Terrorismusexperte Thamm erwartet lang anhaltende Folgen des Irak-Kriegs

Moderation: Eckhardt Roelcke · 09.09.2005
Der Kriminalitätsforscher und Autor des Buches "Al Qaida – Netzwerk des Terrors" Berndt Georg Thamm rechnet mit über Generationen andauernden Folgen des Irak-Kriegs. Die US-Operation "Enduring Freedom" sei ein Langzeitprojekt und werde über Jahrzehnte erhalten bleiben, sagte Thamm.
Roelcke: "Al Quaida - Netzwerk des Terrors", das ist der Titel eines Buches, das gerade erschienen ist. Geschrieben hat das Buch Berndt Georg Thamm. Er ist Kriminalitätsforscher und hat sich intensiv mit dem islamischen Terrorismus beschäftigt. Guten Morgen Herr Thamm.

Thamm: Guten Morgen.

Roelcke: Am 11. September jähren sich die Anschläge in den USA zum vierten Mal. Wenige Wochen später haben die Amerikaner mit ihren Verbündeten den Kampf gegen den Terror begonnen. Wie erfolgreich war denn dieser Kampf bisher?

Thamm: Nun, er hat zumindest die Dimension dessen aufgezeigt, mit dem sich die Völkergemeinschaft auf sehr lange Zeit einlassen muss und er hat Gefahrenbilder verdeutlicht, die eben nicht nur geographisch weit entfernt am Hindukusch oder in anderen Regionen des Gebietes des Islams uns erwachsen sind, sondern die mittlerweile mitten in unsere Städte gekommen sind und nicht zuletzt, um das nur zu verdeutlichen, hat das beispielsweise vor nicht allzu langer Zeit die Ermordung des niederländischen Regisseurs van Gogh deutlich gemacht, in Amsterdam, dass da etwas erwachsen ist, was mittlerweile globaler Natur ist. Letztendlich ist dann dieser Krieg, den Sie angesprochen haben, die bis heute andauernde Operation "Enduring Freedom", ein Langzeitprojekt, was nicht nur über Legislaturperioden, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach über Jahrzehnte und länger der gesamten Völkergemeinschaft erhalten bleibt.

Roelcke: Sie haben gesagt, der Krieg hat die Dimensionen aufgezeigt und die Gefahrenbilder aufgezeigt. Hat er die Gefahrenbilder vielleicht auch verstärkt?

Thamm: Was den Irak-Krieg betrifft ganz bestimmt, und es hat ja auch vor Beginn des dritten Golfkrieges genug warnende Stimmen gegeben, die darauf hingewiesen haben, dass ein neues "battlefield" des Dschihad dadurch eigentlich kreiert wird und die vergangene Zeit, insbesondere der Krieg nach dem Kriege hat ja sehr deutlich gemacht, auch was das so genannte Konzept des Dschihad-Terroristen Abu Mussab al Sarkawi deutlich werden lässt, dass regelrecht versucht wird, einen Bürgerkrieg zu provozieren, insbesondere religiöser Natur, das heißt Sunniten gegen Schiiten, aber auch die ethnischen Minoritäten werden letztendlich durch provozierte Terrorakte gegeneinander aufgehetzt und die Situation im Irak heute ist die, dass es eine Art zweites Afghanistan geworden ist und der Dschihad-Terrorismus sich leider durch den Irakkrieg delektiert. Ganz kurz dazu: das Al-Quaida-Netzwerk, beziehungsweise die Al-Quaida-Bewegung ist die Folge des Afghanistankrieges gewesen. Das wissen wir heute. Die Kriegsfolgen des Irakkrieges sind heute noch nicht mal absehbar. Was wir wissen ist allerdings, dass es heute einen enormen, gefährlichen, mit globalen Ausmaßen versehenen Dschihad terroristischer Natur gibt.

