Thierse fordert Selbstkritik von Clement

Moderation: Leonie March · 04.08.2008
Das SPD-Vorstandsmitglied Wolfgang Thierse hat seinem vom Parteiausschluss bedrohten Genossen Wolfgang Clement zu "bescheidener Selbstkritik" geraten. Er fände es gut, wenn Clement sagen könnte, dass es ein Fehler war, dazu aufzurufen, die eigene Partei nicht zu wählen, sagte Thierse vor einem Treffen des Parteivorstandes zum drohenden Ausschluss des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers.
Leonie March: Fast 40 Jahre lang ist Wolfgang Clement Sozialdemokrat, und das will er auch bleiben, ein kritischer dazu. Das hat er in diversen Interviews betont, deshalb lehnt er auch das Kompromissangebot der nordrhein-westfälischen Ortsverbände ab, die es bei einer Rüge belassen wollen, wenn er, so heißt es, seine parteischädigenden Aufrufe in Zukunft unterlässt. Heute beraten Präsidium und Vorstand über das weitere Vorgehen. Mitglied des SPD-Vorstands ist auch Wolfgang Thierse. Guten Morgen, Herr Thierse.

Wolfgang Thierse: Guten Morgen.

March: Sehen Sie in Wolfgang Clement eher den Querdenker oder den Querulanten?

Thierse: Ach, ich kenne Wolfgang Clement einigermaßen gut, habe ihn immer sympathisch gefunden und dass er eine scharfe Zunge hat, ein polemisches Naturell und dass er von außerordentlichem Selbstbewusstsein ist, das war immer so und das wird jetzt auch ganz besonders deutlich.

March: Aber ein Grund für einen Parteiausschluss ist das nicht?

Thierse: Also, ich habe, ich finde den Parteiausschluss nicht sympathisch, er gefällt mir nicht. Aber ich habe auch etwas dagegen, wenn man diesen Vorgang jetzt hochstilisiert und behauptet, in der SPD gäbe es keine Meinungsfreiheit. Wie viele Menschen, Anhänger der Partei oder Beobachter, Journalisten, kritisieren gelegentlich den Meinungsstreit, die Meinungsvielfalt in der SPD?

Die SPD ist eine streitlustige Partei, das wird sie bleiben, darum geht es nicht. Sondern es geht nur um die Frage, so habe ich jedenfalls die Landesschiedskommission verstanden, es geht um die Frage, ob man das unkommentiert lässt, dass ein Mitglied der Partei dazu auffordert vor einer Wahl, die eigene Partei und ihre Spitzenkandidatin nicht zu wählen. Das ist eine Grenze, die in allen Parteien gilt. Man kann nicht zugleich Mitglied einer Partei sein und öffentlich dazu auffordern, sie nicht zu wählen. Also, dass das Ärger und Kritik hervorgerufen hat, das ist ja nicht verwunderlich und das müsste eigentlich auch Wolfgang Clement verstehen.

March: Tut Clement trotzdem gut daran, das Kompromissangebot der fünf nordrhein-westfälischen Ortsverbände jetzt abzulehnen?

Thierse: Also, ich fände ganz gut, wenn er gewissermaßen einen Anfall selbstkritischer Bescheidenheit bekäme oder bescheidener Selbstkritik und sagen kann: "Das war ein Fehler, dass ich an dieser Stelle dazu aufgerufen habe, die eigene Partei nicht zu wählen und ihre Spitzenkandidatin nicht zu wählen". Dass wir in der SPD auch weiterhin streiten über den Kurs, das gehört zum Wesen unserer Partei. Da sollte Wolfgang Clement nicht den öffentlichen Eindruck erwecken, in der SPD würde Meinungsfreiheit unterdrückt. Das ist schlicht falsch, sondern es geht um diese eine Grenze.

March: Clement fordert ja jetzt als Konsequenz ein klares Bekenntnis der SPD zum Reformkurs und damit gegen einen Linksruck. Halten Sie auch das für notwendig und vielleicht auch für möglich angesichts der Meinungsvielfalt?

