Tomuschat: Richter in Internationalen Strafprozessen lassen sich nicht beeinflussen

Christian Tomuschat im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 09.02.2009
Nach Ansicht des Völkerrechtlers Christian Tomuschat stellt der Film "Sturm" von Hans-Christian Schmid, der im Wettbewerb der Berlinale läuft, die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs sehr gut dar. Der Aspekt jedoch, dass die Richter unter politischem Druck stünden, gehöre ins Reich der Märchen, sagte das ehemalige Mitglied der UN-Menschenrechtskommission.
Liane von Billerbeck: Sie haben ein hohes Ansehen und doch sehr wenig Macht: Internationale Strafgerichte, die versuchen, Verstöße gegen das Völkerrecht juristisch zu ahnden. Während der Berlinale laufen zwei Streifen - ein Spiel- und ein Dokumentarfilm - die deren Arbeit und deren Dilemma thematisieren. (…)

Der Völkerrechtler Professor Christian Tomuschat ist jetzt bei uns zu Gast. Er hat für die UN-Menschenrechtskommission gearbeitet, war an der Formulierung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag beteiligt und hat als Vorsitzender die Wahrheitskommission in Guatemala geleitet, die über die Menschenrechtsverletzungen im dortigen Bürgerkrieg aufgeklärt hat. Herzlich Willkommen, Herr Professor Tomuschat!

Christian Tomuschat: Guten Tag!

von Billerbeck: Sind diese Filme realistische Beispiele für den unrealistischen Traum von der internationalen Gerechtigkeit?

Tomuschat: Ich denke schon, dass es dem Film gelungen ist, die ganzen Schwierigkeiten der Strafverfolgung bei solchen Massenverbrechen darzutun. Denn es handelt sich ja nicht um einfache Strafverfahren, wo ein Einzelner eine Mordtat begeht, sondern es geht immer um Massenverbrechen, wo Tausende von Menschen verwickelt sind und wo es dann außerordentlich schwierig ist, die einzelnen Verantwortungsteile herauszufinden. Und das ist auch dadurch noch erschwert, dass ja meist die Strafverfolgung viele Jahre später stattfindet, wenn die Erinnerung schon verblasst ist, die Zeugen sind nicht mehr an Ort und Stelle und Traumatisierungen haben sich festgesetzt. Also es geht weit hinaus über das, was in einem normalen Strafverfahren einem begegnet.

von Billerbeck: Was hat Sie am meisten beeindruckt, Sie kennen sich ja bei dem Thema aus durch Ihre Arbeit in der internationalen Strafgerichtsbarkeit?

Tomuschat: Am meisten beeindruckt hat mich eigentlich die Nüchternheit in dem Film "Der Sturm", mit der die Arbeit des Gerichtes dargestellt worden ist. Es ist eine Anerkennung auf der einen Seite der Arbeit dieses Gerichts, auf der anderen Seite gibt es doch aber auch sehr kritische Blicke auf dieses Gericht, das nun auch unter bestimmten Zwängen steht.

Die Zwänge bestehen zunächst einmal darin, dass nach allen Regeln des Strafprozessrechts die Schuldfrage geklärt werden muss. Man kann also nicht in einem Aufwasch jemanden für schuldig erklären. Und auf der anderen Seite ist es dann eben die Länge auch wiederum dieser Verfahren und die Verwicklung so vieler Menschen in das Prozessgeschehen.

von Billerbeck: Nun haben wir vor gar nicht allzu langer Zeit "60 Jahre Erklärung der Menschenrechte" gefeiert. Wie universell sind denn nun Menschenrechte, wenn sie juristisch so schwer durchzusetzen sind?

Tomuschat: Man kann Menschenrechte auf verschiedene Art und Weise durchsetzen, und natürlich am besten geschieht es dadurch, dass man präventiv auf Verfahren setzt, auf Mechanismen, dass in einem Lande nun Recht und Ordnung und Gesetz herrschen, nicht wahr. Dass es Polizei gibt, eine Staatsanwaltschaft, Gerichte - auf der einen Seite, um die bürgerlichen Freiheiten zu schützen, auf der anderen Seite brauchen wir einen Wohlfahrtsstaat, um die sozialen Rechte zu sichern. Alles dieses muss zusammenkommen.

Also allein mit Meinungsfreiheit ist noch nicht ein Klima der Freiheitlichkeit geschaffen, sondern es bedarf einer sozialen Ergänzung durch, ja, durch eine Wohlfahrtspolitik, die heute für jeden Staat eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist.

Und gerade, wenn es eine solche Wohlfahrtspolitik nicht gibt, so wie das in Ruanda der Fall gewesen ist, dann kann es natürlich zu schweren Krisen in einer Gesellschaft kommen, die sich dann entladen in, ja, in Gewaltakten - natürlich selten so schrecklich, wie das in Ruanda der Fall gewesen ist.

von Billerbeck: Wir haben ja mehrere Verfahren, also alle Verfahren, die den Bosnien-Krieg betreffen, die laufen ja 2010 aus. Da hat der Haager Strafgerichtshof kein Mandat mehr, diese Verfahren zu ahnden. Was bedeutet das, werden bis dahin die Täter gefasst sein, und was bedeutet es, wenn man ein teilweises Scheitern erklären muss?

Tomuschat: Ja, ich glaube nicht, dass dieser Termin eisern feststeht. Wenn zum Beispiel General Mladic, der frühere General Mladic, gefasst wird, dann wird ganz sicher der Sicherheitsrat entscheiden, dass das Gericht weiter existieren kann, dass das Verfahren auch durchgeführt wird. Allein schon das Verfahren gegen Karadzic wird wahrscheinlich doch das ganze Jahr 2009 dauern, vielleicht sogar bis in das Jahr 2010 hinein und darüber hinaus, weil es ja vor dem Den Haager Gericht die Möglichkeit einer Berufung gibt. Also man muss das auch einkalkulieren.

