Tierhaltung

Schweineleben in Deutschland

Zu sehen sind Schweine in einem Mastbetrieb.
Schweine im Mastbetrieb © picture alliance / dpa / Foto: Carsten Rehder
Von Christoph Richter, Henry Bernhard, Axel Flemming, Alexander Budde · 13.03.2014
Schweinefleisch zu Discounterpreisen ist nur auf Kosten der Schweine produzierbar. Die Mehrheit der Schweine in Deutschland lebt mitunter gedrängt nebeneinander. In diesen Großställen sind Kontrollen oft unzureichend - und Insider packen nur selten aus.
Ich trage keinen Namen. Ich bin eine Nummer. Die Nummer steht auf meiner Ohrenmarke. Wer mit der Nummer im Computer forscht, erfährt alles Nötige zu meinem kurzen Lebensweg. Bei meiner Geburt hier im Abferkelstall wog ich 1.500 Gramm. Wir Ferkel sind rosig zart. Unsere Muttersau ist stattlich borstig.
Mehr als 200 Kilo Lebendgewicht bringt sie auf die Waage. Den Sauenhalter Herman Müller erfreut die Körpermasse - sie ist aber zugleich ein gewichtiges Problem. Müller muss dafür sorgen, dass die Sau sich nicht zu viel bewegt, allenfalls zum Säugen auf die Seite legt. Stählerne Bügel fixieren das Tier im Kastenstand.
Herman Müller: "Die sind relativ unbeholfen, diese kleinen Würmchen. Und wenn eine Sau sich da drehen und wenden würde, wie sie möchte, dann würde ich zig Ferkel erdrückt raustragen. Mein ökonomisches Ziel als Sauenhalter ist es natürlich auch möglichst viele Ferkel zu erzeugen, die ich dann auch verkaufen kann."
Zwei mal sieben Zitzen versorgen meine Geschwister und mich. Die Stärksten von uns suchen sich die besten Plätze aus.
Herman Müller bezieht seine Jungsauen aus Dänemark. Die 400 Zuchtsauen im Bestand werden künstlich besamt. Sie bringen es im Schnitt auf zwei Würfe mit jeweils gut ein Dutzend Ferkeln im Jahr. Fruchtbar ist das Borstenvieh. Neun bis zehn Würfe in einem Schweineleben sind keine Seltenheit.
"Gewisse Kompromisse muss man machen"
Herman Müller: "Wir produzieren Lebensmittel. Hochwertige Lebensmittel, die absolut rückstandsfrei sind. Da muss eine bestimmte Anzahl von Tieren hinter stehen. Wer sagt denn, dass Tiere in größeren Einheiten kranker sind als in größeren? Bakterien und Viren haben keine Weltanschauung. Die befallen kleinere Bestände genauso wie große. Man ist natürlich in größeren Betrieben aus Eigeninteresse vielleicht eher dazu geneigt, mehr auf die Hygiene zu achten, weil einfach auch größere Werte dahinter stehen. Wie kann ich meinen Tieren maximalen Komfort ermöglichen? Gewisse Kompromisse muss man machen."
Vier Wochen nährt uns die Sauenmilch. Gut 12 Liter davon saufen wir pro Tag. Dann werden wir Ferkel von unserem Muttertier getrennt. Wir werden sie nie wiedersehen. Dafür haben meine Geschwister und ich nun unseren eigenen Stall. Man hält uns in abgetrennten Buchten, nach Geschlecht und Größe sortiert. Ich wiege jetzt sieben Kilo. Und mein Appetit ist enorm. Wann immer ich will, kann ich mich sattfressen. Ich muss dazu nur mit der Schnauze die Glocke des Futterautomaten berühren.
