Theologe Dorian Winter

"Papst Franziskus polarisiert"

Der Papst lächelt im weißen Gewand und mit umgehängter Kreuzkette vor einer weißen Wand in die Kamera.
Papst Franziskus besucht in dieser Woche den katholischen Weltjugendtag in Krakau. © picture alliance/ dpa/
Dorian Winter im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 26.07.2016
Wenn Papst Franziskus zum Weltjugendtag nach Polen reist, ist das nicht unbedingt ein Heimspiel. Nicht bei allen komme der Papst gut an, sagt der Theologe Dorian Winter. Ohnehin sei der polnische Katholizismus traditionell nicht besonders papsthörig.
Papst Franziskus auf Besuch im erzkatholischen Polen - das klingt nach Heimspiel. Ist es aber nicht unbedingt, meint der Polen geborene Theologe Dorian Winter von der Universität Luzern.
"Papst Franziskus ist natürlich jemand, der mit seiner besonderen Art, das Pontifikat zu begleiten, recht polarisiert", sagt er. "Und das kommt nicht bei jedem gut an." In der katholischen Kirche gebe es eine verbreitete Vorstellung, dass Rechtgläubigkeit mit Rigorismus einhergehen müsse, mit Härte der Welt und den Menschen gegenüber. Dagegen wehre sich der Papst. "Franziskus sagt ganz offen, dass das Verkündigen der frohen Botschaft und Rigorosität sich nicht miteinander vertragen, und damit kommen viele nicht klar in Polen."

Große Spannungen zwischen Episkopat und Gläubigen

Gleichzeitig gebe es in Polen viele kirchenferne Menschen und kritische Katholiken, die sich auf den Papstbesuch freuten, "weil sie sich von ihm erhoffen, dass er quasi der polnischen Kirche die Leviten liest", sagt Winter. "Es gibt große Spannungen zwischen dem Episkopat und vielen Gläubigen, und da erwartet man deutliche Worte."
Generell sei der polnische Katholizismus aber nicht besonders papsthörig. "Das Pontifikat von Johannes Paul II. war da eine große Ausnahme. Das hatte damit zu tun, dass er ein Landsmann war, und es hatte auch damit zu tun, dass er der große Held im Prinzip der Polen des 20. Jahrhunderts ist."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es wird mal wieder der katholische Weltjugendtag gefeiert. Heute beginnt er im polnischen Krakau, und der Höhepunkt wird am Donnerstag der Besuch von Papst Franziskus sein. 90 Prozent der Polen sind ja Katholiken, in dem Land also, in dem Papst Johannes Paul der Zweite noch immer als Held verehrt wird, inklusive einer riesigen Statue in Czestochowa. Jedoch die Aufbruchstimmung, die Papst Franziskus verbreitet hat – sein Standpunkt zur Flüchtlingspolitik, die Weltoffenheit und auch seine Gedanken zu ökologischen Fragen –, denen stehen viele polnische Katholiken misstrauisch gegenüber. Dorian Winter ist Dozent an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern, er ist in Polen geboren und zum Teil auch dort aufgewachsen und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Dorian Winter: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!

Proteste gegen den Papst wird es nicht geben

von Billerbeck: Ihre Beziehungen zu Polen sind noch immer eng, wie ist denn die Stimmung im Vorfeld des Papstbesuches in dem Land, in dem mehr als neun Zehntel der Bevölkerung Katholiken sind? Freuen sich da alle auf den Heiligen Vater?
Winter: Also im Volk, würde ich schon sagen, ist die Stimmung überwiegend sehr positiv. Es ist zwar nicht die gleiche Euphorie wie zuzeiten von Johannes Paul dem Zweiten, aber man freut sich doch auf den Besuch oder ist zumindest neutral. Also so etwas wie Proteste, wie es sie beispielsweise beim Besuch von Benedikt in Deutschland gab, wird es in Polen definitiv nicht geben. Gleichzeitig gibt es viele kirchenferne Menschen, aber auch kritische Katholiken, die freuen sich besonders, dass der Papst kommt, weil sie sich von ihm erhoffen, dass er quasi der polnischen Kirche die Leviten liest. Es gibt große Spannungen zwischen dem Episkopat und vielen Gläubigen, und da erwartet man deutliche Worte.
Die Bischöfe wiederum demonstrieren jetzt im Vorfeld des Papstbesuches große Einigkeit – man versucht den Eindruck zu vermeiden, als gäbe es irgendwelche Form von Spannungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der polnischen Kirche. Was für große Aufregung gesorgt hat, war vor einigen Wochen das Einladungsschreiben der polnischen Bischöfe an die polnische Jugend, dort hat man es an keiner Stelle erwähnt, dass Franziskus zu Besuch kommt. Man hat zwar erwähnt, dass der Besuch beim Weltjugendtag ein Zeichen des Respekts gegenüber Johannes Paul dem Zweiten wäre, aber mit keinem Wort, dass der Papst zu Besuch käme. Und das hat sehr viele irritiert im Land.

