Toleranz

Der Preis siegt über die Moral

800.000 Kinder und Jugendliche arbeiten auf den Plantagen.
In vielen afrikanische Ländern müssen Kinder und Jugendliche arbeiten, anstatt in die Schule gehen zu können. © Alexander Göbel
Von Maximilian Klein · 02.11.2015
Bananen, Kaffee, Schokolade, Wurst, alles unschlagbar billig. Wie das geht? Ganz einfach: Kinderarbeit, Massentierhaltung, Lohndumping. So offen sind die Verkäufer eines Marktstandes. Gekauft wird bei ihnen trotzdem.
Zwei junge Männer stehen auf einem Wochenmarkt an einem Stand. Hornbrille, Jacketts, Typ Start-up-Gründer. Hinter ihnen prangt in leuchtend roter Schrift das Wort "Agraprofit". Sie verkaufen Bananen, Kaffee, Schokolade, Wurst. Bio liegt in der Luft.
"Ich weiß nicht, ob Sie schon mal was von Agraprofit gehört haben. Wir sind noch ein relativ junges Unternehmen, aber sehr aufstrebend."
Handarbeit, Fair-Trade, schöne Logos, schickes Verpackungsdesign. Und das Beste: Die Tafel Schokolade kostet nur 39 Cent.
"Wie? Die ganze Tafel? – Die ganze Tafel!"
Einige blicken misstrauisch, andere greifen einfach zu – bei dem günstigen Preis. Der Stand erregt Aufmerksamkeit.
"Wir beziehen die Schokolade direkt aus der Elfenbeinküste. Ivory Choc heißt die deshalb auch. Dadurch schaffen wir als multinationaler Konzern auch Arbeitsplätze vor Ort. Das ist dadurch möglich, dass die dort sehr bescheiden sind in ihren Preisvorstellungen. Dadurch können wir faire Preise garantieren."
Imagewechsel für Kinderarbeit?
Die Banen kosten wenige Cent genauso wie die Eier und die Salami. Transparent erklären die beiden Verkäufer, wie sie es schaffen, solch niedrige Preise anbieten zu können.
"Wir machen ja auch mit Kinderarbeit die Schokolade. Naja, es wird eben oft angekreidet das Kinderarbeit eben so ein Problem sei, aber da wollen wir einen Imagewechsel."
Das Video über diesen besonderen Marktstand verbreitet sich seit einiger Zeit über die sozialen Netzwerke und ist eine Auftragsarbeit und Guerilla-Aktion für einen Ökolandbau-Verband. Der Film soll provozieren, irritieren und stören.
Hassaan Hakim ist Geschäftsführer der Agentur "yool" und verantwortlich für diesen Film. Herr Hakim, sind Sie ein Störenfried?
"Würde ich schon sagen. Also, ich glaube, dass Kommunikation und auch gute Kommunikation immer auch eine Form von Störung auch bewirkt. Oder auch Irritation bewirkt. Speziell diese Aktion hat tatsächlich gestört. Sie hat irritiert, sie hat auch provoziert."
Das Projekt "Agraprofit" versucht herauszufinden, wie tolerant ein Konsument dem Hersteller gegenüber ist. Der Film versucht Schmerzgrenzen auszuloten.
"Also, Toleranz hat ja immer zwei Seiten. Einerseits kann man sagen, dass Toleranz etwas mit Gleichberechtigung zu tun hat. Also mit Akzeptanz und Duldung und Integration von anderen Ansichten, Glaubenssätzen, Vorstellungen, Lebensweisen."
Aber wie tolerant soll man Menschen gegenüber sein, die bewusst weggucken bei Massentierhaltung, Kinderarbeit, bei Kaffeebauern, die von ihren Löhnen nicht leben können. Der Kunde wusste genau, was er in seinen Einkaufskorb legt. Und trotzdem wurde der Fake-Stand fast leer gekauft. Die Verpackung und der Preis siegen über Ethik und Moral.
Der Protest blieb aus
"Ich muss dazu sagen, dass wir mit viel, viel mehr Gegenwehr gerechnet haben. Wir sind davon ausgegangen, dass die Kunden uns die Produkte um die Ohren hauen und wirklich heftig mit uns auch darüber diskutieren werden. Wir waren ein bisschen erstaunt darüber, dass dies nicht in der Form geschehen ist, wie wir das erwartet haben."
Der Protest blieb aus. Dabei war der Aufwand – die ethisch bedenklichen Taten zu verschleiern – sehr gering.
"Wir haben ja ganz bewusst mit diesen Triggerbegriffen gearbeitet. Fair, Transparenz, das sind Begriffe die offenbar wahrgenommen wurden und der Rest wurde ausgeblendet."
In kaum einem anderen westlichen Land sind die Lebensmittelpreise so niedrig wie in Deutschland. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen abhängig von eben genau diesen Preisen. Der Gang in den Bio-Supermarkt ist ein teurer Lifestyle. Der Werber Hakim sieht das anders.
"Ich glaube, das trifft nur bedingt zu. Also es gibt sicherlich Menschen, die sich Bio-Produkte und Fair-Trade-Produkte nicht leisten können. Das ist sicherlich der Fall. Aber das Interessante ist ja, dass die Billigmentalität, in der wir angekommen sind, das Jagen nach dem günstigsten Preis sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht."
Wie kann ein Marktgeschehen sich verändern, so dass es nicht am Ende mehr Verlierer als Gewinner gibt? Hassan Hakim hat eine reale Vorstellung davon, wie dieser neue Markt aussehen kann: Bauern sollten von ihren Produkten gut leben können, Händler die Preisschraube nicht ins Unermessliche nach unten drehen, Konsumenten für qualitativ hochwertige Produkte angemessene Preise bezahlen. Der Werbefachmann nennt ihn ganz Marketing-tauglich: Toleranzmarkt.
"Die Frage ist, was das für ein Toleranzmarkt ist. Ich glaube, dass es diesen Toleranzmarkt nicht geben kann ohne die großen Player. Ich sage immer, ein kleiner Schritt eines großen Unternehmens bewirkt viel, viel mehr als viele große und konsequente Schritte eines kleinen Unternehmens."

Sehen Sie hier das Video: Agraprofit auf Youtube.com

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