Thomas Imbach über Maria Stuart

"Sie ist eine geborene Königin"

Der Regisseur Thomas Imbach aus der Schweiz beim Filmfestival in Locarno.
Der Regisseur Thomas Imbach aus der Schweiz beim Filmfestival in Locarno. © picture alliance / dpa
Moderation: Patrick Wellinski · 15.11.2014
Mit Kostümfilmen konnte Thomas Imbach nie was anfangen. Im Interview erklärt der Regisseur, warum er sich mit "Mary - Königin von Schottland" doch an das Genre gewagt hat und was Maria Stuart mit einem Kleinkind gemeinsam hat.
Patrick Wellinski: Warum haben Sie die tragische Geschichte der Maria Stuart, der schottischen Königin, überhaupt verfilmt? Über die Tudors und ihre Nachkommen scheint in der letzten Zeit – gerade im Film – doch alles gesagt gewesen zu sein?
Thomas Imbach: Nein, es gibt keinen modernen Kinofilm über Maria Stuart. Der letzte Film datiert von 1970, es gab sehr viele Elizabeth-Filme, und ich habe nie verstanden, weshalb die Massen so scharf sind auf Elizabeth, um es mal ein bisschen extrem zu sagen, mir war die immer unsympathisch. Und ich habe natürlich von der Schule, wie wir alle, auch die Deutschen, das Schiller-Stück gekannt, aber das habe ich bewusst von Anfang an gemieden, das ist mir viel zu pathetisch. Und ich habe dann das Buch von Zweig entdeckt und das hat mir eigentlich sofort Mut gemacht, am Stoff weiterzuarbeiten, weil er ganz eine spezielle Seite, die Leidenschaft von Mary beleuchtet. Und das hat mich inspiriert. Und dazu kommt, ich hatte nie was im Sinn mit Kostümfilmen oder Königinnen oder Aristokratie und solchen Geschichten, das war mit bisher alles fern. Aber Mary ist ja eine geborene Königin.
Und eine Condition humaine ist ja, dass, wenn wir auf die Welt kommen, da sind wir alle zuerst für die ersten paar Monate, manchmal sogar Jahre, sind wir König oder Königin. Wir können alles, wir haben die Macht, alles zu machen, erst langsam müssen wir abgeben und merken, dass wir eigentlich gar keine Könige sind. Ich glaube, das ist auch eine Faszination von Kindern bis zu Erwachsenen für Könige und Königinnen. Und das war mehr so etwas grundsätzlich Menschliches, das mich auch an diesem Stoff fasziniert hat, das ich untersuchen wollte: Wie stürzt Mary ab? Das hat mich interessiert. Und für mich war sie schon auch eine Art Seelenverwandte. Sonst hätte ich das Projekt nie so in Angriff genommen. Ich habe viel von ihr gekannt, obwohl ich keine Frau bin und keine Königin und alles, aber einfach von dieser psychologischen Disposition. Was ich bei ihr bewundere, ist der Mut, dass sie bis zum Schluss nie aufgibt, sie zieht ihr Ding ganz bis zum Schluss durch.
Elizabeth als alte Tante, Maria als moderne Herrscherin
Wellinski: Sie wirkt bei Ihnen wie eine sehr kluge, hoch reflektierte junge Frau, die nach außen auch enorm stark sein kann, aber nach innen von ständigen Gefühlsschwankungen getrieben wird. Sie zeigen das auch innerhalb von nicht abgeschickten Briefen an Elisabeth, die sie immer wieder verfasst. Also ist Maria Stuart für Sie eine romantische Melancholikerin?
Imbach: Das müssen die Zuschauer beurteilen. Ich kann sie jetzt nicht so schubladisieren. Sie ist für mich eine moderne Frau. Im Gegensatz zu Elizabeth, die eine alte Tante ist, vielleicht die modernere Herrscherin, und Mary ist ja nicht eine Politikerin, für sie war das Königsein mehr so etwas Gottgegebenes, das hat sie mit auf den Weg bekommen und das füllt sie aus als eine Pflicht. Aber was interessant ist bei ihr, dass sie das Leben lang insistiert hat, auch das Leben einer Frau zu führen, Kinder zu haben, Liebhaber, Männer auszuwählen, einfach ein eigenständiges Leben als Frau zu haben und Königin zu sein. An dem ist sie auch gescheitert.