Es geht nicht nur um die Tatsacheninstanz, sondern es geht dann anschließend auch um die Rechtskontrolle. Und ich glaube, dass diese Fristen einfach verlängert werden müssen, weil einfach noch Verfahren abzuwickeln sind. Aber für den Regelfall gilt sicher, dass die internationale Gemeinschaft bestrebt ist, die Arbeit dieses Gerichtes zu Ende zu bringen.

von Billerbeck: Die Schwierigkeit für solche Verfahren liegt ja nicht bloß in der schieren Dauer der Prozesse und auch der Zeit, die inzwischen seit diesen Massenmorden vergangen ist, sondern auch darin - und das kann man in diesen Filmen, die jetzt auf der Berlinale zu sehen sind, auch ganz gut sehen - in den Versuchen der Politik, Einfluss auf solche Verfahren zu nehmen. Wie kann sich denn die Justiz solcher Einflussnahme entziehen?

Tomuschat: Ich glaube nicht, dass die Einflussnahme der Politik sehr groß ist. Es gibt den Druck durch die zeitliche Befristung, aber ich denke nicht, dass man im Übrigen sehr viel sagen könnte, behaupten könnte über eine Einflussnahme im einen oder anderen Sinne, dass nun bestimmte Leute freigesprochen werden sollten und verurteilt werden sollten. Ich glaube, das gehört eher dem Reiche der Mären an, der Geschichten, die man erzählt. Aber die Richter werden sich nicht beeinflussen lassen.

Natürlich gibt es so gewisse Grundstimmungen, denen sich niemand entziehen kann, aber konkreten Druck in einem bestimmten Verfahren, das würde keiner dieser Richter mit sich machen lassen, denn sie sind ja auch alle von der Internationalen Gemeinschaft gewählt worden, von Sicherheitsrat und Generalversammlung. Und das sind Leute, die standfest sind und die sich nicht so leicht erpressen oder beeinflussen lassen.

von Billerbeck: Nun wissen wir ja, dass einige große Staaten, darunter die USA, Russland, Israel, China, die Zusammenarbeit mit Den Haag verweigern. Welche Konsequenzen hat das?

Tomuschat: Ja, da muss man unterscheiden, nicht wahr. Die Zusammenarbeit mit dem Jugoslawien-Gerichtshof verweigert niemand. Es ist der Ständige Internationale Strafgerichtshof, den man neu eingerichtet hat, der nun nicht die Unterstützung der Großmächte genießt. Weder die USA noch Russland noch China haben bisher Anstalten gemacht, dem Römischen Statut dieses Gerichtshofs beizutreten. Das schwächt natürlich ganz selbstverständlich die Autorität dieses Gerichtes, und das ist sehr bedauerlich. Vielleicht wird die Regierung Obama sich entscheiden, dem Römischen Statut beizutreten, aber sie wird es natürlich nicht tun, wenn Russland und China beiseite bleiben.

von Billerbeck: Es sind ja große Hoffnungen an solche internationalen Strafprozesse auch an den Internationalen Strafgerichtshof in den Den Haag geknüpft. Was können denn solche Gerichte leisten und was können sie nicht leisten?

Tomuschat: Ja, das ist nicht so ganz einfach zu beurteilen. Ein solches Gerichtsverfahren kann natürlich nicht die ganze Vergangenheit eines Landes aufarbeiten, das sind immer nur Einzelperspektiven auf das Geschehen. Und man muss auch sagen, dass vielfach in den Ländern das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung sehr schnell abebbt, und die Leute sind eher daran interessiert, dass nun Frieden herrscht, dass man den Blick auf die Zukunft richten kann.

Also auf der einen Seite steht wirklich das Bedürfnis nach Gerechtigkeit, schwere Mordtaten sollten nicht ungesühnt bleiben. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass vielfach eben die Meinung herrscht, man solle nun an Vergangenes nicht rühren, man solle eine Decke darüber ausbreiten und alle seine Kräfte auf die Zukunft konzentrieren.

Ich glaube nicht, dass das die richtige Lösung ist. Aber man kann nicht ein ganzes Volk vor Gericht stellen, man sollte sich immer auf die Haupttäter konzentrieren, auf jenen Kern des Unrechts, wie das im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess auch der Fall gewesen ist. Das ist notwendig, um eine Bereinigung der Vergangenheit zu erreichen. Aber eine breitere Ausdehnung solcher Verfahren im Sinne, wie das 1945/46 mit der Entnazifizierung geschehen ist, das wird eigentlich nirgendwo für richtig gehalten.

von Billerbeck: Trotzdem hat das ja Konsequenzen gerade auf ein Land wie Ruanda, wo über 800.000 Menschen ermordet worden sind. Da ist es ja schwer, einzelne Täter zu greifen, wenn die ganze Gesellschaft durchsetzt ist von so einem Völkermord. Wie geht man denn damit um?

Tomuschat: Ganz richtig. Deswegen hat man also vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda lediglich die Rädelsführer, die Drahtzieher, die Kommandeure angeklagt, während im Übrigen in Ruanda dieses Verfahren der Gacaca-Gerichte eingerichtet worden ist, also an Ort und Stelle eine Bürgergerichtsbarkeit.

von Billerbeck: Der Traum von der internationalen Gerechtigkeit - Thema zweier Filme während der Berlinale. Gesehen hat sie der Völkerrechter Professor Christian Tomuschat, der unter anderem für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gearbeitet hat. Herr Tomuschat, herzlichen Dank für Ihr Kommen!