Theaterstück über Philipp Lahm

Ein ganz Lieber in der Hauptrolle

Das Probenfoto zeigt den Schauspieler Gunther Eckes in der Titelrolle des Theaterstücks "Philipp Lahm", das am 16.12.2017 Uraufführung im Residenztheater in München hat.
Das Probenfoto zeigt den Schauspieler Gunther Eckes in der Titelrolle des Theaterstücks "Philipp Lahm", das am 16.12.2017 Uraufführung im Residenztheater in München hat. © dpa / picture alliance / Julian Baumann / Residenztheater München
Michel Decar im Gespräch mit Ute Welty · 16.12.2017
Er ist der Musterjunge des deutschen Fußballs: Philipp Lahm hat seine Karriere beendet, doch jetzt kommt sein Leben in München als Theaterstück auf die Bühne. Der Autor Michel Decar meint, dass eine Figur, die Philipp Lahm heißt, wunderbar in die Regierungszeit von Angela Merkel passe.
Supererfolgreich, superschlau, superkorrekt - aber auch superlangweilig: Philip Lahm gilt als Deutschlands Musterjunge unter den Fußballern. Er habe Lahm immer faszinierend gefunden, gesteht Michel Decar, der über den Ex-Profi ein Theaterstück geschrieben hat, das am Samstag im Münchner Residenztheater Premiere feiert.
"Seit Jahren gehe ich ins Theater und sehe immer nur irgendwelche Arschlöcher auf der Theaterbühne: Faust oder Macbeth oder Don Juan, da ist ja einer schlimmer als der nächste", erklärt Decar. "Deswegen war es einfach mal an der Zeit, dass einer die Hauptrolle bekommt, der einfach ein ganz ein Lieber ist."

Schlechte Zeiten für Dönerwerfer

Das Stück ist ein lakonischer Blick auf die Generation, der Michel Decar selbst angehört, also der in den 1980-ern Geborenen. Eine Figur, die Philipp Lahm heißt, passe wunderbar in die Nullerjahre, in die Zehnerjahre, in die Regierungszeit von Angela Merkel, sagt Decar. "Weil die Zeit, in der wir leben, immer schwieriger wird für Leute wie Kevin Großkreutz oder wie Stefan Effenberg oder wie Werner Lorant, die rauchen am Spielfeldrand oder die mit einem Döner durch die Innenstadt werfen oder die in den Besenkammern dieser Republik Kinder zeugen", sagt der Theaterautor.

Kommt Lahm zur Premiere?