Thierse: Also, es gibt keine Absage an den Reformkurs, sondern was in den letzten Monaten diskutiert worden ist und entschieden worden ist, übrigens auch auf einem Bundesparteitag mit sehr, sehr, sehr großer Mehrheit, ist etwas, was wir doch auch immer vorgesehen hatten. Die Agenda 2010 ist ein so hoch komplexes Reformwerk und wir haben immer gesagt, im Lichte der Verwirklichung der einzelnen Reformschritte müssen wir prüfen, ob man nachjustieren muss, welche Wirkung angemessen ist, welche nicht. Das ist, glaube ich, vernünftig. Die SPD muss immer wieder neu zeigen, dass sie Partei der sozialen Gerechtigkeit ist, des sozialen Ausgleichs, das sie (…) gerade auch für die Schwächeren in dieser Gesellschaft einsteht. Das ist sozialdemokratisch, da muss man nichts korrigieren, das ist auch keine Absage an notwendige Reformen der vergangenen Jahre.

March: Das heißt, jetzt beginnt auch nicht ein neuer öffentlicher Richtungsstreit um die Agenda-Politik?

Thierse: Also ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Ich sehe das auch nicht in der Partei, dass da eine allgemeine Diskussion, es möchte vielleicht Wolfgang Clement, weil er ganz bestimmte entschiedene Auffassungen hat, die kann man in einer Partei vertreten. Also Thema Umgang mit der Atomenergie. Da gibt es, denke ich, nach langen und vielen Diskussionen eine klare Position der SPD. Ich glaube, dass die Position von Wolfgang Clement nicht mehrheitsfähig ist, darüber mag sich der Betroffene ärgern, aber das ist halt immer wieder so. Ich habe auch gelegentlich Ansichten, von denen ich die Befürchtung habe, dass sie in der SPD nicht mehrheitsfähig sind.

March: Von einer Spaltung der SPD ist ja zum Teil zu lesen. Das sehen Sie dann auch nicht?

Thierse: Also, das möchten vielleicht manche gerne, eine Spaltung der SPD herbeireden. Nein, das sehe ich nicht.

March: Muss Ihre Partei Ihren Kurs denn angesichts der bevorstehenden Wahlen trotzdem deutlicher machen?

Thierse: Natürlich, Wahlkampfzeiten dienen dazu, den eigenen Kurs zu verdeutlichen, denn man kämpft ja um Wähler, man kämpft um die eigenen Anhänger. Und ich sage es noch einmal: Die SPD hat Reformen eingeleitet, teilweise auch schmerzliche Reformen, in der eigenen Partei umstrittene Reformen, um der Zukunftsfähigkeit des Wirtschafts- und Sozialstandorts Deutschland willen, um die Sozialsysteme, den Sozialstaat, den wir unbedingt verteidigen wollen, auch zukunftsfähig zu machen. Man verrät die eigenen Anhänger und gerade die schwächeren, den schwächeren Teil, den sozial schwächeren Teil der Gesellschaft dadurch, dass man nichts tut, dass man Reformen verweigert, das muss man gelegentlich auch in manche Richtung sagen.

March: Clements Anwalt, Otto Schily, meint, seinen Klienten aus der Partei zu verbannen, habe suizidalen Charakter. Welche Konsequenzen befürchten Sie jetzt unabhängig vom Ausgang des Ausschlussverfahrens?

Thierse: Also, man soll nicht übertreiben. Otto Schily ist ein brillanter Rhetoriker und Anwalt, das ist eine so forcierte Übertreibung. Ich sage hier noch einmal, ich bin nicht glücklich über diese Entscheidung der Landesschiedskommission, aber ich wünsche mir auch, dass Wolfgang Clement, wenn er denn, wie er ausdrücklich behauptet, und ich glaube ihm das, in der SPD bleiben will, dass er auch ein Signal in die eigene Partei geben will, geht etwa in dieser Weise, dass er einen selbstkritischen Kommentar zu seiner Äußerung zur hessischen SPD und Ypsilanti abgibt. Dass er seine Meinungen weiter vertritt, das ist doch selbstverständlich. Wir leben in einem freien Land, und er ist Mitglied einer freiheitlichen Partei.

March: Wolfgang Thierse, Mitglied im Bundesvorstand der SPD. Vielen Dank für das Gespräch.

Thierse: Auf Wiederhören.

March: Wiederhören.