Bodenheizung und eine vom Klimacomputer gesteuerte Raumtemperatur für das speziell für die Gruppenhaltung sozial verträglich gezüchtete Borstenvieh. Impfungen gegen Erkrankungen der Atemwege. Lückenlos dokumentierte Vergabe von Antibiotika bei schwer heilenden Verletzungen der Klauen. Optimierte Automatenfütterung hochverdaulicher Proteine. Die Trennung von den Muttertieren dient vor allem der Hygiene, dem Schutz vor Keimen. Die könnten sich sonst über ganze Bestände ausbreiten. Doch auch im Aufzuchtstall gehe es den Ferkeln heute besser als zu früheren Zeiten, betont Müller.
Herman Müller: "Ich muss den Ferkeln den Weg bahnen, sich zukünftig mit pflanzlichem Eiweiß auseinander zu setzen. Was unter allen Umständen verhindert werden muss, dass das Tier Durchfallerkrankungen bekommt beziehungsweise im Wachstum zurück bleibt. Das ist genau das Verhalten, dass ich sehen muss bei den Schweinen: Diese Neugierde! Das zeigt: die Tiere sind fit. Die liegen nicht irgendwo mit Beschwerden in der Ecke, sondern sind richtig gut drauf, wie sich das gehört!"
Wenn wir uns nicht in engen Kurven nachjagen oder zum Schlafen in die Ecken legen, stehen wir dicht gedrängt auf Betonboden. Ich brauche einen festen Untergrund, an dem sich meine Klauen reiben können. Das Horn würde sonst übermäßig in die Länge wachsen. Wir Schweine haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Wir kämpfen auch leidenschaftlich um die Rangordnung.
Wenn sie nur könnten, würden manche Ferkel einander aus purer Langeweile die Ringelschwänze blutig beißen. Um das zu verhindern, kürzt Schweinhalter Müller die Schwänze seiner Ferkel. Auch bei vielen seiner Kollegen gehört diese Prozedur zur Routine. Der bereits von der Vorgängerregierung auf den Weg gebrachte neue Tierschutzplan des Landes will erreichen, dass die Bauern künftig ganz darauf verzichten. Doch Müller ist skeptisch.
Herman Müller: "Das passiert vielleicht unter tausend Schweinen bei uns im Betrieb ein zwei mal, dass die sich die Schwänzchen anknabbern. Leider ist es, so dass wenn wir die Schwänze nicht kupieren würden, würde das deutlich häufiger auftreten. Tritt das auf, dann ist im Grunde das Kind in den Brunnen gefallen. Weil die Tiere gewöhnen sich das an. Die Wunden verheilen nicht. Und letztendlich ergibt das ein trostloses Bild. Ich weiß nicht, wie man´s verhindern kann."
Tageslicht und Auslauf werden zeitlebens verwehrt
Seit sieben Wochen leben wir nun im Stall. Die meisten von uns bringen bereits 30 Kilo und mehr auf die Waage. Ich fühle mich trotzdem fit, könnte es im Dauerlauf mit jedem Menschen aufnehmen. Der Bauer sagt über uns, wir hätten unser Futter aus Soja und Getreide optimal verwertet, bestünden also vor allem aus mageren Fleisch. Wir sind rund, unsere Schinken sind prall, unsere Rücken muskulös.
Landwirt Müller wird die meisten seiner Ferkel bald aus den Augen verlieren. Er hat sie an den Nachbarhof, einen spezialisierten Mastbetrieb, weiter verkauft. Einen Teil seiner Tiere mästet Müller selbst. Mit einem Lebendgewicht von rund 120 Kilo werden sie ihre letzte Reise zum Schlachthof antreten. Zwar sind seinen Schweinen Tageslicht und Auslauf Zeitlebens verwehrt geblieben. Doch das Tierwohl, sagt Müller, liege ihm sehr am Herzen. Es sei auch ein wichtiger Faktor im Kalkül.
Herman Müller: "Wir wollen eine hohe Leistung vom Tier. Die kann ich nur dann bekommen, wenn die Tiere sich wohlfühlen. Wenn ich Tiere unter unsagbaren Bedingungen dahinvegetieren lasse und quäle, dann werde ich da nie Leistung von erzielen. Und dann bin ich auch ganz schnell verschwunden als Unternehmer."
