Tony Bennett zum 90. Geburtstag

Einer der letzten Jazzsänger alter Schule

Jazzsänger Tony Bennett und Sängerin Lady Gaga beim Copenhagen Jazz Festival 2015
Jazzsänger Tony Bennett und Sängerin Lady Gaga beim Copenhagen Jazz Festival 2015 © picture alliance / dpa / Herve Coste
Von Marcel Anders  · 03.08.2016
Auf Millionen verkaufter Platten und viele Ehrungen darf der Jazzsänger Tony Bennett an seinem 90. Geburtstag zurückblicken. Unbeirrt setzte er auf Swing und Jazz. Bei jüngeren Künstlern wie Lady Gaga ist er immer noch gefragt. Wir haben ihn in seiner Heimatstadt New York getroffen.
"Bislang war mein Geburtstag immer an einem Tag des Jahres. Aber jetzt ist es plötzlich so, dass mir die Leute schon seit Januar gratulieren. Was unglaublich ist. Und ständig schenkt mir irgendwer einen Kuchen. Da kann ich nur sagen: 'Bitte bedient euch!' – weil mir das einfach zu viel ist."
Ehrendoktortitel, Auszeichnungen, geballtes Medieninteresse – für Tony Bennett ist der 90. Geburtstag richtiger Stress, den er jedoch mit Genugtuung erträgt. Denn der ältere Herr mit weißem Haar, dicker Brille und elegantem Anzug kennt auch andere Zeiten. In den 70ern und 80ern lagen seine Alben wie Blei in den Regalen, er hatte Drogenprobleme und musste Insolvenz anmelden. Doch mit Ende 60 erlebte er ein unerwartetes Comeback. Als letzter Sänger alter Schule, der unbeirrt auf Jazz und Swing setzt und Journalisten auch einfach mal nach Hause einlädt in sein Apartment am New Yorker Central Park.
"Ich schätze mich glücklich, dass ich den Park überblicken kann. Es ist eine wunderbare Anlage und wenn man aus dem Fenster schaut und das Grün sieht, will man da sofort eintauchen. Einer meiner besten Freunde, der vor zehn Jahren gestorben ist, hat mal gesagt: 'Meine Idee von einem Ausflug aufs Land ist ein Spaziergang im Central Park.' Weshalb er die Stadt nie verlassen hat. Und auch ich brauche kein Auto, keine Yacht, kein Haus. Ich habe ein nettes Apartment und führe ein nettes Leben."
Unter einem "netten Leben" versteht der rüstige Altmeister regelmäßige Museumsbesuche, gutes Essen, drei Mal die Woche Tennis und vor allem seine Malerei. Die betreibt er seit den 60ern unter seinem echten Namen Benedetto – und mit wachsender Popularität. Seine Landschaftsbilder und Stillleben mit Wasserfarben erzielen inzwischen Preise um die 80.000 Dollar. Für Bennett wie ein Ritterschlag:
"Ich habe ein ganzes Lagerhaus voller Gemälde. Denn ich male jeden Tag – und ich liebe es. Dieses Jahr hat das Smithsonian in Washington, DC, eines meiner Gemälde erworben. Es hängt im American Museum Of Paintings – neben John Singer Sargent, in der permanenten Ausstellung. Ich konnte es zuerst nicht glauben, dass ich jetzt zwischen den Meistern vertreten bin. Es ist wunderbar."
Dieselbe Anerkennung wie seine Malerei erfährt auch Bennets Musik, die sich über sieben Dekaden kaum verändert hat und die nicht altmodisch, sondern klassisch ist. Und das "American Songbook" der 1930er bis 60 Jahre zitiert. Mit Stücken von Gershwin, Porter, Mancini, Mercer, Ellington, Rogers & Hammerstein. Die Legenden der Tin Pan Alley, der Straße zwischen Fifth Avenue und Sixth Avenue, die über viele Jahrzehnte das Herz der amerikanischen Musikindustrie war. Der Glanz aus dieser Zeit strahlt bis heute. Nicht zuletzt dank Bennett, der ihr Erbe aktiv verwaltet:
"Es ist der Wahnsinn. Selbst wenn ich in Schweden, Belgien oder Holland auftrete: Bringe ich einen Gershwin-Song, kennen die Leute den Text und singen jedes Wort mit. Von daher sind es internationale Stücke. Und sie sind nicht alt und werden auch niemals sterben. Sie werden jedes Jahr größer und größer."
Lady Gaga bittet ihn ins Studio
Wobei Bennetts Stimme tatsächlich besser denn je klingt und ihn Superstars wie Lady Gaga nur zu gerne ins Studio oder auf die Bühne bitten. Zudem leitet er die "Frank Sinatra School Of Arts", die Talente aus finanzschwachen Familien fördert. Eines von vielen sozialen Projekten, die ihm den Spitznamen "Tony Benefit" bescheren – und weshalb sich die Politik nur zu gerne mit ihm schmückt. Doch Bennett posiert nicht mit jedem. Er ist überzeugter Demokrat, hat an Martin Luther Kings "Marsch auf Washington" teilgenommen und sagt klipp und klar, was er von Donald Trump hält:
"Es ist faszinierend, wie leicht man die Massen hypnotisieren kann, indem man ihnen einbläut, sie müssten Angst vor diesem oder jenem haben. Als ich unter Roosevelt aufwuchs, meinte er: 'Das Einzige, was man fürchten sollte, ist die Angst an sich.' Und das ist korrekt. Außerdem bin ich Pazifist. Ich bin gegen Krieg. Als ich 17 war, habe ich einen toten deutschen Soldaten vor mir liegen sehen. Meinen Sie, das würde ich je vergessen? Niemals!"
Sohn sizilianischer Einwanderer
So lange seine Konzerte ausverkauft und seine Alben Bestseller sind, denkt der Sohn sizilianischer Einwanderer nicht ans Aufhören. Den Punkt, sagt er lächelnd, habe er vor Jahren überschritten – weil er es liebe, Menschen glücklich zu machen. Und weil er an die Botschaft seines Lieblingssongs glaubt: "The Best Is Yet To Come". Was er – ganz Gentleman - mit einer Empfehlung und einer persönlichen Einladung verbindet:
"Sie müssen nach Astoria, in mein altes Viertel, das 20 Minuten von Manhattan liegt. Da ist das Restaurant 'Piccolo Venezia', Klein-Venedig. Wenn Sie dort sagen, dass Sie ein Freund von mir sind, wird man Sie wunderbar behandeln. Und wenn Sie das nächste Mal in der Stadt sind, rufen Sie mich an! Sollte ich nicht unterwegs sein, gehen wir zusammen aus."
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