Teure Krebstherapie

Wieviel sind uns neue Medikamente wert?

Unter dem Mikroskop stark vergrößerte Brustkrebszellen
Das Gewebe eines Brustkrebsgeschwulst © epa Quintiles / Handout;
Von Uschi Götz · 09.08.2016
Bis zu 200.000 Euro kostet die Krebsimmuntherapie. Vor allem bei Lungenkrebs soll sie gut anschlagen. Aber welche Gesellschaft kann sich das leisten? Die Briten setzten bereits auf das Modell "Pay for performance" – bezahlt wird nur, wenn der Patient gesundet.
Hans-Peter Lipp, Chefapotheker an der Uniklinik Tübingen:
"Zulassungstechnisch erwarten wir alle drei Monate eine Erweiterung. Das ist das Nierenzellkarzinom, das ist das Harnblasenkarzinom, sind verschiedene Formen des Lungenkarzinoms. Man muss fairerweise zur Kenntnis nehmen, dass Patienten eine Perspektive gegeben werden kann, die sie mit den bisherigen Formen so nicht angeboten hätten bekommen können."
Allerdings findet Lipp die Preisgestaltung der Medikamentenhersteller nicht grundsätzlich unethisch oder gar obszön, wie seine Kollegen:
"Man hat auch ein unternehmerisches Risiko, auch die neuen Produkte können in ihrem Lebenszyklus nicht davon ausgehen, dass sie Monopolisten für die nächsten fünf Jahre sind, es gibt weitere Wettbewerber, die an diesem Markt teilhaben. Und was uns natürlich alle bedrückt, dass eben die Gegenfinanzierung nicht durch die Privatwirtschaft, sondern durch das Solidarsystem erfolgt, was logischerweise zu Spannungen führt."
Ein Beispiel: Etwa 50.000 Raucher erkranken jährlich deutschlandweit an Lungenkrebs. Bei dieser Krebsart soll die neue Immuntherapie besonders gut anschlagen. Pro Therapiezyklus sind allerdings mit mindestens mit 100.000 Euro zu rechnen. Politik und Pharmaindustrie müssen nach vernünftigen Lösungen suchen, fordern Mediziner wie der Direktor der Tübinger Hautklinik, Prof. Martin Röcken:
"Das Problem liegt darin, dass auf der eine Seite die Pharmaindustrie die Patente hat. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber darüber im Klaren sein, dass die Pharmaindustrie dieses Rechte nur deswegen hat, die Fähigkeiten, diese Therapien nur deswegen bestehen, weil die Gemeinschaft und zwar der Steuerzahler, die Forschung in den USA, in Asien und in Europa, über Jahrzehnte gezahlt hat."

Hersteller bestimmen die Preise

Auch in der Tübinger Hautkliniken sind einige Studien gelaufen, die am Ende maßgeblich zu dem Forschungsergebnis beigetragen haben, die nun in Form neuer Medikamente zur Verfügung stehen:
"Die Entwicklung der Immuntherapien kam aus der Beobachtung, dass Patienten mit Melanom unter dieser Therapie erstmalig eine Rückbildung oder Stabilisierung von Melanomen und Metastasen hatten und zwar signifikant. Bei Immuntherapien geht man davon aus, dass die Patienten mindestens zwei Jahre behandelt werden müssen, die Daten sind noch nicht endgültig, so stimmt es, dass die minimalen Kosten pro Patient, mit einem fortgeschrittenen Tumor bei etwa 200.000 Euro liegen dürften. Welche Gesellschaft kann sich das leisten?"
Die Preise bestimmen die Hersteller. Ärzte und Patienten haben als Gegenwert den Nutzen des Medikaments und dieser berechnet sich vor allem im Fall von Krebspatienten an der Frage: Wie lange lebt der Patient durch die Gabe dieses Medikaments länger. Prof. Lipp, Chefapotheker an der Universitätsklinik Tübingen:
"Mit der Chemotherapie waren bestimmte Möglichkeiten zwar darstellbar, aber wir haben in den verschiedenen Tumoridentitäten natürlich die Perspektive, dass die Patienten wahrscheinlich eine Lebensverlängerung von einem Jahr oder mehr im Durchschnitt erreichen können. Das heißt faktisch, dass wir natürlich in absehbarer Zeit mit einer Verdoppelung, mit einer Verdreifachung der bisher bekannten Umsatzzahlen beim Melanom rechnen können, was uns natürlich ökonomisch herausfordert."

Keine europäische Lösung

Doch wie geht man mit der ökonomischen Herausforderung um? In Deutschland wird darüber diskutiert, ob es auch künftig in der Medizin so etwas wie "Pay for perfomance" geben kann. Das bedeutet, es wird nur bezahlt, wenn ein Medikament auch wirkt. Schlägt ein Medikament nicht an oder verstirbt gar der Patient, geht das Pharmaunternehmen leer aus. Europaweit gibt es in diesem Bereich keine einheitlichen Regelungen. Großbritannien etwa hat sich für "Pay for perfomance" entschieden, auch gibt es für Großbritannien für bestimmte Therapieformen eine Lebensaltersgrenze.
"Was in Deutschland unter ethischen Gesichtspunkten so in keinem Fall realisierbar wäre. Andere Länder in Europa, die auch nicht über die volkswirtschaftliche Kraft verfügen, können sich bestimmte Therapien überhaupt nicht leisten. Daraus einen Durchschnitt zu formulieren, hielte ich nicht nur, weil es rechtlich nicht möglich ist, sondern auch politisch für falsch."
So Annette Widmann-Mauz, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit. Eine europäische Lösung wird es im Fall der Preispolitik der Pharmaindustrie jedenfalls nicht geben.
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