Bleibt die Frage ob nicht trotzdem irgendwann ein Punkt erreicht ist an dem sich Tierwohl und Wirtschaftlichkeit grundsätzlich widersprechen? Der Trend in Deutschland geht derzeit zu immer weniger aber dafür immer größeren Schweinemastbetrieben. Ein Beispiel dafür sind holländische Unternehmen, die in Sachsen Anhalt die LPG-Standorte der früheren DDR übernommen haben und immer wieder in die Kritik geraten. Tierschützer vor Ort haben unserem Korrespondenten Christoph Richter erschreckende Bilder aus einer Anlage in Sandbeiendorf präsentiert.
Angestellte eines Schlachtbetriebs arbeiten an aufgeschlitzten Schweinen in Rheda-Wiedenbrück
Angestellte eines Schlachtbetriebs arbeiten an aufgeschlitzten Schweinen in Rheda-Wiedenbrück© picture alliance / dpa / Bernd Thissen
Der größte Saustall Deutschlands
In Sandbeiendorf - 40 Kilometer nördlich von Magdeburg - werden in einer alten noch aus DDR-Zeiten stammenden Anlage, laut Bundesanzeiger 62.000 Schweine gehalten. Es ist eine der größten Intensivtierhaltungs-Betriebe bundesweit. Und einer, der häufig in der Kritik steht. So würden die Schweine hier zum Beispiel in viel zu kleinen Metall-Buchten gehalten, in denen sie nicht mal ihre Gliedmaßen ausstrecken könnten, monieren Tierschützer. Jan Groen, der den Betrieb stellvertretend für die aus Utrecht stammende Familie van Gennip vor Ort leitet, bestreitet solche Vorwürfe.
Jan Groen: "Ich denke, dass die Vorwürfe nicht gerecht sind und dass wir nach den Vorschriften handeln. Und wenn wir nicht nach den gesetzmäßigen Vorschriften handeln, ist das mit dem Veterinäramt vereinbart. Aber an den Vorwürfen in den Medien, kann ich sagen, dass im Großen und Ganzen nichts dran ist."
Reingelassen - um sich ein eigenes Bild zu machen - wird man in die Stallanlagen allerdings nicht. Äußerlich gesehen - schmutzig-weiße langgezogene Gebäude, alte LPG-Anlagen. Das Betriebsgelände selbst wird mit Kameras hightech-mäßig überwacht.
Ein idyllisches Heidi-Bauernhof-Leben hat hier kein Schwein, berichtet ein Insider der Tierschutzorganisation Animal Right Watch. Und zeigt illegal gefilmten Aufnahmen, auf denen man Schweine sieht, die auf nacktem Betonboden in verdreckten Ställen vor sich hin vegetieren, deren Futtertröge voller Schmutzwasser sind. Viele der überzüchteten Ferkel können nicht mal stehen, die Beine rutschen immer wieder zu Seite. Lebende Ferkel die nicht überlebensfähig bzw. überzählig sind, werden brutal totgeschlagen.
Jan Groen: "Die Aufnahmen zeigen sehr deutlich, dass die Tiere hier nur als Maschinen in diesem System benutzt werden. Als Ferkelproduktionsmaschinen, dann als Fleischfabrikanten. Wenn man sieht, dass in einer Halle Hunderte von Sauen fixiert sind und sich da wochenlang nicht bewegen können, dann merkt man, dass sie in unserem Wirtschaftssystem, nicht als fühlende Individuen gelten, wie wir es zuhause mit unserem Hund machen, sondern nur als Produktionsfaktoren und Ware."
Die Betreiber der Tierzuchtanlagen in Sandbeiendorf sind öffentlichkeitsscheu. Auf telefonische Nachfragen reagieren sie nicht, erst wenn man vor der Tür steht, antworten sie. Aber nur unwillig.
