Tex Rubinowitz

"Witzig sein, das ist ganz leicht"

Der deutsche Schriftsteller Tex Rubinowitz, Gewinner des Ingeborg-Bachmann-Preises 2014, mit Blumenstrauß bei der Preisverleihung der 38. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt.
Der deutsche Schriftsteller Tex Rubinowitz, Gewinner des Ingeborg-Bachmann-Preises 2014, mit Blumenstrauß bei der Preisverleihung der 38. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. © picture alliance / dpa / Gert Eggenberger
07.07.2014
Zu Weiß gebe es auch immer Schwarz. Ihm sei es zu einfach, nur witzig zu sein, sagt der Schriftsteller Tex Rubinowitz. Es müsse in seiner Arbeit auch immer kleine Brüche geben, um so den Fokus auch auf das Elend zu richten.
Dieter Kassel: Tex Rubinowitz ist ein Cartoonist und Autor, der eigentlich aus Hannover stammt, da wurde er 1961 geboren, der aber schon seit über 30 Jahren in Wien lebt und von dort aus seit Jahren jeden Frühsommer nach Klagenfurt fährt. Er ist ein guter alter Bekannter auf den Bachmann-Lesetagen, aber er hat bisher noch nie am Wettbewerb teilgenommen bis dieses Jahr. Da hat er teilgenommen und mit seinem Text "Wir waren niemals hier" auch gleich gewonnen.
Direkt nach der Bekanntgabe des Preises ist Tex Rubinowitz zu meiner Kollegin Barbara Wahlster in unser Studio in Klagenfurt gegangen, hat sich mit ihm unterhalten. Bei einem Mann, der eigentlich jedes Jahr in Klagenfurt war und, wie erwähnt, noch nie so richtig mitgemacht hat, hat sie natürlich zum Einstieg gefragt, warum er sich denn diesmal überhaupt dem Wettbewerb gestellt hat.
Tex Rubinowitz: Vor einem halben Jahr hat mich eine Jurorin eben gefragt, ob ich nicht auch mal mitmachen möchte, ob ich das mir zutraue, ob in nicht einen Text hätte. Und dann habe ich mir eben diese Geschichte aus dem Hinterkopf herausgeholt, weil das ist ja alles auch ein bisschen biografisch.
Nicht nur ein bisschen, sondern sehr viel Biografisches auch dabei, und das ist so eine Last oder ein Knoten in mir, den ich schon die ganze Zeit mit mir herumschleppe und der nicht auf geht, dieser Knoten. Und dann habe ich gedacht, okay, jetzt schreibe ich das mal runter, mal schauen, ob der Knoten jetzt auf geht, und habe ihr das dann, der Jurorin, geschickt, und dann hat sie gesagt, ja, wir fahren nach Klagenfurt.
Barbara Wahlster: Ihre Geschichte - ich wollte Sie zunächst gar nicht mal so sehr auf dieser biografischen Ebene interpretieren, aber Ihre Geschichte spielt in den 80er-Jahren. Was liefert diese Zeit - Sie sind 1961 geboren, und viele, viele derjenigen, die hier antreten als Kandidatinnen und Kandidaten, sind deutlich jünger. Das heißt, die bringen ein ganz anderes Gepäck mit. Wie würde sich das aus Ihrer Sicht unterscheiden?
Rubinowitz: Na ja. Jeder Autor schreibt irgendwie über etwas ganz anderes. Inhaltlich, vom Stil her, vom Gestus her, von der Erscheinung. Wir sind alle verschieden, es gibt nichts, was gleich ist. Das geht gar nicht. Und so sind auch die Juroren, und die Urteile sind alle vollkommen verschieden, und das ist auch gut so. Und wenn ich jetzt ein Lokalkolorit aus den 80er-Jahren verwende, denke ich mal, das ist auch übertragbar auf heutige Zeit oder auf die 70er-Jahre oder auf die 60er-Jahre oder eben auf die 90er-Jahre. Das ist universell.
Wenn ich einen Namen nenne wie Righteous-Brothers oder Malcolm McLaren, die da in dem Text vorkommen - das sind nur Platzhalter für irgendwelche Sachen. Also die fanden dort statt, aber die finden heutzutage auch statt. Es gibt heute auch Lieder, die Zustände beschreiben, und das waren eben zwei Lieder, die einen Zustand beschrieben haben. Aber das sind Platzhalter, würde ich sagen.
Wahlster: Film kommt auch noch dazu. Das heißt, es gibt doch einen ganz großen Bereich von Kontextualisierung, von Erinnerung, der da stattfindet in dem Text.
"Es schadet nicht, das rauszugoogeln"
Rubinowitz: Ja, aber ich glaube, dass auch jemand Jüngerer das auch verstehen kann, weil er muss das jetzt nicht rausgoogeln, wie klingt dieses Lied jetzt, oder wie ist dieser Film. Man kann das schon - man kann damit auch assoziieren, worum es da eigentlich geht.
Man kann das auf zweierlei Seiten lesen. Man kann das als historische Geschichte lesen - wie war das damals, Mitte der 80er-Jahre. Man kann das aber auch eben als, wie gesagt, Platzhalter lesen. Das steht für etwas. Ich zitiere ja auch Songzeilen daraus, die dann damals wirklich stattgefunden haben. Aber sie sind umlegbar. Es ist - es schadet nicht, das rauszugoogeln, wie klingt das, aber es ist auch wurscht. Jetzt spreche ich schon österreichisch - wurscht!
Wahlster: Das wollten Sie eigentlich nie, haben Sie mir erzählt dieser Tage.
