, die noch überall im Wald verstreut sind, arbeiten. Wir haben letztes Jahr im Kraftwerk der ehemaligen Versuchsanstalt – mit 35 Metern auch das höchste Gebäude der ganzen Umgebung – einen gläsernen Aufzug auf das Dach hochgebaut. So wollen Touristen eben solche Orte sehen. Und man hat die Möglichkeit: Die Anlage, über die wir in der Ausstellung medial sprechen, liegt jetzt buchstäblich sichtbar vor Euch."
Der Historiker Philipp Aumann gehört zu den Teilnehmern einer Diskussion zum Thema "NS-Geschichte als Spektakel. Tourismus und Gedenken, die heute Abend in der Gedenkstätte Topographie des Terrors in Berlin stattfindet. Er ist Mitautor des Beitrags "Touristen am High-Tech-Ort der Nazis. Marktorientierte Museumsarbeit in Peenemünde".


Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Ich weiß ja nicht, wie es ihnen geht, wenn sie alte Nazistätten besuchen. Ich weiß nur zum Beispiel, dass der Obersalzberg – Hitlers Privathaus wurde ja gesprengt, aber die Nebenhäuser gibt es noch, es ist auch eine Dokumentationsstätte – es ist eine ganz eigenartige Mischung aus Neugierde und Erschütterung bei mir ausgelöst hat. Auf jeden Fall sind der Obersalzberg oder auch das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg Orte, die jährlich von Hunderttausenden von Touristen besucht werden.
Ist die NS-Geschichte schon ein Touristenmagnet, ein Spektakel? Darüber diskutieren heute Abend in Berlin auf dem Gelände Topografie des Terrors – dort ist ja auch eine Gedenkstätte, das ehemalige Hauptquartier der Gestapo und der SS –, dort diskutieren eben über dieses Thema Museumsleute und Historiker, und auch Philipp Aumann. Er ist wissenschaftlicher Leiter und Ausstellungskurator des Historisch-Technischen Museums in Peenemünde, und er hat mit anderen zusammen ein Buch geschrieben, "Touristen am Hightech-Ort der Nazis". Schönen guten Morgen, Herr Aumann!
Philipp Aumann: Guten Morgen!
Brink: Droht denn die NS-Geschichte als Spektakel zu verkommen, so eine Art historisches Disneyland?
Aumann: Das würde ich nicht sagen. Es gibt die Nachfrage einfach. Es gibt als allerersten Befund: Es gibt mal diese Orte, diese großen Gebäude, diese großen Anlagen, muss man ja sagen, wenn man uns sieht, wenn man zum Beispiel auch Vogelsang sieht, auch das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg eben.
Es sind ganze Anlagen, und die sind gebaut, um zu beeindrucken, auch, um einzuschüchtern, und das funktioniert bis heute. Und es gibt es einfach, es kommen Leute, wollen das sehen. Und wir würden auch sagen, das sind, nachdem ja jetzt die menschlichen Zeitzeugen sterben, sind das die letzten direkten Zeugen dieser Geschichte und des Nationalsozialismus. Und mit dieser Nachfrage wollen wir umgehen, und wir wollen diese Anlagen und diese Gebäude nutzen, um die Geschichte zu vermitteln.

Originale NS-Objekte ausstellen oder besser nicht?

Brink: Können Sie mir das vielleicht an einem Beispiel erklären, wie kann man das würdevoll machen auf einem Gelände mit NS-Vergangenheit zu inszenieren – ich zögere schon so ein bisschen bei dem Wort, wie Sie merken.
Aumann: Inszenieren – ja, wenn man eine Ausstellung macht, wenn man die Mittel des Museums nimmt, dann inszeniert man eben. Und wir sind ja, es sind alles eben Medien, wie man Wissen vermittelt, und das will man natürlich schauen, dass es in der Form so ist, dass man Menschen interessieren kann dafür, dass die auch kommen und dann dabeibleiben. Das sind eben szenographische Mittel, und die setzt man ein.
Und wenn Sie zum Beispiel jetzt in München am Obersalzberg, wenn Sie da die Diskussion sehen – in München gibt es das Dokumentationszentrum Nationalsozialismus, die haben sich entschieden, keinerlei originale Objekte zu verwenden aus der Zeit, um nicht dieses Devotionaliending zu haben. Am Obersalzberg sagen sie: Doch, genau das wollen wir. Wir wollen eben so eine museale Ausstellung und wollen darüber, über dieses direkt Dingliche die Leute auch dreidimensional-haptisch irgendwie so einfangen. Damit geht es ja schon los.