Jan Groen: "In Sachsen-Anhalt gab es eben die Möglichkeit, im großen Stil Tierhaltung zu betreiben."
Entsorgung der Gülle zu teuer
Im Gegensatz zu den Niederlanden fügt Jan Groen hinzu. Dort sei der Betrieb von Anlagen in dieser Größe schlicht unbezahlbar, die Entsorgung der Gülle zu teuer. Denn wer in Holland eine Intensivtier-Anlage betreiben will, muss - wie bei Emissionszertifikaten - teure Gülle-Rechte erwerben. Es war gar so, erzählt der Betreiber unter vorgehaltener Hand, dass in den 1990er Jahren in den Niederlanden Entschädigungen gezahlt wurden, nur um Anlagen dieser Art aufzugeben, damit die heimischen - total übersäuerten Böden - geschont würden. Geld mit denen diese Unternehmer dann die aus DDR-Zeiten stammenden Anlagen relativ unbürokratisch übernehmen konnten.
Ein weiterer Grund, warum sich die holländische Schweinehalter gerade in Sachsen-Anhalt so willkommen fühlen: hier würden sie von den Agrarpolitikern mit offenen Armen empfangen werden, könnten freizügig investieren. In der sogenannten Masttierproduktion - ist aus Kreisen des Mitteldeutschen Schweinezuchtverbandes zu hören - sind sie marktbeherrschend. Derzeit schätzt man den wöchentlichen Umsatz holländischer Betreiber allein in Sachsen-Anhalt auf etwa zwei Millionen Euro.
Die Gülle verklappen die kapitalstarken Unternehmer wie Berend van der Velde, Jan Groen oder Adriaan Straathof - er gilt als der Schweinebaron Europas - auf den drum herumliegenden Feldern bzw. verarbeitet sie in Biogasanlagen. So hat sich - nach Angaben des sachsen-anhaltischen Landeswirtschaftsministeriums - das Gülleaufkommen allein im Zeitraum zwischen 2010 und 2012 verdoppelt.
Und das riecht man. Auf Sandbeiendorf etwa lastet ein schwer beißender Fäkaliengestank.
Anwohnerin: "Es ist manchmal so, das wir sagen, die lüften heute aber wieder schön. Aber wir leben damit. Ich sag mal, wir kennen es nicht anders."
Sagt eine der Anwohnerinnen, die ungenannt bleiben will. Für das 230 Seelen Dorf sind die holländischen Tierwirte aber ein Glücksfall, betonen die Menschen unisono. Denn erst dadurch konnte man ein niegelnagelneues Dorfgemeinschaftshaus bauen, die Straßen und Bürgersteine sanieren, wegen des hohen Gewerbesteueraufkommens.
Doch auch kritische Stimmen mehren sich, berichtet die Anfang 60jährige Kristina Grahn aus Mahlwinkel, einem Nachbarort. Sie ist ein vehementer Gegner großen Tier-Fabriken, wie sie es nennt. An ihr Hoftor hat sie ein rotes Kreuz und ein großes Schild genagelt. Mit der Aufschrift: Schweinezucht-Nein Danke.
Kristina Grahn: "Also die Leute hören schon mal wenigstens zu. Und ich glaube, dass ein leichtes Umdenken stattfindet. Das Gefühl habe ich schon. Und dass die lieber, weniger, aber dafür gut essen."
Zu wenig Kontrollen
Das Bundes-Immissionsschutz-Gesetz und neue Bundesbaugesetzbuch sehen in Anlagen mit beispielsweise mehr als 1500 Schweinen bzw. 560 Sauen ein hohes Risiko der Beeinträchtigung von Umwelt und Anwohnern. Einer der Gründe, warum die grüne Landtagsabgeordnete Dorothea Frederking ein Ende des Systems der Intensivtierhaltung fordert. Tierschutz und gute Haltungsbedingungen müssten oberste Priorität haben. Die Vorwürfe der Tierschützer zu den Umständen in der Anlage in Sandbeiendorf kämen nicht überraschend sagt die Agrar-Expertin. Und ergänzt, dass Sachsen-Anhalt für die Massentierhalter ein geradezu paradiesisches Billiglohnland sei. Die Gehälter lägen deutlich unter dem Mindestlohn.
