Teufelsaustreibung im Reliquienkiosk

Von Ludger Fittkau · 14.04.2012
Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier - das sind nicht nur Hunderttausende, die an der Mosel entlang zu einem angeblichen Gewand von Jesus Christus pilgern. Dazu gehört auch die provokative Ausstellung "Reliquie - Fetisch in Kirche, Kunst und Konsum" im alternativen Kulturzentrum Tuchfabrik.
Zunächst einmal ist es gut, dass die Ausstellung überhaupt stattfindet. Denn sie war kurz vor der Absage. Zwei lokale Trierer Stiftungen hatten ihre Förderzusage nämlich zurückgenommen, als klar wurde, dass auch zornige Kirchenkritiker zu den Künstlern gehören würden. Für Teneka Beckers, Geschäftsführerin des Veranstalters, des alternativen Kulturzentrums "Tuchfabrik" in Trier war das ein klarer Versuch politischer Zensur:

"Ja, ich denke schon, dass das so ist. Es wurde uns gesagt, es waren grundsätzliche Überlegungen, warum Fördergelder nicht geflossen sind. Es hieß auch, dass man die Ausstellung als nicht förderungswürdig befunden hätte. Wenn man aber gewusst hätte, dass die Kirche sie im Programm hat, in ihrem Wallfahrtsprogramm, dann hätte man es sich anders überlegt."

Im Wallfahrtsprogramm ist die Ausstellung zwar immer noch. Weil aber auch die kirchenkritische Giordano-Bruno-Stiftung mitmacht, will das Bistum Trier sie nun nicht mehr bewerben. Dafür muss man letztlich vielleicht sogar Verständnis haben, denn die Ausstellung mit 70 beteiligten Künstlern geht ziemlich respektlos mit der weihrauchgeschwängerten Wallfahrtsluft von Trier um. Und sie ist von einer Protestantin zusammengestellt worden, und das ist gut so. Denn Christina Biundu hat genug Distanz zu Reliquien- und Fetischkulten, um mit kaltem ethologischem Blick auf die Rituale der Tuch- und Knochenanbetungen zu schauen. Und auch darauf, dass in der von Männern dominierten katholischen Kirche bei der Wallfahrt erstaunlich viele Frauen zu sehen sind.

Gerade deshalb hat sie die Aachener Künstlerin Petra Deta-Weidemann gebeten, drei Werke zur Trierer Ausstellung beizusteuern. Frauen stehen auf einem der Gemälde wartend vor einem Ladenlokal, dessen Rollläden herunter gelassen sind. Eine triste Szenerie, die für Christina Biundu das Verhältnis der männlichen Kirchenhierarchie zu den gläubigen Frauen, die gerade in einer Wallfahrt das "Fußvolk" verkörpern, auf den Punkt bringt. Ein feministisches Statement:

"Der geschlossene Laden symbolisiert sozusagen den Glauben, die Kirche, die Wallfahrt, das was in dieser Gesellschaft passiert. Und die Damen stehen gut gekleidet immer noch davor und warten auf Einlass.( ... ) Sehe das Ganze mit Erstaunen. Sehe es mir von Außen wirklich mit Erstaunen an, wie viele emanzipierte Frauen oder im Berufsleben stehende emanzipierte Frauen sich in dieser katholischen Kirche utilitarisieren lassen auf diese Rolle des Davorstehens. Aber wie gesagt, ich spüre das nicht. Ich bin nicht katholisch. Und diese nüchterne Arbeit hier ist natürlich meinem Glauben sehr viel näher als dieses opulente Wallfahrts- und Reliquiengetue, was hier abgeht."

Doch auch Opulentes und geradezu Karnevaleskes von prominenten Künstlern bietet die Ausstellung: Einen Reliquienkiosk und Rauminstallationen mit einer Vielzahl ironischer oder bissiger Statements zu den Tuch- und Knochenanbetungsritualen, die nicht nur in Trier seit Jahrhunderten gepflegt werden. Eine eigens eingerichtete, abgedunkelte Wallfahrtskapelle, die so vollgepfropft mit Gemälden und Skulpturen ist, dass man im schummrigen Licht die Originalwerke von Joseph Beuys schnell man übersehen kann. Klaus Staeck hat in einer eigens für Trier geschaffenen Plakattrilogie den Bogen von der mittelalterlichen Reliquie zu den Guantanamo -Häftlingen geschlagen, deren orangenes Gewand tatsächlich dem im Trierer Dom ausgestellten angeblichen Untergewand des Jesus Christus verblüffend ähnelt. Der Düsseldorfer Karikaturist Jacques Tilly, bekannt vor allem als Wagenbauer seines heimatlichen Rosenmontageszuges, lässt die Gehirne christlicher und muslimischer Wallfahrer in Waschmaschinen verschwinden, während die Pilger mit geöffneten Schädeln in katholischer Kathedrale oder Moschee beim Gebet hocken. Dann fällt der Blick auf einen zunächst unscheinbaren Rosenkranz, den man sich genauer anschauen sollte, so Kuratorin Christina Biundu:

"Wenn man näher rangeht, ist der Rosenkranz nicht aus den traditionellen Perlen oder Kreuzen gestaltet, sondern es sind eben Penisse. Es ist eine Tonarbeit, die hier schon sehr, sehr viel Aufsehen erregt hat. Problematisiert wortlos die Problematik der katholischen Kirche, die natürlich in der Wallfahrt nicht gerne gehört wird. Der Bischof hier ist ja auch der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Kirche und steht überall in der Kritik für seine Arbeit, die er leistet."

Einer der Höhepunkt der Ausstellung: Der Reliquienkiosk von Anja Schindler. Braune Senfgläser werden hier mit der Aufschrift "Der heilige Stuhl" verkauft, Fläschchen mit klarem Schnaps als "heiliger Geist". Die puppenkleid-große Nachbildung des heiligen Rockes wird an einen Metallring gehängt und in Plastik eingeschweißt als "Rock am Ring" angeboten - ein satirischer Hinweis auf das alljährliche größte deutsche Rockfestival an der Autorennbahn in der nahegelegenen Eifel. Wasser-blau ist die Farbe der meisten Kistchen und Schachteln, in denen die Reliquien drapiert sind. Christina Biundu:

"Der Teufel kann nämlich durch das Blau nicht ins Fenster einsteigen. Ja, das ist die Idee, warum die Fenster im Süden immer blau gestrichen sind. Der Teufel kommt durch Blau nicht durch."

Nicht nur diese Teufelsaustreibung im Reliquienkiosk macht die Alternativ-Schau zur Heilig-Rock-Wallfahrt unbedingt sehenswert - vor allem für Freunde gewitzter Kirchenkritik.
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