Die ehemalige Heeresversuchsanstalt in Peenemünde

Brink: Kommen wir doch zu Ihrem Museum in Peenemünde. Das ist ja nicht so ein ganz spektakulärer Ort, obwohl er einfach wahnsinnig wichtig war. Es ist die Heeresversuchsanstalt. Dahinter verbirgt sich die Geschichte von Wernher von Braun, der ja versucht hat, für Hitler diese Wunderwaffe V2 zu konstruieren. Wie schaffen Sie es, dort die Menschen hinzubekommen und sie zu interessieren?
Aumann: Hinzubekommen – wir haben – es ist natürlich in der Form ein spektakulärer Ort. Wenn Sie zu uns kommen, Sie fahren erst mal sieben Kilometer durch den Wald, und dann tun sich diese riesigen Gebäude plötzlich praktisch mitten im Wald, mitten in der Landschaft auf. Da ist schon mal ein Bruch drin, da stimmt was nicht. Der Rest von Usedom, wo wir sind, ist im Wald, ist Strand, ist eben so typischer Badeurlaub-Tourismus, Natururlaub.
Und plötzlich ist da so ein nicht funktionierendes Gebäude drin. Damit geht es schon los, und das wollen wir eben, dieses "Da stimmt was nicht, da funktioniert was nicht", das zieht die Leute an, das interessiert die, und damit wollen wir arbeiten. Das heißt, wir wollen wirklich mit einem Gebäude arbeiten, wir wollen mit den Ruinen, die noch im Wald überall verstreut sind, arbeiten.

Ein gläserner Aufzug als Sightseeing-Angebot für Touristen

Brink: Entschuldigung, darf ich Sie da mal unterbrechen? Wie arbeiten Sie mit denen? Dass Sie sie anstrahlen, frage ich jetzt mal ganz platt?
Aumann: Nein, aber zum Beispiel: Wir haben letztes Jahr, das ist der Anlass für das Buch auch, das wir geschrieben haben, in unserem Gebäude - das ist das Kraftwerk dieser ehemaligen Versuchsanstalten, mit 35 Metern auch das höchste Gebäude der ganzen Umgebung -, dort haben wir einen gläsernen Aufzug aufs Dach hochgebaut und das Dach als Aussichtspunkt gemacht. So wollen Touristen eben solche Orte sehen. Also praktisch, man geht auf die zu, weil unsere Gäste sind nun mal Touristen aus Usedom. Also Sightseeing-Angebot.
Aber durch dieses Sightseeing-Angebot – erstens kommt überhaupt jemand, es kommen ja Menschen zu uns -, aber wir gehen davon aus, dass deswegen mehr kommen, dass das ein Zusatzanreiz ist. Und man hat die Möglichkeit, von oben zu sagen: Schaut mal, die Anlage, über die wir in der Ausstellung medial sprechen, liegt jetzt praktisch buchstäblich sichtbar vor euch. Und haben da sozusagen dann den touristischen Anspruch, die touristische Nachfrage. Aber gleichzeitig unseren Vermittlungsanspruch. Und das wollen wir immer auf einen Nenner bringen.
Brink: Vielen Dank. Philipp Aumann, der wissenschaftliche Leiter und Ausstellungskurator des Historisch-Technischen Museums in Peenemünde. Schönen Dank für das Gespräch!
Aumann: Gerne, danke für die Einladung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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