Auf die Frage warum die Zustände in den Schweinemastbetrieben so sind wie sie sind, werden häufig wirtschaftliche Gründe angeführt. Aber wie sieht es eigentlich aus mit den Kontrollen? Überprüft das Veterinäramt regelmäßig genug wie es den Tieren in den Betrieben geht? Unser thüringische Korrespondent Henry Bernhard wollte dem auf die Spur gehen und stieß auf viele verschlossene Türen. Einzig der Leiter des Veterinäramts im nordthüringischen Eichsfeld war bereit ihn bei seinen Stippvisiten mitzunehmen
Amtsveterinär Uwe Semmelroth und seine Kollegin Inga Menz beginnen mit dem Papierkram. Wie viele Schweine? Ein- und Ausgänge, Todesfälle. Es gibt hier 540 Mastschweine, knapp 200 Zuchtsauen und die entsprechenden Ferkel. Dann Schädlingsbekämpfung: Wie werden Ratten und Mäuse gefangen?
Uwe Semmelroth: "Schädlingsbekämpfungshandbuch … Logbuch, jawohl! Wer führt das durch - sie selbst?"
Rüdiger Böhme: "Das mache ich selber."
Rüdiger Böhme ist der Bereichsleiter Schweineproduktion.
Uwe Semmelroth: "Produktname, Datum, Stallnummer, da, wo’s steht. Wenn wir durch den Stall gehen, gucken wir uns einige an. Köder ausgelegt. Also ist doch ein Befall da!?"
Rüdiger Böhme: "Hin und wieder, im Herbst hauptsächlich. Bei Temperaturrückgang ziehen die sich rein."
Uwe Semmelroth: "Wo steht, welches Mittel, welches Mittel angewendet?"
Inga Menz: "Also, wir sehen ja hier die Arzneimittel-Anwendungs- und Abgabebelege vom behandelnden Tierarzt. Da müssen bestimmte Angaben vorhanden sein über Anzahl und Identität der Tiere, die Diagnose, welches Arzneimittel abgegeben worden ist, die Abgabemenge, die Charge, die Dosierung, Dauer der Anwendung. Das ist hier alles soweit aufgeführt."
Es folgt eine längere Suche nach einem Dokument. Nach Minuten stellt sich raus: Alles ist da, nur der Tierarzt hat unleserlich geschrieben. Danach geht es in den Stall.
Ein langes Stallgebäude, rechts und links gehen Türen ab. Dahinter: Wieder rechts und links je ein Stall für Ferkel. Jeweils knapp 30 Tiere. Sie fliehen in die äußerste Ecke, kommen aber sofort neugierig zurück. Sie wirken sauber und munter.
Inga Menz: "Ok, dann schauen wir uns erst mal allgemein einige Sachen an. z.B. Bodeneinrichtung, Sauberkeit, mögliche Verletzungsgefahren; wir gucken auch auf den Zustand der Tiere. Für 12 Schweine muss eine Tränke vorhanden sein."
Die Luft prüft Inga Menz mit der Nase. Und auch, wenn es mächtig stinkt: So sei es normal.
Inga Menz: "Also, ich prüfe das auch immer nochmal dort, wo die Schweine sind."
Nun steigt sie in den Stall auf den Kunststoff-Spaltboden und hockt sich hin, den Kopf tief gesenkt.
Inga Menz: "Also auf Kopfhöhe quasi der Tiere."
Auch dort ist die Luft offensichtlich Ok.
Inga Menz: "Dann, wenn ich einmal hier drin bin, was ich gleichzeitig noch kontrolliere, ist die Funktion der Tränken. Nicht nur, dass genug tränken vorhanden sind, sondern, es muss auch ein gewisser Durchfluß da sein; da muss natürlich auch was rauskommen."
