Tornadowarnung oder Brustkrebsvorsorge

Von Dirk Asendorpf · 20.04.2008
Der Bremer Mathematiker Heinz-Otto Peitgen begeistert seit den 90er Jahren mit ästhetischen Darstellungen sogenannter Mandelbrotmengen Mathematiklehrer und Medienvertreter. Er schafft es, damit auch Interesse für die von ihm mitentwickelten medizinischen Anwendungen der Chaosforschung für Chirurgie und Brustkrebsvorsorge zu wecken.
Ganz früher war es der Zorn Gottes, der sich in einem Gewitter entlädt. Später sahen aufgeklärte Naturwissenschaftler darin nichts anderes als das unvermeidliche Ergebnis eines genau definierten Zustandes der Atmosphäre. Könnte man von der Temperatur über die Windgeschwindigkeit bis zum Luftdruck all ihre Parameter nur exakt genug bestimmen, dann wäre man auch in der Lage zu berechnen, wo und wann der nächste Blitz zucken wird. Von Edward Lorenz wissen wir, warum das so nie funktionieren wird. Und wie so oft in der Wissenschaft hatte der Kollege Zufall dem Erkenntnisgewinn auf die Sprünge geholfen.

In zwölf mathematischen Gleichungen wollte Lorenz 1961 ein bestimmtes Wettergeschehen beschreiben. Als er die Rechnung ein zweites Mal durchführte und statt der ursprünglichen Anfangswerte leicht gerundete Zahlen verwendete, kam ein völlig anderes Ergebnis heraus. Lorenz ging der Sache auf den Grund und erkannte: Auch Systeme mit einfachen Regeln können eine Komplexität entwickeln, die selbst mit riesiger Rechnerkapazität nicht vorhersagbar ist. Die "Theorie komplexer Systeme" wurde zum neuen Fachgebiet von Mathematik und Physik.

Die Öffentlichkeit hätte davon wahrscheinlich ebenso wenig Kenntnis genommen, wie von Differentialgeometrie und algebraischer Topologie, wäre das neue Gebiet nicht so schön griffig als Chaosforschung bezeichnet worden. Und Chaos kennt schließlich jeder – egal ob von der Börse oder aus dem Kinderzimmer. Auch ein Stau auf der Autobahn, der praktisch aus dem Nichts entsteht, ist ein chaotisches System. Oder die Formenvielfalt erodierter Böden.

Die esoterisch anmutenden knallbunten Computergrafiken, mit denen Benoit Mandelbrot in den 80er Jahren komplexe mathematische Systeme visualisierte, schafften sogar den Sprung in die Popkultur. Als "Apfelmännchen" zogen seine sich selbst unendlich wiederholenden graphischen Gebilde durch die Museen moderner Kunst.

Als verspäteter Hippie dieser Bewegung begeistert der Bremer Mathematiker Heinz-Otto Peitgen seit Beginn der 90er Jahre mit ästhetischen Darstellungen sogenannter Mandelbrotmengen Mathematiklehrer und Medienvertreter – und schafft es, damit auch Interesse für die von ihm mitentwickelten medizinischen Anwendungen der Chaosforschung für Chirurgie und Brustkrebsvorsorge zu wecken.

Das Gespräch zum Thema mit Prof. Heinz-Otto Peitgen MP3-Audio können Sie mindestens bis zum 20.9.08 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.