Polen traditionell "nicht besonders papsthörig"

von Billerbeck: Das heißt, bei Johannes Paul war die Stimmung weitaus euphorischer, wenn er in seiner polnischen Heimat zu Besuch kam, für Franziskus – das kann man dann wohl sagen, wenn ich höre, was Sie da erzählen – ist der Besuch kein Heimspiel.
Winter: Der polnische Katholizismus ist ja traditionell nicht besonders papsthörig, das Pontifikat von Johannes Paul dem Zweiten war da eine große Ausnahme. Das hatte damit zu tun, dass es ein Landsmann war, und es hatte auch damit zu tun, dass er der große Held im Prinzip der Polen des 20. Jahrhunderts ist und auch eine große politische Bedeutung hat. Heimspiel …
von Billerbeck: Lauter Katholiken, da fühlt man sich doch wohl, das ist doch die Frage.
Winter: Na ja, Papst Franziskus ist natürlich jemand, der mit seiner besonderen Art, das Pontifikat zu begleiten, recht polarisiert, und das kommt nicht bei jedem gut an. Es gibt in der katholischen Kirche eine weit verbreitete Vorstellung, dass Rechtgläubigkeit einhergehen muss mit einer Art Rigorismus, mit einer Härte der Welt und den Menschen gegenüber – eigentlich ein sehr trauriges und paradoxes Bild –, und Franziskus wehrt sich dagegen. Franziskus sagt ganz offen, dass Verkündigung der Frohen Botschaft und Rigorosität sich nicht miteinander vertragen, und damit kommen viele nicht klar in Polen.

Haltung des Papstes zur Flüchtlingspolitik polarisiert

von Billerbeck: Worauf gründet sich denn konkret die Skepsis, was sind die neuralgischen Punkte, die ein Teil der polnischen Katholiken eben an Franziskus und seiner Politik so kritisieren?
Winter: Also zunächst einmal ist es schon die Verwirrung, wie er sein Pontifikat begleitet, wie er das Bild von Kirche verändert. Natürlich ist das Thema Flüchtlingspolitik ein ganz, ganz großes Thema. Franziskus hat schon zu Beginn seines Pontifikats – ich erinnere daran, seine erste Auslandsreise ging nach Lampedusa, wo er doch sehr deutliche Worte fand zu der Flüchtlingskrise … Die Polen sind da, wie man weiß, jetzt nicht ganz auf dieser Linie, und das polarisiert.
von Billerbeck: Das ist vorsichtig ausgedrückt, glaube ich.
Winter: Ja, mir fallen jetzt spontan keine anderen Worte ein. Die Flüchtlingsthematik polarisiert enorm. Es gibt mittlerweile auch Spannungen zwischen dem polnischen Episkopat und der Regierung. Die Regierung ist natürlich sehr rigoros in ihrer Haltung, schon immer gewesen, übrigens auch ähnlich wie die Vorgängerregierung, und die polnischen Bischöfe versuchen, auch gerade jetzt im Vorfeld des Papstbesuches, schon mit kleinen Initiativen… man erwägt jetzt über eine Art humanitären Korridor Flüchtlinge nach Polen zu bringen, einer kleinen Menge, man spricht sich dafür aus, also, man versucht diesem Thema einen gewissen Raum zu geben, um damit im Vorfeld auch des Papstbesuches den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Die Kirche ist Träger der "nationalen Idee" in Polen

von Billerbeck: Das heißt, man versucht da auch vonseiten der polnischen katholischen Kirche, ein bisschen anzugehen gegen das nationalistische Denken der polnischen Regierung?
Winter: Sie müssen wissen, die polnische Kirche ist ja quasi seit dem frühen 19. Jahrhundert der große Träger der nationalen Idee in Polen selbst, was die Kirche traditionell sehr anfällig macht für nationalistisches Gedankengut. Es gibt natürlich auch… Die Kirche in Polen ist sehr plural, es gibt viel Aufbruch, die kommt von vielen Laien, von katholischen Publizisten, aber auch von bestimmten Orden – Dominikaner und Jesuiten beispielsweise sind da sehr dahinter, der Kirche ein neues Bild zu geben, ein Bild, das sich dem Evangelium verpflichtet und nicht diesen nationalen Ideen –, aber es ist nicht leicht. Schon Johannes Paul II. hatte übrigens damals damit zu kämpfen, also die Konflikte sind nicht neu.
von Billerbeck: Was kann denn der Papstbesuch nun bewirken – das Aufeinanderzugehen, einen Anstoß, Reformen?
Winter: Ich glaube, der Höhepunkt wird sein, am Donnerstag wird Franziskus in Tschenstochau sein, dem großen polnischen Wallfahrtsort. Dort wird es die zentralen Feierlichkeiten geben zum 1050. Jubiläum der Christianisierung Polens, und man erwartet mit großer Spannung, was der Papst dort der polnischen Kirche sagen wird. Ich persönlich vermute, dass er einerseits die Bedeutung der polnischen Kirche für die Geschichte des Landes loben wird und auch die besondere Stellung der polnische Kirche auch in Europa hervorheben wird und in gleichem Atemzug aber auch versuchen wird, die Perspektive der Kirche zu weiten, über sich hinauszugehen und die Verantwortung nicht nur nach innen, sondern auch nach außen wahrzunehmen.
von Billerbeck: Dorian Winter war das, vor dem Besuch des Papstes diese Woche beim heute beginnenden katholischen Weltjugendtag in Krakau. Ich danke Ihnen!
Winter: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema