Theaterreform in Mecklenburg-Vorpommern

Wer spricht denn da von Untergang?

Das Theater Vorpommern bietet jährlich Sommertheater auf den drei Ostsee-Bühnen Stralsund (Foto), Greifswald und Ribnitz-Damgarten.
Sommertheater auf der Ostseebühne in Stralsund © Deutschlandradio / Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 23.03.2016
In der DDR sollten auch die Theater bei der Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten helfen. Die Bühnen waren auskömmlich finanziert - im Gegensatz zu heute, so die Klage vieler Theaterschaffender. Aber stimmt das wirklich?
Mecklenburgisches Staatstheater zu Schwerin. An einem Türknauf im Erdgeschoss hängt der Hinweis "Bitte nicht stören!" Man hört, warum: Gesangsprobe. Weiter ins zweite Geschoss zu einem Mann, der seit 1979 am Hause ist und es seit 1993 leitet. Vor zwei Jahren übernahm er auch noch die Theater- und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz. Joachim Kümmritz weiß also bestens über die Theaterlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern (MV) Bescheid. Er erinnert sich:
"1993 hatte ich große Sorge, dass möglicherweise schon Ende des Jahrzehntes damals überhaupt noch Theater der ehemaligen DDR existieren. Ich habe gesagt, Berlin, Dresden, Leipzig wird es noch geben, weil die die Größe haben, Theater zu finanzieren. Dies ist Gott sei Dank nicht geschehen."
Denn zwar haben das Ernst-Barlach-Theater Güstrow und das Theater der Hansestadt Wismar keine eigenen Ensembles mehr, immerhin aber Gastspiele anderer Bühnen von "Tschick" bis Brahms-Konzert. Ansonsten gibt es in MV sechs Mehrspartentheater mit über zehn Produktionsstandorten und noch mehr Bespielbühnen, dazu einige kleine freien Bühnen.
Der Malsaal im Mecklenburgischen Staatstheater zu Schwerin
Malsaal im Mecklenburgischen Staatstheater zu Schwerin© Deutschlandradio / Silke Hasselmann

Leben und Theaterbetrieb sind teurer geworden

Nicht schlecht für ein dünnbesiedeltes Flächenland, in dem heute nur noch 1,6 Mio. Menschen leben – 300.000 weniger als noch zur Wende. So gesehen könne man ja fast noch froh sein, dass die Landesregierung den jährlichen Zuschuss für die Mehrspartentheater seit über zwanzig Jahren unverändert bei 36 Mio. Euro belassen habe, sagt Doppelintendant Joachim Kümmritz. Doch natürlich sei das Leben samt Theaterbetrieb deutlich teurer geworden. Einsparungen am Personal könnten das längst nicht mehr auffangen.
"Wenn man mal zurückdenkt an den Anfang der 90er-Jahre, da waren wir 525 Leute. Wahrscheinlich zu viel in einer Stadt mit knapp 100.000 Leuten. Brauchen wir nicht drüber zu reden. Aber da ich diesen Prozess hier in Schwerin selber begleitet habe - wir haben ja 200 Leute hier abgebaut -, ist dann irgendwann mal die Fahnenstange erreicht. Man muss aber ein Ergebnis kriegen, dass in diesem Land flächendeckend die Kunstform darstellende Kunst angeboten wird, die ich persönlich für sehr wichtig halte."

Land will Zuschüsse nur bei Neu-Organisation erhöhen

Er hätte es nicht besser sagen können, meint Kultusminister Mathias Brodkorb (SPD). Für ihn führt nur eine große Theaterstrukturreform zum Ziel. Soll heißen: Das Land wird die Zuschüsse erhöhen, aber nur, wenn sich die Theater zukunftstauglich organisieren. Die erste Fusion betrifft Schwerin und das Landestheater Parchim in Westmecklenburg. Der Gesellschaftervertrag soll noch vor der Landtagswahl im September von den Kommunen und dem Land unterzeichnet werden.
In zwei Jahren dann sollen das "Theater Vorpommern" und der "Theater- und Orchester GmbH Neubrandenburg/ Neustrelitz" in einer Art "Staatstheater Nordost" aufgehen. Über den oft gehörten Vorwurf aus der Kulturlobby, die Reform werde die Theater in MV amputieren und die Kulturlandschaft ärmer machen, schüttelt der Kultusminister nur den Kopf.
"Das erste Problem ist ja, dass viele Häuser permanent vor der Insolvenz stehen, weil die Finanzen nicht ausreichen mit dem Ergebnis, dass die Gewerkschaften und auch die Beschäftigten bereit sind, Haustarifverträge einzugehen, und das halte ich auf Dauer nicht für aufrechterhaltbar. Es ist ganz absehbar, dass, wenn ein Schauspieler nur zwei- bis zweieinhalbtausend Euro im Monat verdient und dann nochmal auf 10 oder 15 oder 20% Lohn verzichtet, also das wird auch Auswirkungen darauf haben, welche Schauspieler bereit sind in diesem Land zu arbeiten. Und das wird sich unmittelbar auf die künstlerische Qualität auswirken."