Zuerst sollte der Film in der Gegenwart spielen
Wellinski: Ihr Film ist auch visuell hoch interessant. Denn er erinnert an Historienfilme von Jacques Rivette oder Eric Rohmer. Das waren ja alles Filme, die nie den Glanz und die Opulenz der Kostüme feierten, sondern die Menschen unter den Korsetten ernst nahmen, um es mal so zu sagen. Und auch Ihre Maria Stuart ist keine Wachsfigur, sondern auch durchaus eine Teenagerin. War Ihnen dieser ästhetische Zugang wichtig?
Imbach: Ja, es ist so, am Anfang wusste ich ja noch nicht, ob ich einen Kostümfilm machen will oder kann, da dachte ich, ich mache einen Film in Afrika oder in einer Schweizer Bank mit einer modernen Mary. Bis ich dann gemerkt habe, nee, ich brauche diesen Hintergrund des 16. Jahrhunderts, ich brauche auch Elizabeth, diese Gegenspielerin, diese ganz spezifische Situation bei Mary, die ja so besonders ist. Und dann habe ich mich auf dieses Abenteuer eines Kostümfilms eingelassen, dem ich auch sehr kritisch gegenüberstehe, denn ich bin sehr heikel, wenn ich auf den Gesichtern der Schauspieler elektrisches Licht spüre bei vielen Filmen. Und ich denke auch, es ist ein Genre, das sich nicht sehr weiterentwickelt hat in den letzten 30 Jahren. Für mich waren so Referenzfilme, zwei wichtige waren Andrej Rubljow und Tarkowski und auch Barry Lyndon schon auch von Kubrick. Und es brauchte auch im Drehbuch einen ganz besonderen Zugang, weil man diese Geschichte von Mary nicht einfach in einen Plot hineinpacken kann.
Was ja für mich interessant war, wo ich begonnen habe mit diesem Stoff, haben mir die Leute gesagt, vergiss das! Es gab damals ein Projekt von Scarlett Johansson zu Mary und es gab in der Zwischenzeit, wo wir den Film gemacht haben, fünf andere Projekte, es gibt auch wieder ein neues. Aber ich finde es nicht ganz zufällig, dass die Amerikaner bis jetzt keinen Film mit Mary hingekriegt haben, denn es ist nicht ganz einfach, das Besondere bei ihr in einen Plot zu packen. Wir haben das so versucht mit dieser Art Schlaglichtdramaturgie, die sich eigentlich auf ganz bestimmte Details konzentriert, um so die drei Ehemänner, auch Rizzio und Elizabeth, diese verschiedenen starken Figuren in eine Geschichte zu packen.
Skeptisch gegenüber Kostümfilmen
Wellinski: Sie haben mit Kameramann Rainer Klausmann zusammengearbeitet, der unter anderem viel mit Fatih Akin, Oliver Hirschbiegel, aber auch mit Werner Herzog dreht. Wie haben Sie mit ihm jetzt ganz speziell den Look Ihres Films erarbeitet, was war Ihnen da wichtig?
Imbach: Ich habe immer bei seinen Filmen bewundert, wie er die Gesichter filmt. Nicht, wie er sie filmt, sondern das Licht auf den Gesichtern. Das war für mich was Ausschlaggebendes, diese Sensibilitäten, behutsam, seine feinfühlige Handkamera, das war auch mich wichtig. Ich wollte nicht für mich jetzt große Kranfahrten und wie man das heute macht, so moderne Kameraspiele, sondern ich wollte eigentlich die Kamera konzentriert haben auf die Hauptfiguren. Und das andere mit dem Licht, das war von Anfang an auch wichtig, dass wir eigentlich kein elektrisches Licht verwendet haben, sondern mit lebenden Kerzen, auch mit Feuer, also mit Gaslicht gearbeitet haben. Am Ende eines Takes war die Luft so dick, zum Abschneiden dick, dass ich zum Fenster springen musste, das gab aber tolle Bilder, die so ein bisschen wie gemalt aussehen jetzt.
Wellinski: Ihr Film – und auch das zeichnet ihn meiner Meinung nach aus – ist sehr reich an Details, über die ich alle gerne einzeln reden würde, leider habe ich nicht die Zeit dazu. Aber ein sehr interessanter Inszenierungseinfall ist das Puppenspiel, das sich durch den Film zieht, wie eine Art antiker Chor, der auch noch mal den Konflikt zwischen Elizabeth und Maria kommentiert. Welcher dramaturgische Einfall steckt dahinter, hinter diesem Puppenspiel?