Die perfekte Lösung gibt es nicht
Inga Menz steht auf dem Spaltboden, durch den Kot und Urin nach unten abfließen. Sicher, hier könnten die Ferkel ausrutschen, aber dafür stünden sie nicht im eigenen Mist. Die perfekte Lösung gäbe es noch nicht. Am Ende eines jeden Stalls hängt eine Kette mit einem handgroßen Stück Plastik. Das einzige Spielzeug für die 28 Ferkel, die ausgesprochen gern spielen.
Uwe Semmelroth: "Das ist die Mindestanforderung. Aber da kann man sicherlich noch ein bißchen mehr machen. Die Holländer sind auch sehr experimentierfreudig. Und man muss dann sehen: Es wird im Sinne des Tierwohls in Zukunft noch ein bißchen mehr gemacht, auch gemacht werden müssen. Aber das ist die Mindestanforderung - und die erfüllt man halt hier. Also, ein bißchen die Phantasie auch walten lassen und dem Bedürfnis der Ferkel, dem Spieltrieb, entgegenkommen."
Inga Menz: "Es gibt Betriebe, die haben große Bälle beispielsweise. Aber ein Schwein ist ja sehr intelligent. Es spielt sehr gerne, gerade die Kleinen. Und es ist auch so, wenn sie denen was rein tun, dass es nach vier bis fünf Tagen auch schon wieder unattraktiv wird. Da müssen sie denen schon wieder was Neues bieten."
Nächste Station: Der Stall für die trächtigen Sauen. Sie können sich frei bewegen, sich aber auch in Boxen zurückziehen, um ihre Ruhe zu haben.
Aber raus kommen die nie hier, aus dem Stall?
Rüdiger Böhme: "Was sollen die draußen?"
Die Sonne sehen!?
Rüdiger Böhme: "Die Sonne kommt hier rein, die ist hier drin! Es ist ein heller Stall; ich wüßte nicht, was eine Sau … Draußen haben sie auch Gefahren auszustehen: Kälte, Nässe, Spulwurm könnten sie beim Wühlen aufnehmen. Das sieht so schön aus, aber das birgt auch jede Menge Gefahren."
Uwe Semmelroth: "Die kennen’s ja auch nicht anders - und wir können sie nicht fragen. Aber das, was wir wissen, was ein Schwein gerne haben möchte, wollen wir versuchen, auch zur Verfügung zu stellen. Steht natürlich auch im Kontext Wirtschaftlichkeit. Das darf man auch nie vergessen. Das ist kein Paradies für Schweine. Darf man nicht vergessen."
Schmutzige Schweine auf Stroh
Dann, im Stall der Mastschweine, ein ganz anderer Anblick: Schmutzige Schweine auf Stroh, die wühlen und herumlaufen und einen großen Strohballen zerpflücken. Ab und zu nießt ein Schwein wegen des Staubes.
Warum haben sie die hier auf Stroh stehen?
Martin Zapp: "Ja, das ist so unsere Philosophie, dass wir denken: Das ist ein Leben, was ein Schwein am liebsten haben würde. Dass es irgendwo wühlen kann, dass es sich beschäftigen kann … Wenn es richtig kalt wird im Winter, dann wühlen die sich auch in das Stroh rein, da sieht man die manchmal gar nicht. Und das halten wir für eine artgerechte Haltung - oder eine der besseren."
Die beiden Amtstierärzte sind durch. Ein paar kleinere Mängel, aber nichts Dramatisches. Alle drei Jahre werden die größeren Betriebe im Eichsfeldkreis geprüft, die kleinen nicht einmal alle 10 Jahre. Es wird an Stellen gespart, beklagt sich Uwe Semmelroth, der gern öfter kontrollieren würde, denn sonst schlichen sich Nachlässigkeiten in den Betrieben ein. Prinzipiell hielten sich die Landwirte schon an die Vorgaben. Die Misere liege eher auch bei den Verbrauchern, die täglich billiges Fleisch wollen.
