Theaterkollektiv aus Kabul

Afghanisches Diskurstheater in Berlin

Azdar-Theaterkollektiv vor einem VW-Bus
Theaterkollektiv Azdar: "Weil das zeigen soll, wie menschlich Deutschland ist." © Promo
Von Gerd Brendel · 06.10.2017
Das Bühnenkollektiv Azdar kommt aus Afghanistan, wo Theater lebensgefährlich sein kann. Nun sind die Theatermacher aus dem gewaltgebeutelten Land in Deutschland und bringen schon ihr zweites Stück auf die Bühne: "Knigge in Kabul".
Vier Männer stehen auf der kleinen Bühne. Ihr Singsang im Stil afghanischer Märchenerzähler klingt wie aus 1001 Nacht. Aber das, was als Übersetzung über den Bildschirm flimmert, erzählt alles andere als eine märchenhafte Geschichte:
"Man hat uns gefragt, ob wir zusammen etwas machen wollen. Wir Afghanen mit dem deutschen Fritz da. Eigentlich wollte ich gar nichts machen. Ich kann das hier nicht und hatte keinen Bock."

"Wir" - das sind Mahfoz Nejrabi, Gulab Jan Bamik. Homan Wesa. Edris Fakhri und Sulaiman Sohrab Salem, Mitglieder der Theatergruppe Azdar aus Kabul.

Selbstmordanschlag der Taliban

Sulaiman, Drei-Tage-Bart, grimmiges Lächeln, Typ Bruce Willis, ist seit den Anfängen 2006 dabei.
"Wir haben König Ubu gespielt mit einem französischen Regisseur, der kleine Prinz mit einem Iraner, einen afghanischen Heldenmythos, Macbeth."
Im Dezember 2014 stand ein Stück auf dem Spielplan, das den alltäglichen Terror thematisieren sollte. Sulaimans Kollege Homan Wesa erinnert sich:
"Das Stück hieß: Die Stille nach dem Schuss, mit einem deutschen Regisseur und bei der Premiere verübten die Taliban einen Selbstmordanschlag im Zuschauerraum. Zwei Menschen starben."

Sulaiman Sohrab Salem ergänzt, was das für Konsequenzen für sie hatte:
"Nachdem die Taliban unser Theater bombardiert hat, tauchten unsere Namen und Fotos auf Todeslisten im Netz auf. Wieder in Afghanistan zu arbeiten, wäre für uns sehr, sehr schwierig."

Erste Einladung scheitert an Beamten

Das Kunstfest Weimar wollte die Schauspieler schon im letzten Jahr einladen. Aber erst jetzt, nach endlosem bürokratischen Hin und Her zwischen Deutschland und dem Generalkonsulat in Kabul konnten die Künstler einreisen. "Knigge in Kabul", das Stück, das an diesem Abend im Berliner "Heimathafen" Premiere feiert, ist eine Gemeinschaftsproduktion.
"Wir Afghanen und der deutsche Fritz", ertönt ein Singsang auf Dari. "Ich heiße nicht Fritz. Ich heiße Max", antwortet es ebenfalls im Singsang.
Der Deutsche Fritz, äh, Max Martens, führt Regie. Die Schauspieler spielen sich selbst.
Jana Papenbroock hat daraus einen Diskurs-Theatertext gemacht.
"Vieles sind tatsächlich Zitate der Schauspieler selbst, wie dieses ‚ich hab keinen Bock und so‘"
Die Schauspieler reflektieren ihre Rolle und was sie auf der Bühne eigentluch machen sollen.

"Wir sind gefragt worden, hier Theater zu spielen, weil das zeigen soll, wie menschlich Deutschland ist."
Martens ist noch nicht mit Homan Wesas deutscher Intonation zufrieden: "Hier sind wir Mensch. Hier kaufen wir ein." Die vier bleiben nicht bei Kapitalismus-Kritik stehen. Sulaiman Sohrab Salem berichtet wie ein weiteres Thema aufkam:
"Bei unseren Diskussionen kamen wir darauf, dass es großartig wäre, über die miserable Situation von Frauen in Afghanistan zu reden und klarzustellen, dass nicht alle Afghanen gegen Frauen sind."

Nur wie, wenn die Betroffenen nicht auf der Bühne stehen?
"Ich habe eine Idee", ruft Suliman Sohrab Salem auf der Bühne. "Wir werden zu Frauen."

Manche Gesten sind tabu

Und mit einem Mal werden die Schauspieler zu Puppenspielern und lassen vier Marionettenfrauen mit Kopftuch zu ihren Füßen tanzen. Die Jüngste von diesen lobt Popmusik als Motor der Emanzipation. Die Älteste widerspricht. Und schon sind wir mittendrin im Befreiungs-Diskurs.
Jana Papenbroock sagt:
"Es ist ein Stück für Berliner Publikum. Wir sind ja nicht in Kabul. Deshalb ist es ein Stück, dass das Publikum auch herausfordern soll. Sie fordern uns heraus und wir sie."
Die Herausforderung einen mit sehr deutschen und europäischen Referenzen von Knigge über Deleuze bis Alice Schwarzer gespickten Text aufzuführen, ohne lächerlich zu wirken, meistern die vier auf der Probe sehr komisch. Und umgekehrt?
Papenbroock und Martens mussten zum Beispiel lernen, dass bestimmte Gesten tabu sind, wie die Autorin berichtet:
"Ganz viele Dinge werden besprochen. Beispielsweise: Ist es okay sich auf die Brust zu hauen? Weil Idris ist Schiit und diese Geste hat was mit irgendeinem Fest zu tun. Wir lernen da jeden Tag dazu."

Dass sich beim Aschura-Fest Schiiten in Trauer um den Tod ihres Kalifen Hussein vor die Brust schlagen, wird Jana bis zur Premiere lernen. Und die vier Schauspieler aus Kabul? Hoffen, dass auf ihrer Gastspielreise mehr erleben, als oberflächliches "Gutmenschentheater". Was singen die vier noch mal in der ersten Szene?
"Aber sobald, nur einer von uns neben diesem Projekt hier einen Asylantrag stellt und nicht zurück will nach Afghanistan, ist das Gutmenschentheater schnell vorbei."
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