Außerdem hätten die Theater ihre Potentiale noch immer nicht ausgeschöpft, so der Schweriner Kultusminister. Einerseits gebe es oft Parallelinszenierungen in einer Spielzeit. Andererseits:
"Wir haben hier vier Orchester in Mecklenburg-Vorpommern: zwei A- und zwei B-Orchester; Schleswig-Holstein leistet sich nach meiner Kenntnis zwei B-Orchester. Aber die Klangkörper sind so klein, dass sie gar nicht mehr die Regelgröße erreichen und wir können keine großen Dinge spielen. Es ist eine große Mahler-Sinfonie von keinem Theater, von keinem Orchester allein zu stemmen. Und deswegen gibt es die in der Regel hierzulande auch nicht. Das ist ein Verlust an Kultur, weil die Leute nach Hamburg oder Berlin fahren müssen, um so etwas zu erleben. Und ein Aspekt der Reform ist ja gerade, zum Beispiel im Osten die Orchester in Stralsund und Neubrandenburg so zusammenzuführen, dass man deutlich über hundert Musiker erreicht und eben wieder große Sinfonien spielen kann."
Theaterfundus in Greifswald
Fundus im Theater Greifswald© Deutschlandradio / Silke Hasselmann

Theaterleute und Besucher fahren kreuz und quer durchs Land

Dafür müssten die Musiker bereit sein, auch einmal in andere Städte zu fahren, sagt Minister Brodkorb. Doch am Theater Vorpommern tun sie das seit 1994. Damals taten sich die Mehrspartenhäuser Stralsund, Greifswald und Putbus zusammen. Seitdem sind die Greifswalder für Tanz und Schauspiel zuständig, die Stralsunder für Orchester und Oper. Was immer ein Standort produziert, wird auf allen drei Bühnen gezeigt.
Doch nicht nur die Künstler fahren viel. Auch Angelika und Alexander Urban aus Stralsund haben an diesem Märzabend eine gute halbe Autostunde zum Theater in Greifswald zurückgelegt. In der Premierenpause des Musicals "Blues Brothers" erinnern sich die Theaterliebhaber, wie sehr auch sie zunächst Kahlschlag und Kulturverlust befürchtet hatten. Doch längst hätten sie das weiterverzweigte Theater Vorpommern als ihres angenommen – zufrieden mit Angebot und Qualität.
Mann: "Und die Aufführung heute Abend beweist das auch wieder."

Frau: "Also ich finde gut, dass heute so viele junge Leute sind. Dass überhaupt auch mehr die jungen Leute wieder mehr ins Theater gehen."

Mann: "Wir gehen in Stralsund oft und gern ins Theater und kommen gelegentlich auch mal zur Premiere nach Greifswald - sowohl Schauspiel als auch Musiktheater. Das Theater Vorpommern hat ein ausgezeichnetes Ballettensemble, das auch schon mal für den Theaterpreis `Faust´ nominiert war. Wollen hoffen, dass es noch lange als Vielspartenhaus erhalten bleibt."

Abermalige Bühnenreform führt zum "Staatstheater Nordost"

Doch Einnahmen, Gehaltsverzicht und Zuschüsse reichen nicht mehr, um das pleitebedrohte Theater Vorpommern zu halten. Also stimmten die beteiligten Kommunen der Zielvereinbarung mit dem Land zu, nach der ihre Bühnen in zwei Jahren in einem noch größeren Verbund aufgehen sollen. Dass diverse lokale Bürgerinitiativen dieses "Staatstheater Nordost" kategorisch ablehnen, kann Intendant Dirk Löscher verstehen. Befeuert hat den Protest aber nie:
"Einerseits freut man sich als Intendant natürlich über jeden, der sich aus Empathie heraus für das Theater engagiert und sagt: Nein, wir möchten es so behalten, wie es ist. Man muss auf der anderen Seite aber sehen, dass es keine wirklich guten Vorschläge gibt, was die Alternative wäre. Denn auch wenn das touristisch sehr gemocht wird, die Gegend - das hat ja auch miteinander zu tun: Wir befinden uns eben nicht in einer Industriehochburg. Die Städte sind vergleichsweise klein und nicht so finanzstark, dass sie die Aufwüchse der Kosten aus eigenen Mitteln tragen könnten. Deswegen bin ich da in einer zwiespältigen Position. Das muss ich aushalten in der Hoffnung, dass mir abgenommen wird, dass es mir nicht um ein Weniger an Theater geht, sondern um die Rettung des Theaters."
Doch unter dem Dach eines künftigen "Staatstheaters Nordost" würden noch weniger Ensembles noch mehr Bühnen bespielen, und das bei Entfernungen von bis zu 160 km, klagt dieser Greifswalder Theaterfreund und meint:
"Deutlich abzulehnen, weil das wird ein großes Theater, das dann von Putbus bis Neustrelitz geht und das kann nicht funktionieren. Es gibt keine Identifikation mit den schauspielenden Menschen mehr. Es gibt keine Identifikation mit den Stücken, sondern das ist so Reisetheater. Das kommt und geht, aber man hat keine Verbindung damit."
Der Stralsunder Theaterliebhaber Alexander Urban hingegen will den dereinst angeheirateten Ensembles eine Chance geben:
"Abwechslung tut schon mal ganz gut und man freut sich, wenn man mal neue Darsteller und neue Sachen sieht, andere Inszenierungen. Wir hoffen bloß, dass es nicht so eine Entwicklungen nimmt wie in Rostock zurzeit. Da ist es ja noch etwas problematischer, wie es aussieht."
Tatsächlich führt Mecklenburg-Vorpommerns größte Stadt seit 25 Jahren ein Drama auf – absurd, intrigant, größenwahnsinnig, tragisch. Keine ostdeutsche Theaterstadt hat so viele Intendanten verschlissen wie Rostock, wo sich überdies seit zehn Jahren ein parteiloser Oberbürgermeister und eine notorisch zerstrittene Bürgerschaft auch über die Zukunft des krisengeschüttelten Theaters gern bekriegen.
Doch derzeit sind sich alle einig: Die Stadt und Intendant Sewan Latchinian müssen sich rasch trennen. Latchinian, der zur Spielzeit 2014/15 angetreten war, wollte partout keine Reform in Gang setzen, bei der zwei der vier Sparten nur noch in Kooperation mit anderen Häusern wie Schwerin existiert hätten. Mal bezeichnete Latchinian Landes- und Stadtpolitiker öffentlich als "Kulturbarbaren". Mal macht er in MV eine beginnende "Zerstörung funktionierender Theaterstrukturen im Namen des Geldes" aus - ähnlich der Zerstörung von Weltkultur-Erbestätten durch den Islamischen Staat.

Neuausrichtung in Rostock bleibt umstritten

Es folgten Entlassung, Wiedereinsetzung und wieder Streit um eine Neuausrichtung des Volkstheaters Rostock, das auch im vorigen Jahr von allen Mehrspartentheatern im Land die geringsten Zuschauerzahlen, die niedrigste Eigenfinanzierungsquote und die mit Abstand höchsten Ticketsubventionen aufwies. Wie auch anders, wenn die Politik uns nie in Ruhe arbeiten lässt, sagt Sewan Latchinian.
Ein Trauerspiel, zu dem sich derzeit niemand vom Volkstheater öffentlich äußern will. Die Künstler spielen, so gut es geht, und fragen sich, wer Sewan Latchinian wohl freiwillig auf den Schleudersessel in der Intendanz folgen mag. So weit hätte es nicht kommen müssen, meint Kultusminister Mathias Brodkorb. Denn überall im Land würden die Theater zukunftsfähig gemacht:
"Mit einer Ausnahme, und das ist die Hansestadt Rostock. Rostock ist ja der einzige Standort, der sich vehement der Idee verweigert hat, mit dem Land gemeinsam eine Reform zu machen, und in Rostock ist ja die Situation im Moment, dass das Haus ohne wirkliche künstlerische und kaufmännische Führung ist, weil beide - also der Intendant und der kaufmännische Geschäftsführer - krankgeschrieben sind. Und es gibt bis heute keinen endgültigen Beschluss des Gesellschafters über die Struktur. Insofern hätte es vielleicht auch in Rostock anders aussehen können, wenn die Bereitschaft bestanden hätte, das gemeinsam mit dem Land zu machen. Aber das war halt nicht gewollt."
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