Uwe Semmelroth: "Wir müssen alles überdenken, was wir seit Jahrzehnten immer selbstverständlich gemacht haben, wie beispielsweise Zähne abkneifen bei Ferkeln. Oder auch Schwänze kupieren ist derzeit noch notwendig in den meisten Fällen. Aber wir müssen eben dazu kommen, möglichst die Bedingungen so herzustellen, dass auch das vielleicht mal nicht mehr notwendig ist."
Wie das und noch viel mehr gehen kann, beweist die die Bio-Erzeugergemeinschaft ‚Seenland Müritz‘. Sie vertritt den Standpunkt, dass Schweine in Deutschland zum Großteil so leben müssen, wie sie leben, weil sie für die Menschen unsichtbar geworden ist. Von ihrem Leben und auch ihrem Tod kriegt der Konsument nichts mehr mit. Die Assoziation Fleisch - lebendiges Tier fehlt und damit auch das Verantwortungsgefühl. Im Mecklenburgischen Bollewick wird deshalb ganz bewusst offengelegt was mit dem Tier passiert.
Schwein auf einer Wiese auf Mallorca
Schwein auf einer Wiese auf Mallorca© dradio.de/Andreas Lemke
Weideschweine in Freilandhaltung
Die kleine Ortschaft Bollewick liegt inmitten der Mecklenburgischen Seenlandschaft, fünf Kilometer von der Müritz, dem größten deutschen See, entfernt. Ein Idyll, umgeben von Feldern und Wiesen, in dem ein paar Landwirte auf 10.000 Hektar Biofläche so genannte ‚Müritzer Weideschweine’ großziehen. Schweine, die noch mit der Hand gefüttert werden, viel Auslauf haben und zum Teil sogar in Freilandhaltung aufwachsen.
"Wenn man zu den Betrieben rausfährt, dann wird man sehen, dass die Schweine tatsächlich sauber sind. Die haben zwar Lust, sich auch zum Suhlen und vielleicht ein Sandbad zu nehmen; grundsätzlich sind die Schweine aber sauber und das Spannende ist, dass die Schweine in der Weidehaltung so viele Möglichkeiten haben, die Gegend zu erkunden."
... sagt Bruno Jöbkes, Geschäftsführer, von Thönes Natur und Biofleisch, dem Betrieb, der das Fleisch dieser Schweine weiterverarbeitet.
Durch die Glasfront geht der Blick auf den Zerlegebetrieb. Ein Schild informiert die Besucher: ‚Ihre Entscheidung für unser Fleisch hilft unsere nachhaltige regionale Landwirtschaft zu bewahren. Das ermöglicht auch in der heutigen Zeit exzellenten Fleischgenuss auf ehrliche, faire und gesunde Weise. Fleisch aus besonders tierartgerechter Haltung.’
2006 fragte die ‚Erzeugergemeinschaft Seenland Müritz‘ den Unternehmer, der schon in Nordrhein-Westfalen eine gläserne Landwerkstätte betreibt, ob er nicht ein ähnliches Projekt in Mecklenburg aufzuziehen wolle, damit die Kunden sehen können, wie das Fleisch verarbeitet wird, bevor sie es konsumieren.
Bruno Jöbkes: "Deswegen kann man jederzeit von außen in den Zerlegebereich reinschauen, man kann jederzeit in den Verarbeitungsbereich reinschauen. Wir finden das klasse, weil viel mehr Transparenz kann man gar nicht zeigen. Und das ist natürlich auch eine hohe Selbstverpflichtung, tatsächlich auch sauber zu arbeiten. Denn das eine ist, dass man ein schönes Produkt hat, das in der Theke vielleicht gut aussieht; das andere ist, wenn man tagtäglich daran erinnert wird, es kann jederzeit jemand gucken."
