Theater, das auf der Stelle tritt

Von Eberhard Spreng · 25.02.2010
Es ist erstaunlich, was Frank Castorf in der gegenwärtigen politischen Gemengelage alles nicht inszeniert: Keine Ekelrituale von Gebirgsjägercorps, keine Afghanistan-Entgleisungen, keine Abu-Ghraib-Skandale.
Er inszeniert das Stück von 1776, das fast ein Jahrhundert auf seine Uraufführung warten musste, fast geradlinig von Anfang bis Ende, unterbrochen nur durch die üblichen Songs und zudem einige Intermezzi der Sopranistin Ruth Rosenfeld, die ihre Gesänge aus der Klangwelt der neuen Musik mit tänzerischen Elementen verziert.

Aber die Marie, die kokette Tochter des Galanteriewarenhändlers aus den französischen Lille, die sich in einen adeligen Offizier verliebt, ihren Geliebten verliert und damit sich, ihre Familie und die beiden Rivalen ins Verderben stürzt, sie und alle anderen Figuren machen drei Stunden lang keine Entwicklung durch.

Ein Theater, das auf der Stelle tritt und dabei laut schreit und keift. Wenn der verratene Geliebte Stolzius seinen Nebenbuhler und sich selbst mit Gift in die Agonie verpflanzt hat, brüllt er (Mex Schlüpfer spielt ihn) mit wahnsinniger Verzweiflung "I did it my way" von Frank Sinatra, aber da ist längst klar, dass keine der Figuren in diesem frühen sozialrealistischen Stück je eine Chance hatte, irgendetwas auf eigene Art und Weise zu erleben.

Georg Büchner wird eine solche Dramaturgie im "Woyzeck" später zu einer pessimistischen Materialität des Menschseins verdichten. Castorf ist ein Freund solcher unverklärter Texte und deshalb schert er diesmal kaum zu relativierenden Kommentaren über den Stückeschreiber und dessen Lebenswelten aus.

An die diversen Gestelle für Kulissen, die zwischen den Szene hin und her geschoben werden, sind lose Tapetenbahnen nur eben angetackert und wer die Tür verpasst hat, kann hier auch einmal schnell durch die Wand laufen. Nur fadenscheinig also können die Menschen in dieser Aufführung der "Soldaten" ihre privaten Räume behaupten. Alles ist durchweht von kaltem Verrat. Einziger tragikomischer Gegenpol: Bärbel Bolle, die als Mutter Wesener mit stiller Resignation den Untergang ihrer Tochter verfolgt.