Imbach: Ich habe nach einem Erzählmittel aus der Zeit gesucht, das mich auch an Shakespeare erinnert hat. Und so bin ich auf die Puppen gekommen, um auch so eine Außensicht auf die ganze Geschichte, vor allem auf die Beziehung von Mary und Elizabeth zu haben. Alles, was es bisher zu Maria Stuart gab, war eigentlich basiert auf dem Zweikampf der zwei Königinnen. Und für mich war klar, in einem Film von heute im 21. Jahrhundert ist das Besondere, dass man erzählt, dass die beiden Frauen, die sich zeitlebens so nahe standen, persönlich so neugierig waren aufeinander, sich persönlich nie gesehen haben. Das vergisst man ja, wenn man mit dem Schiller aufgewachsen ist. Und diese Art von virtueller Nähe, muss man schon wieder fast sagen heute, versuchte ich nicht über die Puppen jetzt hier, sondern mehr über diesen inneren Dialog zu zeigen, dass die Elizabeth für Mary wie ein Schatten quasi in ihrem Nacken gelauert hat, dass sie gar nicht eine fassbare Figur für sich war, sondern die war immer so abwesend, hat sich versteckt hinter ihren Ministern.
"Schottland war damals ein quasi Drittweltland"
Wellinski: Neben den Figuren spielen auch die Landschaften eine nicht gerade unwichtige Rolle, überhaupt die ganze Natur. Ich hatte das Gefühl, es wäre immer Herbst in Ihrem Film, das stimmt wahrscheinlich gar nicht, und trotzdem hatte das alles etwas Raues, Bedrohliches, auch noch in Frankreich, als würde die ganze Natur den tragischen Weg von Mary vorzeichnen.
Imbach: Ja, es war mir schon wichtig, dass das Gefühl von Kälte, von einer Zeit, wo es von allem noch viel weniger gibt, das hat zu diesem Konzept gehört, wie man einen heutigen Kostümfilm macht, also einen Film, der in eine andere Zeit geht, wie man dieses Gefühl einer anderen Zeit, wo alles noch anders war, Schottland war damals ein quasi Drittweltland, es gab keine Kutschen, es gab nur Pfade und Pferde, das war ein ganz armes Land. Klar war es am Hof anders. Andererseits sind es auch innere Landschaften, klar, die über den Seelenzustand von Mary erzählen. Andererseits ist es ganz konkret, sind es Orte, authentische Orte, wo Mary in Schottland gelebt hat.
Wellinski: Jetzt, nachdem Sie sich so intensiv noch mal mit der historischen, aber auch fiktionalen Figur der Maria Stuart beschäftigt haben: Meinen Sie, Maria Stuart hat posthum den Konflikt mit Elizabeth dann doch vielleicht gewonnen?
Imbach: Das ist eine interessante Frage, denn interessant ist ja, dass Maria Stuart eine ganz andere Figur ist in Deutschland oder Frankreich als in England oder Amerika. Denn in England und Amerika steht sie extrem im Schatten von Elizabeth und sie ist so da ein bisschen the French Lady. Auch ein bisschen mit einem Unterton, sie hatte Mühe mit Männern, bis hin zu einer Prostituierten ein bisschen. Und bei uns, das hat auch mit dem Stück von Schiller zu tun, ist sie eine der großen Heroinen aus der Renaissance neben den Griechinnen wie Medea und Antigone.
Für mich war das nie die Frage, denn ich fand es immer die viel interessantere Frau, weil sie viel mehr gewagt hat, viel mehr in die Waagschale geworfen hat als eine Elizabeth, die vielleicht klug regiert hat und klug ihre Macht in Händen halten konnte, aber menschlich ist das für mich gar nie zur Debatte gestanden. Letztlich wollte ich natürlich auch nicht historisch jetzt den großen Beitrag leisten, sondern mir ging es eigentlich darum, dass auch die Werte, die Mary verkörpert, dass man aufs Ganze geht, dass man nicht immer fragt, was kann ich in eine Beziehung investieren und all diese Dinge, die man sich heute fragt, was solche archaischen menschlichen Werte heute noch für eine Bedeutung haben können. Das war für mich auch so ein Motivator, diesen Film zu machen und von heute zu erzählen über diese Figur.
Wellinski: Thomas Imbach, Regisseur von "Mary. Königin von Schottland", der ab nächstem Donnerstag in den deutschen Kinos zu sehen sein wird. Herr Imbach, vielen Dank für Ihren Film und für Ihre Zeit!
Imbach: Danke schön!
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