Das Projekt wurde ein Erfolg: Von anfangs drei wuchs der Betrieb auf mittlerweile 12 Mitarbeiter. Einer von ihnen: Ralf Luchterhand.
Er steht vor einem silbern glänzenden Trog.
Ralf Luchterhand: "Heute Morgen haben wir frische Bratwurst für Berlin gemacht. Der Ablauf ist ungefähr - bis um 6:30 Uhr muss das fertig sein - dann musst kommissioniert werden, dann wird die ganze Sache eingepackt und kommt dann in LKW rein. Und dann können wir erstmal Frühstück machen. Vorher haben wir aber schon unsere Leberwurst vorbereitet. Heute haben wir den ganzen Tag Leberwurst gemacht; da heißt es dann eben kochen, brühen, wiegen, Gewürze zusammenstellen, sauber machen zwischendurch. Bis die Wurst reinkommt - das ist ein langer Weg."
500.000 Schweine im Jahr werden geschlachtet
Eigentlich sollen die Tiere in Bollewick nicht nur zerlegt, sondern auch geschlachtet werden. Den Stress, den der derzeitige Transport und das Schlachten der Tiere in der 70 Kilometer entfernten Stadt Teterow bedeuten, würde Jöbkes den Schweinen gerne ersparen. 500.000 Schweine werden dort pro Jahr geschlachtet. Der künftige Schlachthof in Bollewick wird eine Nummer kleiner ausfallen:
Ralf Luchterhand: "Das steht jetzt in diesem Jahr an. Wir haben zwei Investitionsvorhaben, die gerade durchgeplant werden und wir werden wahrscheinlich ab Sommer loslegen mit den Baumaßnahmen, um dann, so wie wir es auch im Rheinland tun, mit eigenen Kräften schlachten zu können und dann auch noch den letzten Punkt, der für uns beim Schlachten wichtig ist, möglichst stressfrei Schlachten zu können."
Das erfordert allerdings eine Investition von 800.000 bis einer Million Euro; Eigenmittel, eine Förderung gibt es dafür nicht.
Die Kosten für die besseren Lebensbedingungen der Schweine müssen am Ende über den Verkauf des Fleisches reinkommen.
Es hat seinen Preis, dass Bio-Fleisch weniger wässrig und aromatischer ist als herkömmliches Fleisch; Käse teurer als Wurst, Wasser teurer als Milch und Gemüse teurer als Fleisch:
"Das ist ein Punkt, wo mir jedes Mal die Haare zu Berge stehen. Wenn man sich anschaut, was kostet ein Kilo Hackfleisch: 3 € und eine Paprika, wo ich noch alles mögliche wegschneiden muss 4 Euro das Kilo! Da ist dann die Frage der Wertigkeit, der externen Kosten, die das Produkt verursacht hat, völlig verschoben."
Aber auch wenn gutes Gewissen und Geldbeutel harmonieren, bleiben Fragen:
Wie gehen Tierschutz, Respekt vor der Natur und das Schlachten eines Nutztieres zusammen?
Ist es moralisch vertretbar, Tiere zu töten und aufzuessen? Dazu haben sich die Betreiber der gläsernen Landwerkstätten den ‚Philosophischen Imbiss‘ ausgedacht:
"‚Haben Tiere ein Bewusstsein?‘ - das war der Titel der ersten Runde und wir sind damit in die einzelnen Metzgereien, also zu den Kunden von uns gefahren und haben eingeladen zu einem philosophischen Gespräch, dabei auch etwas zu Trinken und Häppchen zu sich nehmen, um in einer lockeren Atmosphäre sich diesem ernsten Thema zu widmen."
Ergebnis: Bewusstsein ja, aber keinen Begriff von der eigenen Existenz, kein Wissen von der eigenen Endlichkeit. Deswegen darf man Tiere nach Meinung der Fleisch-Philosophen immer noch schlachten. Zumindest wenn man sie vorher ein angemessenes Leben leben lässt.