Mit Lahm selbst habe er für sein Stück nicht gesprochen, betont Decar, denn die Realität interessiere ihn eigentlich nicht. "Ich habe mir ja jetzt einen eigenen Philipp Lahm ausgedacht, da brauche ich den Echten gar nicht." Eine Einladung zur Premiere habe er aber bekommen. "Aber ich würde auf keinen Fall kommen, wenn ich Philipp Lahm wäre."
Philipp Lahm am 1. April 2017 im Spiel des FC Bayern München gegen den FC Augsburg
Philipp Lahm am 1. April 2017 im Spiel des FC Bayern München gegen den FC Augsburg© imago sportfotodienst
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Zum Fußballer des Jahres ist Philipp Lahm gewählt worden, er wurde zum Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft ernannt, und heute wird er noch ganz anders gewürdigt: In München hat das Theaterstück über Philipp Lahm Premiere, das auch seinen Namen trägt. Jahrgang 83 ist Philipp Lahm, Jahrgang 87 ist Michel Decar, der das Stück über Lahm geschrieben hat. Guten Morgen!
Michel Decar: Morgen!
Welty: Das größte Geheimnis, was meines Wissens über Lahm jemals enthüllt wurde, ist, dass er Hasen und Kaninchen liebt. Ansonsten gilt Lahm als super erfolgreich, super schlau, super korrekt und auch als super langweilig. Wie schreibt man über so jemanden ein Theaterstück?
Decar: Ich fand es toll, also ich finde den ja toll. Seit Jahren gucke ich Fernsehen und seit Jahren sehe ich den da, wie er Fußball spielt oder ein Interview gibt, und ich finde den irgendwie faszinierend oder fand ihn immer irgendwie faszinierend. Und auch seit Jahren gehe ich ins Theater und ich sehe immer nur irgendwelche Arschlöcher auf der Theaterbühne, also "Faust" oder "Macbeth" oder "Don Juan", also da ist ja einer schlimmer als der nächste. Und deswegen war es einfach an der Zeit, dass mal einer die Hauptrolle bekommt, der einfach ein ganz ein Lieber ist.
Welty: Aber es gibt doch auch Fußballer, die liefern per se mehr Drama, wie zum Beispiel ein Kevin Großkreutz, der auch schon mal mit betrunkenem Kopf die Hotellobby mit einer Toilette verwechselt. Da ist doch Zündstoff drin.
Decar: Da ist Zündstoff drin, absolut, aber genau das hat mich nicht interessiert. Ich wollte eben ein großes Sportstück schreiben, das eine andere Dramaturgie verfolgt, das eine andere Richtung einschlägt, das eben nicht sich von Skandal zu Skandal hangelt oder von Halbfinale zu Finale und dann ist der große Sieg oder so, sondern ich dachte, es ist mal interessant, einen anderen Weg zu gehen.
Welty: Welche Dramaturgie verfolgen Sie denn?
Decar: Eine, die gut anfängt und immer besser wird und am Ende ist es brillant.
Welty: Als was möchten Sie denn Ihr Stück verstanden wissen, als Biopic auf der Bühne?
Decar: Ja, das ist eine gute Frage, was es ist. Ich glaube, wenn es ein Biopic ist, dann ist es das ehrlichste Biopic der Welt, denn die meisten Szenen spielen zu Hause im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer und …
Welty: Im Schlafzimmer von Philipp Lahm?
Decar: Ja, aber nur, wenn er alleine da ist. Dann schreibt er noch eine kleine E-Mail nach Singapur oder so oder guckt noch ein bisschen 3Sat abends um elf oder macht so ein Puzzle oder so, dachte ich mir. Genau.
Welty: Dass Sie sich für Lahm und nicht für Großkreutz entschieden haben, inwieweit ist das auch eine Aussage darüber, welcher Charakter für Sie eben die symbolisiert, die in den 80er-Jahren geboren wurden? Sie gehören ja selbst auch dazu.
Decar: Ja, ich denke, das hat schon absolut damit was zu tun, oder ich finde, eine Figur, die Philipp Lahm heißt, passt wunderbar in die Nullerjahre, in die Zehnerjahre, in die Regierungszeit von Angela Merkel, in diese Welt, in die wir leben.
Welty: Warum?
Decar: Warum – weil diese Zeit, in der wir leben, immer schwieriger wird für Leute wie Kevin Großkreutz oder wie Stefan Effenberg oder wie Werner Lorant, die rauchen am Spielfeldrand oder die mit nem Döner durch die Innenstadt werfen oder die in den Besenkammern dieser Republik Kinder zeugen. Ich finde, das nimmt ab, das ist auf eine Art vorbei. Das waren die 90er-Jahre, vielleicht war es noch am Anfang der Nullerjahre, aber ich finde, wir haben eine andere Zeit. Und Figuren wie Philipp Lahm oder wie meine Figur Philipp Lahm passen da besser hinein, und es ist ihre Zeit, die kommt jetzt.
Welty: Sie teilen mit Lahm die Leidenschaft für den FC Bayern und eben nicht für 1860 München …
Decar: Das stimmt nicht.
Welty: Das stimmt nicht?
Decar: Das stimmt nicht.
Welty: Warum nicht?
Decar: Ach, das hat mir die "Süddeutsche Zeitung" rausgeleiert, frecherweise ganz falsch wiedergegeben. Die haben mich nur gefragt, ob ich Fan von FC Bayern München bin, und ich meinte, ich sympathisiere mit dieser Mannschaft, ich war mit meinem Vater da in den 90er-Jahren als Kind im Stadion ab und zu, und ich finde die nicht blöd. Aber was dann in der Zeitung stand, war, ich bin Fan von FC Bayern München, und im nächsten Artikel stand ein bekennender Fan, und es wurde eigentlich immer mehr von Artikel zu Artikel.
Welty: So kann's einem gehen. Die Regie dieser Uraufführung liegt in den Händen von Robert Gerloff, der sagt, Hauptdarsteller Gunther Eckes sei ihm entglitten, weil Eckes allmählich glaube, tatsächlich Philipp Lahm zu sein. Ist eine solche Wendung nicht höchst besorgniserregend?
Decar: Ich glaube, der Kollege Gerloff war ein bisschen zu Scherzen aufgelegt in dem Moment, das hat er nicht so ernst gemeint, glaube ich. Ich glaube, die beiden haben da schon was Gutes gefunden miteinander.
Welty: Hatten Sie mit Lahm im Vorfeld Kontakt?
Decar: Nein, tatsächlich nicht.
Welty: Wollte er nicht oder haben Sie es nicht versucht?
Decar: Nee. ach weiß ich nicht, hat mich irgendwie auch gar nicht interessiert. Mich interessiert hier die Realität eigentlich überhaupt nicht, sondern vielmehr die Fiktion, ich hab mir jetzt ja einen eigenen Philipp Lahm ausgedacht, brauche ich den echten ja gar nicht.
Welty: Und den haben Sie auch nicht zur Uraufführung eingeladen?
Decar: Doch, weil das wäre ja auch irgendwie unhöflich gewesen, finde ich. Das Theater hat ihn, soweit ich weiß, offiziell eingeladen, ich glaube sogar mehrfach, und soweit ich weiß, kennt er das Stück auch. Also sein Agent hat es auf jeden Fall zugestellt bekommen oder hat es auch angefordert. Insofern nehme ich an, er kennt den Text, er kennt den Stoff, er ist eingeladen, aber ich gehe ganz ehrlich nicht davon aus, dass er vorbeikommen wird, aus verschiedenen Gründen.
Welty: Die da wären?
Decar: Ich weiß nicht, also seien wir mal ehrlich: Wenn irgendjemand mal in ferner Zukunft ein Stück schreiben würde, das Michel Decar heißt, ich wäre auch nicht so begeistert wahrscheinlich.
Welty: Vor allen Dingen, wenn der Autor auch Michel Decar heißt, oder?
Decar: Hm, ja, na ja, dann würde vielleicht schon mal bei einer Probe vorbeischauen, aber genau, ich glaube, im Publikum dann zu sitzen, ich stelle mir das unangenehm vor. Dann gucken ja auch immer alle so, wie reagiert er denn jetzt auf die Szene oder auf die Szene. Also nee, zur Premiere würde ich auf keinen Fall kommen, wenn ich Philipp Lahm wäre.
Welty: "Philipp Lahm", das Theaterstück von Michel Decar, heute erstmalig im Residenztheater in München. Herr Decar, haben Sie Dank für das Gespräch!
Decar: Bitte!
Welty: Und nach der Uraufführung heute ist die nächste Vorstellung für den nächsten Donnerstag angesetzt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
(uz)
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