Telemedizin

Ersetzen Online-Sprechstunden den Arztbesuch?

Patient und Arzt kommunizieren via Internet
Patient und Arzt kommunizieren via Internet © picture alliance / dpa / Alina Novopashina
Von Tonia Koch · 15.02.2016
Via Telemedizin könnten Fachärzte zum Beispiel Patienten auf dem Land einfacher betreuen. Hofft unter anderem die Techniker Krankenkasse und testet Online-Sprechstunden. Unsere Reporterin hat das Angebot ausprobiert und zweifelt an dessen Sinn.
Dr. Ralph von Kiedrowski sitzt in seinem Sprechzimmer, ich in meinem Büro. Zehn Sekunden dauert es, dann steht die Verbindung. Das Bild des Arztes klappt auf meinem Rechner auf. Was mir denn fehle, will ich von ihm wissen.
Der Dermatologe guckt in mein Gesicht, sieht hier einen Fleck und da einen Fleck. Wie krank bin ich denn? Also ich würde diesen Termin ja nicht haben, um jetzt irgendeinen Fleck zu sehen, den ich erst diagnostizieren muss:

"Beispielsweise wäre es so: Sie haben eine minimale Rötung im Wangen- und Nasenbereich, das wäre vielleicht der Rest einer entzündlichen Erkrankung: Akne oder Rosatia. Und Sinn einer Videosprechstunde ist ja nicht eine Diagnose zu stellen, sondern den Verlauf einer bereits eingeleiteten Behandlung, eine Befundkontrolle zu machen."
Zwei Tage später sitzt mir an gleicher Stelle, ein zweiter Hautarzt, Doktor Thomas Lechner physisch gegenüber. Auch er blickt in mein Gesicht.
"Sie haben nix, das ist ein ganz normales Gesicht, was Sie da haben."
Zwei Ärzte, zwei Meinungen?
Nein, nicht unbedingt. Bei trübem Wetter und einer defekten Deckenleuchte sind die Lichtverhältnisse für eine Videokonferenz alles andere als optimal. Nur wenn die Bedingungen in der häuslichen Umgebung des Patienten, gute Beleuchtung, gute Kamera leistungsstarkes Netz, erfüllt seien, könne der Arzt den Zustand eines Patienten auch sicher beurteilen, sagt der Teledoktor:
"Ich hab' auch schon mit Patienten sozusagen aus dem Wohnzimmer gechattet, das einen Gelbstich hatte, weil die Vorhänge noch nicht hochgezogen waren, dann würde ich auch keine Diagnose stellen. Aber grundsätzlich denke ich, Diagnostik ist sicher möglich in engen Grenzen, immer davon abhängig, was für eine Erkrankung es ist."

Telemedizin - was ist, wenn das Licht nicht stimmt?

Ob eine medizinisch unterversorgte Bevölkerung auf dem Land die notwendigen Fähigkeiten besitzt, das Internet-Angebot sinnvoll zu nutzen, bezweifelt jedoch nicht nur der Vertreter der saarländischen Hautärzte, Thomas Lechner.
"Grundsätzlich ist die Vorstellung, dass der arme alte Mann, der ganz weit hinten auf dem Dorf wohnt sich nicht die Mühe machen muss, zum Arzt zu kommen sondern ihm das Bild zeigt und der Arzt ihm dann über den Fernseher oder das Telefon hilft, natürlich phantastisch. Wenn man aber zum einen überlegt welcher technische Aufwand damit verbunden ist, der alte Mann hat keine Kamera, er kennt sich nicht mit dem Computer aus, wird er nicht die Zielgruppe sein. Die Zielgruppe sind dann eher junge, handyaffine Leute, die das gerne zum Spaß und aus Interesse machen, das ist hochinteressant und auch amüsant, aber die Zielgruppe wird sicherlich verfehlt."
Die Hautärzte haben Patienten im Blick, die lange Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen, um in eine Praxis zu kommen, oder auch kühle Rechner, Selbständige mit knapp bemessener Zeit, die eine Videosprechstunde von 5 Minuten problemlos in ihren Alltag einbetten können. Für sämtliche Patienten gilt allerdings, dass sie mit ihrem Problem bereits einmal beim Arzt vorstellig geworden sind. Die Diagnose muss nach wie vor in der Praxis gestellt werden. Alles andere lässt die ärztliche Berufsordnung zum momentanen Zeitpunkt nicht zu. Und schwerste Erkrankungen seien für die Videosprechstunde Tabu, argumentiert Ralph von Kiedrowski.
"Hautkrebs, das sollte man ganz ausklammern, das ist insgesamt zu kompliziert, als dass man das über Video wird klären kann."
Selbst wenn es sich nur um den Verlauf einer Wundheilung oder die Beobachtung einer chronischen Erkrankung handelt. Die Frage bleibt: Wie viele Menschen akzeptieren eine Kamera als technischen Helfer? Thomas Lechner.
"Wenn die junge Mutter eine Neurodermitis hat von Kopf bis Fuß, was macht die denn dann vor der Kamera einen Striptease und zeigt die Kniekehle und die Achselhöhle und die Po-Falte, ich kann mir das real nicht vorstellen."

Fünf Minuten per Video - das schont Praxisressourcen

Eine Videosprechstunde, kalkuliert mit durchschnittlich fünf Minuten, sei für die Praxis eine durchaus lukrative Angelegenheit, argumentiert der Sprecher des deutschen Dermatologen-Verbandes. Sie straffe den Arzt–Patienten-Kontakt auf das Notwendigste. Praxis-Ressourcen würden geschont, weil lediglich die Präsenz des Arztes erforderlich sei. Darüber hinaus würde diese Leistung angemessen honoriert. Als erste Krankenkasse hat die Techniker-Krankenkasse mit den Hautärzten einen Vertrag ausgehandelt, der im April in Kraft treten soll. Die Video-Sprechstunde wird dann mit 19.50 Euro vergütet.
"Das ist betriebswirtschaftlich perfekt, denn wir bekommen im Moment Land ein Land aus für die Quartalsbetreuung zwischen 14 und 16 Euro also, egal wie oft der Patient kommt."
Mehr Geld für telemedizinische Angebote fordert auch das kürzlich in Kraft getretene E-Health – Gesetz, also das elektronische Gesundheitsgesetz. Ab Sommer 2017 soll die Online Videosprechstunde in den Katalog der kassenärztlichen Leistungen aufgenommen werden, doch Thomas Lechner, der stellvertretende Sprecher der Hautärzte im Saarland, hält nicht viel von dieser Entwicklung.
"Für mich ist es ein erneuter untauglicher Versuch, den zunehmenden Ärztemangel durch technische Lösungen lösen zu wollen. Es wird wieder einmal sehr viel Geld für einen medizinfremden Sachverhalt ausgegeben, der an anderen Stellen, wo er notwendig wäre, deutlich fehlt."
Die Hautärzte haben mit einer Video-Plattform, einer Honorarvereinbarung mit zumindest einer Kasse die Voraussetzungen für ein telemedizinisches Angebot geschaffen. Mehr allerdings nicht.
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