Roelcke: Lassen Sie uns über das Verhältnis des Westens zum Islam sprechen. Wir haben es gerade in den Nachrichten gehört, der ehemalige amerikanische Außenminister Powell hat sich gerade von seiner berühmten Rede vor dem UN-Sicherheitsrat distanziert. Im NBC sagte er, er fühle sich furchtbar wegen seiner Argumentation, die sich später als unhaltbar herausgestellt habe. Powell hatte damals die Vereinten Nationen über die angeblich existierenden irakischen Massenvernichtungswaffen und die daraus resultierende Bedrohung der Welt durch das Regime von Saddam Hussein informiert und dies, so Powell, sei ein Schandfleck in seiner Karriere. Herr Thamm, wie viel Glaubwürdigkeit haben denn die USA, hat die westliche Welt durch diese Rede, durch diesen Irak-Krieg in der islamischen Welt verloren?

Thamm: Sehr viel. Allerdings muss man dazu sagen, dass die westliche Welt und insbesondere die USA, die ja vom damaligen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini als großer Satan bezeichnet wurde, auch schon vorher über zig Jahre an Gesicht verloren hatte und wurde ja letztendlich als Feind geführt. Also das, was passiert ist im Vorfeld des Irak-Krieges ist sozusagen eine Fortschreibung gewesen des Bildes, was man ohnehin vom Westen hatte und das ist natürlich von Al-Quaida-Ideologen, aber auch von anderen gewalttätigen, islamistischen Strömungen ausgenutzt worden, um letztendlich eine globale Solidarität der islamischen Gemeinschaft einzufordern. Schon im zweiten Golfkrieg hatte ja Saddam Hussein, also nach dem Überfall auf Kuwait und als dann die Operation "Desert Storm" mit Schwarzkopf et cetera den zweiten Golfkrieg einleitet, hatte er ja sozusagen schon zum heiligen Krieg gerufen und eigentlich Solidarität der islamischen Glaubenbrüder eingefordert.

Roelcke: Das heißt, der Krieg gegen den Terror ist ein Krieg gegen den heiligen Krieg?

Thamm: Nein, der Islam hat ja ganz klare Vorstellungen. Es gibt den so genannten großen Dschihad, der eigentlich den Menschen selber betrifft, um mit sich ins Reine zu kommen. Es gibt den kleinen Dschihad und dieser kleine Dschihad, das ist eigentlich die militärische Komponente, das heißt übersetzt im weitesten Sinne, wenn ein Gebiet des Islam militärisch angegriffen, oder okkupiert wird, erst recht von Ungläubigen, dann ist es die Pflicht der Muslime, das Gebiet des Islam zu verteidigen. Dieser Tatbestand war seiner Zeit Ende 1979 gegeben, als die "Gottlosen", die 40. Armee der Sowjetunion in Afghanistan einmarschierte.

Roelcke: Warum ist das Netzwerk des Terrors so schwer zu bekämpfen?

Thamm: Einmal sind Netzwerke ohnehin sehr viel schwerer zu bekämpfen, verglichen mit klar geographisch lokalisierbaren und definierbaren Organisationen.

Roelcke: Hat das was mit Globalisierung zu tun?

Thamm: Es hat ganz zweifelsohne mit Globalisierung zu tun, denn aus einer ursprünglichen, islamistischen, militärischen Organisation, Namens Al Quaida, die ihre hohe Zeit in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in Afghanistan hatte - einen sicher Hafern zur Zeit der Taliban-Herrschaft - ist innerhalb weniger Jahre eine globale Bewegung entstanden. Das heißt, Al Quaida findet heute in vielen Köpfen statt. Es gibt unendlich viele Gruppen und auch Einzelkämpfer, die sich zu einer Tat verabreden, zusammenschließen und zu einer Zelle, um dann die Tat zu begehen und hinterher wieder aufzulösen so genannte (…) die den Gedanken der Al Quaida, das heißt letztendlich als Fernziel die Errichtung eines globalen islamischen Gottesreiches...

Roelcke: ...einer Weltherrschaft...

Thamm: ...wenn man so will, einer Weltherrschaft und da kann man noch drüber streiten, aber der Weg dahin, das heißt die Realisierung, da gibt es Gruppen und dazu zählt letztendlich das Netzwerk, diese Art des Netzwerkes, die das mit dem Schwert in der Hand versucht, die nicht politisch darum kämpft oder den Dialog sucht, sondern die ganz klar den bewaffneten Dschihad sucht. Und die Hardliner darunter lehnen auch jeden Dialog ab. Es gibt, was diese harte Kerngruppe betrifft der Jihadisten keine Dialogbereitschaft mit dem Westen. Jeder, der dieses Ziel ablehnt und auch die Realisierung dieses Zieles, wird von dieser Gruppe als Feind des Islam identifiziert und darf bekämpft werden, muss bekämpft werden.

Roelcke: Stichwort "Dialogbereitschaft": Was mich bei der Lektüre Ihres Buches gewundert hat, Sie erwähnen das Lager in Guantanamo nicht und auch nicht die Gewaltexzesse der amerikanischen Soldaten gegenüber islamischen, islamistischen Gefangenen. Welche Rolle spielen denn beim Kampf gegen den Terror rechtsstaatliche Prinzipien?

Thamm: Das ist eine einfache Frage, die sehr schwierig zu beantworten ist.

Roelcke: ...innerhalb eines Rechtsstaates?

Thamm: ...innerhalb eines Rechtsstaates - das ist die gleiche Fragestellung - welche Möglichkeiten wir als demokratische Rechtsstaaten haben, effektiv organisiertes Verbrechen bekämpfen zu können.

Roelcke: Das ist doch aber ein ganz entscheidender Kern.
Thamm: Das ist ein ganz entscheidender Kern, da haben Sie völlig Recht. Ich bin in meinem Buch im ersten Teil darauf eingegangen. Es ist eine endlose Kette aus Sicht nicht weniger Muslime und erst Recht der Hardliner und der Dschihadisten, die sich sozusagen vom Westen her diskreditiert, verraten, verkauft, drangsaliert fühlen. Das fängt mit den Kreuzzügen an, zieht sich über die Zerschlagung des letzten islamischen Großreiches, des Osmanischen Reiches hin. Die Verabschiedung vom Kalifat durch die Türkei 1924 und zieht sich hin bis in den dritten Golfkrieg und in dem Zusammenhang die von Ihnen erwähnten Dinge, die dort passiert sind, Abu Ghraib, Lager Guantánamo, ist ja nicht das Einzige. Es ist ein halbes Duzend dieser Internierungslager, die letztendlich unterhalten werden. Die Spielregeln im Terrorkampf und Anti-Terrorkampf müssen neu definiert werden. Wir haben mit einer Bedrohung auch der Völkergemeinschaft zu tun...

Roelcke: Entschuldigung, "Die Spielregeln müssen neu definiert werden", das Völkerrecht muss neu definiert werden?

Thamm: Nicht unbedingt. Wir haben die Situation, dass wir zum ersten mal mit einer globalen Bedrohung zu tun haben, die nicht einzig und allein eine polizeiliche Aufgabe darstellt, sondern wo sämtliche Schutzorgane gefordert sind. Streitkräfte, Nachrichtendienste, und es muss diskutiert werden, wie das Gegenüber effektiver bekämpft werden kann, ohne dass Grundpositionen der Bekämpfer aufgegeben werden.

Roelcke: Klare Worte. Berndt Georg Thamm im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ihr Buch Al Quaida, das Netzwerk des Terrors ist bei Diederichs erschienen. Gestern hatte wir das Buch auch im Radiofeuilleton schon vorgestellt. Einzelheiten im Internet: www.dradio.de. Herr Thamm, vielen Dank.