Rubinowitz: Ja, ja, ja, ja. Österreich hat so einen komischen Sog. Als ich '84 nach Wien kam - und in dem Text geht es ja auch da um diese Zeit - ich komme aus Norddeutschland, eigentlich aus Hannover, aber habe lange in Hamburg gelebt und in Lüneburg - und wir Deutsche sind hier in Österreich nicht gerne gesehen. Also, die Österreicher hassen uns und verachten uns. Und das war früher viel, viel schlimmer.
Früher waren sie viel, viel böser, siehe Thomas Bernhard. Dass Thomas Bernhard so aggressiv war und so böse war, oder Elfriede Jelinek oder Peter Handke, das kommt ja nicht von ungefähr. Und das gibt es in Deutschland, solche Wut, nicht. Und diese Wut geht nicht nur gegen Österreich, sondern auch ganz stark gegen den großen Bruder. Und früher - eine kleine Anekdote - früher war es richtig - nicht bei Strafe, aber fast bei Strafe - verboten, "Tschüs" zu sagen. Das wäre, wenn man zu jemandem "Tschüs" gesagt hätte - das kam wie ein Peitschenschlag, und die haben einen angeschaut, als ob man sie körperlich verletzt. Und heutzutage sagen alle "Tschüs", alle Generationen sagen "Tschüs". Durch die großen Sender, die nach Österreich strahlen, haben die Kinder das Idiom mitgenommen.
Und die Rache der Österreicher am "Tschüs", dass sie das "Tschüs" sagen müssen, das norddeutsche "Tschüs", und die Rache der Österreicher, dass sie "Tschüs" sagen müssen, ist: "das passt" - also ich sag das mal österreichisch - "baaßt, baaßt schoh!" Und das, das spüre ich jetzt, das kommt jetzt nach Deutschland, langsam, und die Österreicher reiben sich - bilde ich mir ein - reiben sich die Hände, dass sie jetzt endlich eine Rache haben, eine Sprachrache, dass die Deutschen jetzt auch "baaßt" sagen.
Wahlster: Jetzt gehen wir wieder zurück zu der Geschichte, weg von den deutsch-österreichischen Befindlichkeiten. Diese Geschichte erzählt ja erste Liebe, in den 80er-Jahren lokalisiert, das hatten wir schon gesagt eben. Es geht um diese Versuche, Nähe und Distanz gleichermaßen zu wollen und nicht hinzukriegen und auch zu vermeiden. Eine Litauerin und ein Student in Wien.
Es scheint keine nachträgliche Auflösung oder Überhöhung zu geben. Ihre Jurorin sagte: Rätsel bleiben Rätsel, eine wunderschöne und seltsame Liebesgeschichte nannte sie es, und eine irgendwie verschlafene und verschlungene Geschichte. Ich frage Sie: Ist es nicht eher doch die Verweigerung von Sinngebung? Selbst, wenn es darum kreist, sich eine Geschichte zu erzählen und nachzuerzählen, was da passiert ist, aber die Überhöhung in vielen Liebesgeschichten, in vielen Erinnerungsgeschichten, die fehlt ja doch sehr.
"Dann geht die Kamera unter das Gras"
Rubinowitz: Na ja, ich misstraue - also André Heller hat mal gesagt: "Misstraue der Idylle". Denn unter der Idylle - oder David Lynch ja auch - unter der Idylle sind kleine, dunkle Käfer oder ist dunkle Erde. In der dunklen Erde sind komische Dinge drin oder sind Knochen oder abgeschnittene Ohren und so weiter. Und mir ist es einfach zu einfach, einfach nur witzig zu sein oder einfach nur verliebt zu sein oder etwas Seriöses zu machen.
Es müssen immer kleine Brüche sein, um den Fokus zu richten auf das Elend, was da stattfindet oder eben auf die Idylle. Es gibt immer - zu weiß gibt es immer auch schwarz. Es geht nicht ohne. Und wenn ich etwas erzähle oder auch zeichne - auch meine Witze sind nicht wirklich witzig. Viele Leute sagen, das ist doch überhaupt nicht witzig. Soll es auch gar nicht sein. Also, weil witzig sein, das ist ganz leicht. Ich könnte jetzt ganz leicht eine witzige Geschichte machen, wo viele Leute lachen. Und bei meiner Geschichte haben sie am Anfang auch gelacht, weil sie dachten, he, da kommt so ein Außenseiter, der eigentlich aus der Witzbranche kommt, und jetzt haben wir was zu lachen.
Am Anfang haben sie gelacht, und zum Schluss ist es immer weniger geworden, und da haben sie gemerkt, das ist ja gar nicht so lustig, das ist eigentlich ganz grausam. Der schlägt da diese Frau, und es ist ganz eigenartig. Und dann verschwindet die, und die kann nichts essen und leckt an Batterien, und das ist alles ganz unheimlich.
Und das ist vielleicht ein bisschen David Lynch, "Blue Velvet". Also diese wunderschöne "Blue Velvet"-Szene am Anfang, wo der Mann den Rasen sprengt, und dann kriegt er einen Herzanfall und fällt um. Und dann geht die Kamera unter das Gras, und da unten sind dann so ganz komische, kleine schwarze Tiere, die so kämpfen und sich totfressen gegenseitig. Und das ist eigentlich, was mich fasziniert.
Kassel: Passt schon - der Cartoonist und Autor Tex Rubinowitz, der frisch gebackene Bachmann-Preisträger im Interview des Tages, hier bei Studio 9 im Deutschlandradio Kultur.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema