Telemedizin in der Schweiz

"Ärztliche Onlineberatung rund um die Uhr"

Eine Ärztin kommuniziert in ihrer Praxis über Webcam mit einem Patienten.
Eine Ärztin kommuniziert in ihrer Praxis über Webcam mit einem Patienten. © imago/Jochen Tack
Andréa Belliger im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 07.05.2018
Rezepte, Überweisungen, Impfberatung: In der Schweiz müsse man nicht wochenlang auf einen Arzttermin warten, berichtet Andréa Belliger vom Schweizer Institut für Kommunikation und Führung. Dort werde rund um die Uhr eine haus- oder fachärztliche Onlineberatung angeboten.
Stephan Karkowsky: Morgen beginnt in Erfurt der 121. Deutsche Ärztetag, also die jährliche Hauptversammlung der Bundesärztekammer. Schwerpunkt diesmal: die Digitalmedizin. Das kann zunächst mal alles Mögliche sein, zum Beispiel die Möglichkeit, online einen Termin zu vereinbaren, aber auch ein smartes Pflaster, das meldet dann Arzt und Patienten selbstständig den Fortschritt bei der Wundheilung – was es nicht alles schon gibt. Auch auf der Digitalkonferenz Republica in Berlin war die Digitalmedizin Thema. Dort sprach darüber Professor Doktor Andréa Belliger vom Schweizer Institut für Kommunikation und Führung. Frau Belliger, guten Morgen!
Andréa Belliger: Guten Morgen!
Karkowsky: Ein Bereich der Digitalmedizin ist die sogenannte Telemedizin, also die Behandlung per Videokonferenz. Gerade hat die Ärztevereinigung Marburger Bund gesagt, wir müssen die endlich ausweiten in Deutschland. Wie gehen denn eigentlich die Schweizer damit um?
Belliger: Also das Thema Fernbehandlung oder Telemedizin kennen wir in der Schweiz eigentlich schon, würde ich sagen, seit den 90er-Jahren. Aber so die neuere Form, die Digitalmedizin, also Apps, Videokonsultationen oder, was weiß ich, Einsatz von Künstlicher Intelligenz – Sie haben smarte Pflaster erwähnt – eigentlich erst seit Kurzem. Bei uns haben wir die Krankenversicherungen, die ganz stark in diesen Bereich eingestiegen sind. Sie bieten Versicherungsmodelle, bei denen solche Fernbehandlungen oder telemedizinischen Dienstleistungen erster Kontaktpunkt von Ärzten und Patienten sind. Das ist interessant, denke ich, weil …
Karkowsky: Was hat das denn für Vorteile? In Deutschland gilt ja bislang noch das sogenannte Fernbehandlungsverbot, also Ärzte dürfen ihre Patienten nur dann per Videosprechstunde beraten, wenn sie den Patienten kennen und zuvor persönlich gesehen haben.

Schweiz: Medizinische Onlineberatung rund um die Uhr

Belliger: Ja, in der Schweiz ist es interessant, insbesondere für Versicherte, weil diese Versorgungsmodelle, die im Bereich von Managed Care angesiedelt sind, eigentlich die Versorgungskanäle rund um die Uhr anbieten, und Bürgerinnen und Bürger profitieren von Versicherungsmodellen, die einen tieferen Prämiensatz vorsehen.
Karkowsky: Das heißt, ich muss also nicht wochenlang auf einen Arzttermin warten, sondern ich kriege per Computer sofort einen Platz, eine Beratung angeboten?
Belliger: Ja, genau, eine Onlineberatung, und zwar rund um die Uhr, wann immer Sie es brauchen. Vom Grundversorger, vom Hausarzt, oder eben auch von Fachspezialisten.
Karkowsky: Über die Aufhebung des Fernbehandlungsverbotes in Deutschland will diese Woche der Ärztetag abstimmen. Der Marburger Bund, wie gesagt, hat gesagt 'Das muss weg'. Verstehen Sie denn die Bedenken, die noch immer viele Ärzte hegen gegen die Idee, Patienten zu behandeln, die nicht bei Ihnen vor Ort in der Praxis sitzen?
Belliger: Ich verstehe es nur teilweise. Ich glaube, im Moment ist wirklich die Zeit reif, und ich glaube, das ursprüngliche Verbot, das stammt aus den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das war eine ganz andere Situation. Wir haben heute 2018, und diverse Technologien wie die Mobiltechnologie, die bei Fernbehandlung eingesetzt ist, die hat einen hohen Reifegrad erreicht, nicht nur einen technologischen Reifegrad, sondern eine gesellschaftliche Akzeptanz. Das heißt, wir kommunizieren ganz selbstverständlich über Smartphones und so weiter. Ich glaube, auf Seite der Bürgerinnen und Bürger ist es heute irgendwie komisch, dass ich den Termin beim Friseur online buchen kann, aber den Arzttermin zum Beispiel nicht. Die Bedenken vielleicht von Ärzteseite, dass man den Patienten nicht sieht, das verstehe ich bis zu einem gewissen Grad, aber wir können über heutige Technologien, also bildgebende Verfahren zum Beispiel, ganz viele Dinge bereits erledigen auf diesem Kanal.
Karkowsky: Auf welchen Anwendungsgebieten macht denn die Telemedizin aus Ihrer Sicht Sinn? Das können ja dann wahrscheinlich nicht die schwersten Krankheiten sein, oder?
Belliger: Es geht in der Regel um Erstbehandlungen, um Triage, um zu schauen, ist es eine schwere Erkrankung, lässt sie sich vielleicht bereits zu Hause abfangen mit Hausmitteln, ist hier die Apotheke gefordert, muss jemand zur Apotheke, braucht es ein Rezept, oder ist es tatsächlich ein Fall, den ich online lösen kann, oder muss ich diese Person weiterverweisen an einen Facharzt. Also, was ansteht, sind Dinge wie E-Rezepte, Rezepte ausstellen und verlängern. Dazu muss ich nicht zwingend in eine Arztpraxis gehen, Arztzeugnisse, Überweisungen, Bildbefundung. Was auch ganz interessant ist, sind Dinge wie Impf- und Reiseberatung.

"... dass es eigentlich im Kern nicht um Technologie geht"

Karkowsky: Auch die elektronische Gesundheitskarte gehört zur Digitalmedizin im weitesten Sinne, und da hat ja gerade Bundesgesundheitsminister Spahn einen Zweifel geäußert am Nutzen dieser Karte. Er sagt, dass die Entwicklung in 14 Jahren in Deutschland nicht über Modellprojekte hinausgekommen sei, das sei völlig inakzeptabel, das sagt er in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Wie läuft denn das in der Schweiz?
Belliger: Ehrlich gesagt, arbeiten wir jetzt auch seit zehn Jahren an diesem Projekt. Wir nennen das elektronisches Patientendossier. Wir haben ein Gesetz, und sind jetzt in die Phase der Umsetzung gekommen. Es ist natürlich schon so, wenn man bedenkt, was wir auf der technologischen Ebene an Entwicklungen gesehen haben in anderen Lebensbereichen, dann ist es einfach schwer vorstellbar, dass ein Thema wie die Gesundheitskarte oder das elektronische Patientendossier noch keinen Schritt weiter ist. Das verweist aber auf ein grundlegendes Problem im Gesundheitswesen, denke ich, dass es eigentlich nicht im Kern um Technologie geht, sondern um das Vernetzen der unterschiedlichsten Kulturen, und da tun wir uns unglaublich schwer.
Karkowsky: Was glauben Sie, wie lange wird es noch dauern, bis unser Gespräch heute ins Museum darf, weil die Digitalmedizin längst Alltag geworden ist für Ärzte und Patienten in Deutschland?
Belliger: Ich glaube, es wird sehr schnell gehen. Wir spüren jetzt schon auch auf Ärzteseite, auf Leistungserbringerseite, dass etwas in Bewegung kommt. Wir sehen Kassen, wie die TK zum Beispiel, die diese Dinge, die Gesundheitskarte, an die eigene Hand nimmt. Also ganz viele Akteure setzen sich in Bewegung, und das wird das Gesamtsystem früher oder später, und ich glaube eher früher, dazu bringen, sich ebenfalls zu bewegen.
Karkowsky: Über die Zukunft der Digitalmedizin vor dem Deutschen Ärztetag. Professor Andréa Belliger von Schweizer Institut für Kommunikation und Führung, besten Dank!
Belliger: Besten Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema