Theatergeschichte

Eine schwärmerisch-subjektive Bühnen-Revue

Die Bretter des Theaters - Quell für Geschichten
Die Bretter des Theaters - Quell für Geschichten © picture alliance / dpa / Angelika Warmuth
Von Edelgard Abenstein · 19.05.2014
Der Feuilleton-Chef des Tagesspiegel ist auf der Suche nach Aufführungen, die nicht "beschwichtigen, nicht belehren, sondern aufrühren". Anhand dieser, seiner Theatergängererinnerung erzählt er eine Geschichte des Theaters.
Gemeinhin rollen Historiker das europäische Theater von seinen Anfängen her auf. Von den alten Griechen, von Aischylos, Euripides und Sophokles, über Shakespeare und Moliere zu Schiller, Tschechow, Strindberg bis heute. Der Feuilletonchef des Berliner "Tagesspiegel", Rüdiger Schaper, unternimmt eine Rückschau in gegenläufiger Bewegung. Und er geht von den Fixsternen der Theaterregie aus, seinen erklärten Favoriten, den Arbeiten eines Christoph Schlingensief oder Dimiter Gotscheff. Zur Begründung bemüht er eine Geschichte von F. Sott Fitzgerald, in der ein Mensch als Greis auf die Welt kommt, um sich im Lauf seines Lebens immer weiter zu verjüngen bis zum Säugling. Diesem Benjamin-Button-Prinzip, meint Schaper, folge das Theater bis heute.
Auf der Suche nach Aufführungen, die nicht "beschwichtigen, nicht belehren, sondern aufrühren", reist er quer durch Europa und Amerika, nach Kabul, Israel und Windhuk. Dabei wettert er kräftig gegen den Originalitätswahn des mitteleuropäischen Theaters, das in seiner "Kunstfertigkeit" erstarrt sei. Oft erinnere es ihn an Kunstinstallationen. Wie in einem "Menschenzoo" durchlebten die "Figuren die kurze, kalte Existenz von Versuchstieren". Sogar Museen seien viel "lebensvoller" als Theater. Doch zum Glück besinnt sich Schaper immer wieder auf Erlebnisse, die ihn bewegt haben. Zu seinen Säulenheiligen gehören Robert Wilson, Einar Schleef, Jügen Gosch, Patrice Chéreau oder Heiner Müller.
Eine Geschichte des Theaters, wie der Untertitel behauptet, ist das Buch aber nicht. Auch keine Enzyklopädie, schon gar keine wissenschaftliche Abhandlung, obwohl es gelehrte Ausflüge in die Historie bietet, zu Palladios Theaterbauten in Vicenza etwa oder zu Paul Claudels theatralischen Exerzitien.
"Spektakel" liefert eine schwärmerisch-subjektive Revue durch Inszenierungen, die Rüdiger Schaper im Laufe seines 35-jährigen Kritikerlebens beeindruckt haben. Wer wie er Jürgen Goschs Tschechow-Produktionen am Deutschen Theater in Berlin gesehen hat oder Robert Wilsons "Death, Detroit und Destruction" an der alten Schaubühne, der dürfte sich über die Wiederbegegnung mit diesen Theatererlebnissen freuen. Aber auch Aufführungen in Kabul, denen kaum jemand hier zu Lande beigewohnt haben dürfte, werden glücklich und eindrucksvoll evoziert. Ebenso Darbietungen des Grips-Theaters in Namibia, einer Tanzkompanie in israelischen Kibbuzims und Passionsgeschichten in Oberammergau.
Assoziativ lässt sich Schaper von einem Kapitel zum anderen treiben, einiges wirkt zusammengeklaubt, auch aus seinen im Berliner "Tagessspiegel" gedruckten Kritiken; manches erscheint beliebig und allzu breit ausgepinselt.
Doch weil das Theater bekanntlich nur im Moment lebt und es sterblich ist wie die Menschen, die in ihm spielen, bietet dieser Parcours durch die Geschichte immer wieder schöne Momente. Dabei ist es egal, ob man nun an unwiederbringliche Theatererlebnisse erinnert wird oder aber bedauert, nicht dabei gewesen zu sein.

Rüdiger Schaper: Spektakel. Eine Geschichte des Theaters von Schlingensief bis Aischylos
Siedler Verlag, München 2014
352 Seiten, 24,99 Euro